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Kapitalismus
Arbeitswelt

Martin Schürz: Coronahilfen retten vor allem Vermögen der EigentümerInnen

Martin Schürz: Coronahilfen retten vor allem Vermögen der EigentümerInnen

Der Staat gibt in der Corona-Krise Milliarden aus um die Wirtschaft zu retten. Das Geld landet aber oft nicht bei denen, die existenzielle Not leiden, sondern sichert vorrangig die Vermögen reicher UnternehmenseignerInnen, so der Ökonom Martin Schürz. "Die Finanzierung der Rettungsmaßnahmen erfolgt zu Lasten der Vielen und zum Vorteil weniger", sagt er im MOMENT-Interview.

Der Staat gibt jetzt Milliarden aus um die Wirtschaft zu retten. Das Geld landet aber oft nicht bei denen, die existenzielle Not leiden, sondern sichert vorrangig die Vermögen reicher UnternehmenseignerInnen, so der Ökonom Martin Schürz. „Die Finanzierung der Rettungsmaßnahmen erfolgt zu Lasten der Vielen und zum Vorteil weniger“, sagt er im MOMENT-Interview. Wenn der Staat jetzt Steuereinnahmen aus der Bevölkerung in Unternehmen investiert, dann sollte die auch an zukünftigen Gewinnen beteiligt werden – und nicht wieder nur die EigentümerInnen die Profite einstreichen.

MOMENT: Wir sind mitten in der Corona-Krise. Die trifft vor allem die unteren Einkommen hart. Kann es passieren, dass die wenig Verdienenden nach der Krise im Vergleich noch weitaus geschwächter dastehen als vorher?

Martin Schürz: Wir nehmen an, dass mehr als jeder dritte Haushalt in Österreich an Einkommen einbüßt. Und das sind vor allem einkommensschwächere Menschen. Die Coronavirus-Pandemie treibt viele Menschen unmittelbar in Not und Elend. Die Politik reagiert aber nicht vorrangig auf das Leid von Menschen, sondern auf effektives Lobbying.

LandwirtInnen und EigentümerInnen von Unternehmen liegen im Rennen um staatliche Hilfe weit vor Arbeitslosen und Alleinerzieherinnen. Viele von denen haben kein Vermögen, das gerettet werden könnte. Und die Schlechtestgestellten in der Gesellschaft, BezieherInnen von Mindestsicherung, Kinder in Armut, Obdachlose und geflohene Menschen, bleiben mit ihren Problemen besonders in Zeiten von COVID-19 allein.
 

MOMENT: Dass so viele Menschen nach wenigen Wochen Krise in existenzielle Nöte geraten, muss zu denken geben. Was ist da schiefgelaufen?  

Schürz: Besonders gefährdet sind Kinder, alte Frauen in Armut, BezieherInnen von Mindestsicherung, Langzeitarbeitslose und chronisch Kranke. Diese Menschen traf die soziale Isolation besonders schlimm. Bei Existenzschwierigkeiten kommen ja immer mehrere Problemlagen zusammen: Wenig Geld geht einher mit psychischen Belastungen. Und bei den Ein-Personen-Unternehmen wurde deren Fragilität sichtbar – das heißt, wie stark diese vom laufenden Geschäftserfolg abhängig sind.

Wir sollten daher den Fokus verschieben: weg von den EigentümerInnen hin zu den Notleidenden. Regierungen sollten sicherstellen, dass es heute niemandem schlechter geht als einer Person aus der Mittelschicht vor einem Vierteljahrhundert. Diesen Gedanken halte ich für gesellschaftspolitisch wichtig. Man müsste die Mindestsicherung deutlich anheben und das Arbeitslosengeld erhöhen. Unsere Gesellschaft kann sich das leisten.

Mit der Rettung von großen Unternehmen wird auch das Vermögen von Eigentümern abgesichert.

