In Österreich redet man nicht nur Deutsch
Hierzulande ist die am weitesten verbreitete Amtssprache Deutsch, aber es ist nicht die einzige. Auch einige andere Sprachen sind in bestimmten Regionen als Amtssprachen anerkannt. Denn es gibt 6 anerkannte autochthone (einheimische) Gruppen österreichischer Staatsbürger:innen “mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum” – also eigener Kultur.
Die Angehörigen dieser Minderheiten sind keine Migrant:innen. Sie leben seit Generationen in Österreich und gehören sowohl zur österreichischen Gesellschaft als auch zu ihren eigenständigen kulturellen Gemeinschaften. So leben in Kärnten und der Steiermark einheimische Slowen:innen. Im Burgenland leben viele Kroat:innen und Ungar:innen sowie Rom:nja und Sinti:zze. In Wien, Tschech:innen und Slowak:innen. Die Rechte dieser Minderheiten sind über mehr als 100 Jahre hinweg mehrfach klar geregelt worden – ihre Umsetzung ist alles andere als gelungen.
Alte Versprechen
Bereits im Staatsvertrag von St. Germain aus dem Jahr 1919 ist festgehalten, dass die anerkannten Minderheiten das Recht haben, ihre Sprache bei Gerichten und Behörden zu verwenden. Sie haben auch das Recht auf eigene Schulen, Vereine und Unterricht in ihrer Muttersprache. Dafür muss der Staat genug Geld bereitstellen.
Auch im Bundesverfassungsgesetz wurde festgehalten:
“Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern.”
Vor 70 Jahren wurde in Wien der Staatsvertrag unterschrieben. Den Kärntner Slowen:innen und Burgenlandkroat:innen räumte dieser unter Artikel 7 konkrete Rechte ein.
Noch einmal wurden hier die Amtssprache sowie das Recht auf Unterricht in der Muttersprache festgeschrieben. Anschriften – vor allem Ortstafeln – soll es sowohl in deutscher, als auch slowenischer und kroatischer Sprache geben.
Rechte auf dem Papier, Hürden in der Praxis
Bis heute sind diese Rechte nicht vollständig umgesetzt. Angehörige der Volksgruppen müssen immer wieder darauf hinweisen. Am 70. Jahrestag der Unterzeichnung des Staatsvertrags riefen deshalb in Wien der Klub slowenischer Student*innen (Klub slovenskih študentk*študentov na Dunaju – KSSSD) und der kroatische akademische Klub (Hrvatski akademski klub – HAK) zu einer Demo auf.
Die rund 400 Demonstrant:innen fordern vor allem eine vollständige Umsetzung ihrer Rechte. Und sie erinnerten daran, dass auch die Teile, die heute eingehalten werden, erst hart erkämpft werden mussten.
“Ich würde mir wünschen, dass Minderheiten nicht immer für jede Kleinigkeit kämpfen müssen und laut werden müssen, sondern dass es eine Selbstverständlichkeit werden sollte, dass slowenische oder kroatische Sprache sichtbar ist, wo auch slowenisch- und kroatischsprachige Menschen leben. Dass diese unsichtbar gemacht wird, ist eine Frechheit.” – Hanna vom KSŠŠK.
Dass zugesicherte Rechte tatsächlich umgesetzt wurden, war für Volksgruppen kein Automatismus, sondern das Ergebnis mühsamer Auseinandersetzungen. Auf viele Schritte mussten sie jahrzehntelang warten. Beispielsweise auf die zweisprachigen Ortstafeln. Erst nach Verfassungsgerichtshof-Urteilen und politischem Druck wurden 2011 in Kärnten zweisprachige Tafeln aufgestellt – und ein Kompromiss erzielt – mit gerade einmal 164 zweisprachigen Tafeln.
Zwar bestehen zweisprachige Schulen, aber das Angebot ist nicht flächendeckend und es gibt Lehrkräftemangel. Auch bei der Ausbildung von Lehrkräften und dem entsprechenden Curriculum an Hochschulen besteht Aufholbedarf.
In der Steiermark ist beispielsweise die slowenische Minderheit zwar offiziell anerkannt – es gibt jedoch keine Ortstafeln und keinen öffentlichen Schulunterricht auf Slowenisch.