MOMENT: In einem Beitrag für das angesehene Institute for New Economic Thinking, welcher auch vom bekannten Finanzblog naked capitalism übernommen wurde, stellen Sie und Ihr Kollege Pirmin Fessler die These auf, dass die Rettung von Unternehmen vor allem heißt, mit Staatsgeld die Vermögen der Wenigen retten. Warum ist das so?

Schürz: Das ist ein empirisches Faktum: Mit der Rettung von großen Unternehmen wird auch das Vermögen von EigentümerInnen abgesichert. Beteiligungen an Unternehmen sind in den Händen weniger reicher Menschen konzentriert. Deshalb wird mit den Unternehmen auch das Vermögen der Besitzenden gerettet.

Unternehmen und damit verbundene Arbeitsplätze ließen sich aber auch retten, ohne das Vermögen der EigentümerInnen für sie selbst zu sichern. Auch andere Ökonomen wie Moritz Schularick weisen völlig zu Recht auf diesen wichtigen Unterschied hin: InhaberInnen von Firman müssten ihr unternehmerisches Risiko auch in schlechten Zeiten tragen, da es ihnen in guten Zeiten Gewinne ermöglicht hat. Die Gewinne der EigentümerInnen in den letzten Jahren wären jene Puffer, die zu nutzen sind.
 

MOMENT: Stattdessen wird dafür das Geld derjenigen verwendet, die kaum über Vermögen verfügen, so Ihre These. Wie läuft das ab?

Schürz: Der Staat verwendet die Einkommen der StaatsbürgerInnen, um jetzt Firmen zu retten. Die meisten Menschen leben von ihrem Arbeitseinkommen. Die Steuersätze reichen da in Österreich bis zu 55 Prozent. Nur reiche Menschen haben beträchtliches Vermögenseinkommen, wie etwa Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung.

Für Vermögenseinkommen sind in Österreich die Steuern aber niedriger und sie werden nicht gemeinsam mit dem Arbeitseinkommen progressiv besteuert, wie in vielen anderen Ländern. Und Vermögen an sich wird überhaupt nicht besteuert. Die Finanzierung der Rettungsmaßnahmen erfolgt demnach zu Lasten der Vielen und zum Vorteil weniger. Da Vermögen auch eine Quelle von Einkommen sind wird Ungleichheit über die Zeit einzementiert.

Wenn Geld der Allgemeinheit in ein Unternehmen investiert wird, dann sollten die StaatsbürgerInnen an Gewinnen beteiligt werden.

MOMENT: Was sollte also bei der Rettung anders gemacht werden?

Schürz: Erst wenn EigentümerInnen von Unternehmen nicht mehr dazu in der Lage sind, sollte der Staat eingreifen und dann aber auch Anteile am Unternehmen übernehmen. Wenn das Geld der Allgemeinheit in ein privates Unternehmen investiert wird, dann sollten die StaatsbürgerInnen an den zukünftigen Gewinnen beteiligt werden. Denn sie tragen ja auch das unternehmerische Risiko, und zwar ohne vorher dazu befragt worden zu sein. Welche privaten InvestorInnen, die ihr Geld in ein Unternehmen bei einer drohenden Insolvenz investieren, verzichten danach auf Gewinne?
 

MOMENT: Der Staat handelt hier also eigentlich so wie ein normales Unternehmen. ManagerInnen zeigen dafür aber kaum Verständnis. Warum lehnen Unternehmen es so vehement ab, dass der Staat im Zuge einer Rettung bei ihnen einsteigt?

Schürz: Einerseits ist es eine Machtkonstellation, in der Bluffen und Drohgesten wichtig sind. ManagerInnen wissen, dass sich im Notfall die Belegschaft sogar gegen die eigene Gewerkschaft wendet, nur um eine Chance auf einen mies bezahlten Arbeitsplatz zu wahren. Andererseits glauben sie wohl tatsächlich an das eigene staatsfeindliche Gerede.

In ihrer Wahrnehmung ist der Staat ein unfähiger Unternehmer: ein Bürokrat mit Ärmelschoner, risikoscheu, stets ideenarm und ein planwirtschaftlicher Feind der Marktwirtschaft. In diesem staatsfeindlichen Denken sollte der Staat letztlich dann auch noch so naiv sein, Finanzmittel zu verschieben, ohne dafür im Gegenzug etwas zu verlangen.
 

MOMENT: Die Unternehmen sind aber vor allem aufgrund der Coronavirus-Pandemie und des folgenden Lockdowns in die Krise gerutscht, also ohne eigene Schuld. Muss man da nicht helfen?

Schürz: Ja, es ist aber nicht selbstverständlich, hier Steuergeld der Vielen heranzuziehen, nur weil Unternehmen unschuldig in diese Krise rutschten. Unschuldig sind auch FlugbegleiterInnen und KellnerInnen in die Arbeitslosigkeit gerutscht. Mit dem Begriff der „Unschuld“ zu argumentieren ist nicht sinnvoll; mag es medial auch noch so oft bemüht werden.

Ich halte es für denkfeindlich davon auszugehen, es sei alternativlos, dass der Staat die Wirtschaft zu retten hat.

MOMENT: Die Zahl der Arbeitslosen ist explodiert, vielen Firmen droht die Pleite und damit noch mehr Menschen die Arbeitslosigkeit. Ist es da nicht alternativlos, dass der Staat jetzt Geld ausgibt, um die Unternehmen zu retten?

Schürz: Ich halte es für denkfeindlich davon auszugehen, es sei alternativlos, dass der Staat die Wirtschaft zu retten hat. So etwas zu behaupten hat meist schlicht eine ideologische Funktion: Die sehr wohl vorhandenen Alternativen sollen vorab schlecht gemacht werden. Die Frage lautet für mich eher: Unter welchen Bedingungen, soll der Staat welche Unternehmen stützen?
 

MOMENT: Welche Bedingungen wären das und wie sehen die Alternativen aus?

Schürz: Oft wird nicht verstanden, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Unterstützung von Einkommen und der Sicherung von Vermögen. Man kann nicht alle nach ihren Wünschen retten. Was beim ansonsten so beliebten Subsidiaritätsprinzip gilt – dass also der Staat nur eingreift, wenn es nicht mehr anders geht –, müsste auch jetzt gelten: Beim Retten geht es zuerst um existenzielle Probleme von Menschen.

Die meisten Menschen haben nur geringe Ersparnisse. Sie leben in einer Einkommenswelt, die ohne einen funktionierenden Sozialstaat nicht ausreichen würden. Die Marktwerte von Unternehmen sind ein Thema für ihre EigentümerInnen. Diese Menschen zählen weit seltener zu den Leidenden.

Je konzentrierter die Unternehmen sind, desto mehr Möglichkeiten haben sie, die Demokratie zu missachten.

MOMENT: Unternehmen in schweren Zeiten unter die Arme zu greifen, sichert die Arbeitsplätze vieler und damit deren Einkommen. Also profitieren doch auch die vielen davon, wenn wir private Unternehmen retten. Ein Denkfehler?

Schürz: Es ist kein Denkfehler, aber die zwei Dinge müssen unterschieden werden. Man kann ja nicht Profit der UnternehmerInnen und Jobs der ArbeiterInnen gleichsetzen. Unternehmen stellen ja selten Leute ein, weil sie denen etwas Gutes tun wollen, sondern aus Profitstreben. Für die einen geht es jetzt um ihren Job und ihr Einkommen, das sie brauchen, um zu überleben. Und einige wenige streichen während der Pandemie Milliardengewinne ein.

Auf diese Verteilungsfragen muss der Staat jetzt achten und nicht auf die Zeit nach der Krise warten. Die Eigentumsverhältnisse dürfen auch in der Pandemie nicht vergessen werden. Es ist eine öffentliche Debatte darüber notwendig, wie wir zu einer gerechten Gesellschaft kommen.