Die Minderheiten werden kleiner
Nicht zuletzt deshalb gehen die Sprache und die Kultur der Minderheiten immer mehr verloren. Die genaue Anzahl der Angehörigen der anerkannten Minderheiten ist schwer zu bemessen. Die letzte Erhebung der Statistik Austria ist aus dem Jahr 2001 und bezifferte 82.500 Volksgruppenangehörige in Österreich. Im Zuge einer Studie des OGM von 2022 wurde festgestellt, dass es einige Faktoren für das Schrumpfen der Minderheiten gibt.
Ein Grund ist die Assimilation, also die Anpassung an die österreichische Sprache und Kultur. Diese wird vor allem dadurch vorangetrieben, dass es an Bildungseinrichtungen fehlt, die die eigene Sprache und Kultur weitergeben. Das Bildungswesen kann ein wirksames Instrument für den Erhalt und das Schaffen einer gegenseitigen Wertschätzung und Repräsentation darstellen, indem Sprachen gleichwertig behandelt werden. Gleichzeitig kann es aber dazu genutzt werden, eine Sprache und die damit einhergehende Kultur auszulöschen. Dies war in Österreich bisher weitgehend der Fall, auch wenn gewisse Stimmen, wie die Kärntner FPÖ, das gerne negieren.
“Es ist natürlich schwierig, dass sich diese Sprache hält, aber es ist ganz, ganz wichtig. Wir haben eigene Musik, wir haben eine große Kultur und es ist wichtig, dass Österreich sich dazu bekennt und alle politischen Strömungen, die das nicht haben wollen, haben in Österreich keinen Platz – weil Österreich war immer multikulturell, es ist eine große Tradition des Beisammenlebens. Der gegenseitige Respekt sollte walten in diesem Land und nichts anderes.” – Demonstrant
Während es in Kärnten und im Burgenland zumindest einige Kindergärten und Schulen mit Angeboten in den jeweiligen Muttersprachen gibt, fehlt ein solches Bildungsangebot in Wien für die meisten Volksgruppen nahezu vollständig. Für Slowen:innen, Kroat:innen, Ungar:innen sowie Rom:nja und Sinti:zze gibt es keine durchgängige Möglichkeit, vom Kindergarten bis zur Matura in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden.
Eine zeitgemäße Umsetzung
Neben einer Umsetzung ist auch eine Anpassung der Gesetze an moderne Lebensrealitäten längst überfällig – denn viele der genannten Rechte gelten nur in historischen Siedlungsgebieten. Gleichzeitig ziehen aber immer mehr Angehörige, wie andere Österreicher:innen auch, in Städte wie Wien, Graz oder Klagenfurt. Die fehlende sprachliche Vielfalt an städtischen Schulen ist dabei mehr als ein bildungspolitisches Versäumnis – sie trägt unmittelbar dazu bei, dass Minderheiten zunehmend verschwinden.
Volksgruppenvertreter:innen fordern daher eine “offensive Sprachenpolitik” in Form von Volksgruppenschulen im städtische Raum:
„Prioritär für den Spracherhalt erscheint uns das Bekenntnis zur gemeinsamen Qualitätssicherung bzw. die Förderung und Schaffung von frühkindlichen Betreuungsangeboten und mehrsprachigen Kindergärten sowie von durchgängigen Bildungsangeboten von der Kindertagesstätte bis zur Universität.“ – slowenischer Volksgruppenvertreter Bernard Sadovnik
Konkrete Pläne gibt es dazu im aktuellen Regierungsprogramm allerdings nicht. Es wird lediglich eine „Weiterentwicklung der Bildungsangebote in Volksgruppensprachen“ angestrebt.
Eine Gesellschaft wächst mit ihrer Vielfalt
Jede der sechs gesetzlich anerkannten autochthonen Minderheiten – also auch die Ungar:innen, Tschech:innen, Slowak:innen und Rom:nja und Sinti:zze – hat eine lange verwurzelte Geschichte in Österreich. Trotzdem sind ihre Sprachen, Perspektiven und Anliegen im öffentlichen Raum auch 70 Jahre nach dem Unterzeichnen des Staatsvertrags kaum sichtbar.
Es ist die Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für den Erhalt von Sprache, Bildung und kultureller Identität zu sichern. Gleichzeitig ist es aber auch die Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft, zuzuhören und die Anliegen der Minderheiten laut zu machen. Denn am Ende profitieren wir alle von einer Gesellschaft, die Vielfalt aktiv lebt.
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