Was jetzt stattfindet, ist ein zudeckender Krisenkeynesianismus: Der Staat gibt viel Geld für Rettungsmaßnahmen aus, ohne die Frage danach überhaupt zuzulassen, wohin unsere Gesellschaft steuern soll. Das erlaubt es den Reichen billig durch die Krise zu kommen. Denn die jetzigen Maßnahmen zur Rettung werden finanziert zu Lasten der Vielen.

MOMENT: Ihre These lautet: Die Kleinen verlieren und Große gewinnen in der Krise. Welche Folgen hat das auf die Marktkonzentration und die Machtpositionen in der Gesellschaft?

Schürz: In Krisenzeiten gehen Unternehmen mit schlechter Eigenkapitalausstattung leichter unter. Die Gefahr ist, dass gerade junge Firmen, die noch keine hinreichende Kapitaldecke aufbauen konnten, in Konkurs schlittern. Große jedoch können andere Firmen nun billiger aufkaufen.

Die Macht dürfte sich also weiter in Richtung großer Unternehmen verlagern. Je konzentrierter die Unternehmen sind, desto stärker wächst deren gesellschaftliche Macht und desto mehr Möglichkeiten haben sie, die Demokratie zu missachten.
 

MOMENT: PolitikerInnen sollten diese Effekte kennen und auch kein Interesse daran haben, dass Unternehmen sich demokratischen Regeln entziehen. Naiv gefragt: Warum tut sie nicht aktiv mehr dagegen?

Schürz: Die Politik bleibt abhängig von den Interessen der Vermögenden. Die Vermögenden sind es ja, die über Parteispenden und Medienkampagnen Politiker unterstützen oder deren Wirtschaftsinkompetenz brandmarken. So festigen politische und wirtschaftliche Eliten wechselseitig ihre jeweiligen Machtpositionen. In der Krise wird der Staat auch für die Vermögenden wichtiger. Dies ist aber noch kein Grund zur Freude für die Ärmeren.

Was gerecht ist, was wir einander schulden und in welcher Gesellschaft wir leben wollen, ist neu zu besprechen.

MOMENT: Wie lässt sich verhindern, dass es jetzt zu einer weiteren Konzentration von Vermögen kommt?

Schürz: Das ist angesichts der Machtverhältnisse nur schwer zu verhindern. Die Ideen sind aber bekannt: Alle Formen von Einkommen sollten steuerlich gleichgestellt werden. Heute wird Einkommen aus Arbeit viel höher besteuert als Einkommen aus Vermögen. Die meisten Menschen leben aber von ihrem Arbeitseinkommen.

Einkommen aus Vermögen erzielen nur reiche Menschen, etwa aus Vermietung und Verpachtung. Vermögen an sich wird überhaupt nicht besteuert. Schon seit langem ist es notwendig, Vermögen und Erbschaften substanziell und progressiv zu besteuern.

MOMENT: Nur wenige besonders reiche Personen wären von solchen Steuern auf Vermögen überhaupt betroffen. Warum sind die dennoch so umstritten?  

Schürz: Es fehlt noch immer eine ernsthafte Debatte über Gerechtigkeit und wie Überreichtum begrenzt werden kann. Meine Meinung ist: Man wird nicht überzeugen, wenn man einfach nur behauptet, Vermögenssteuern würden Reichen nicht weh tun. Was einem weh tut, muss vom Betroffenen schon selbst beurteilt werden. Zu sagen, den Reichen können wir es wegnehmen, weil sie so viel haben, ist zu wenig.

Wenn die einen zu wenig haben, haben die anderen zu viel. Was gerecht ist, was wir einander schulden und in welcher Gesellschaft wir leben wollen, ist neu zu besprechen.

Zur Person: Martin Schürz forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Vermögenskonzentration. Er ist Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Autor des Buches „Überreichtum“, das im August 2019 im Campus Verlag erschienen ist. Schürz ist individualpsychologischer Analytiker und behandelt PatientInnen am Ambulatorium für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen „Die Boje“.

 

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