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Ungleichheit
Demokratie

Rom:nja und Sinti:zze in Europa: “Mehr Inklusion statt Integration”

Rad als Symbol für Rom:nja und Sinti:zza
Der 8. April ist der Internationale Tag der Rom:nja und Sinti:zze. Er soll ihre Vielfalt feiern. Dabei stehen die Minderheiten immer noch oft Benachteiligung und Anfeindung gegenüber.

Im Jahr 1971 wurde in Ungarn unter der Leitung des Sozialwissenschaftlers István Kemény die erste repräsentative demografische Studie über Rom:nja in Ungarn veröffentlicht, in Form eines Forschungsberichtes. Damit wurde erstmals Armut unter den Minderheiten sichtbar gemacht – es prägte die Roma-Bürgerrechtsbewegung nachhaltig. In den 1970er und 1980er Jahre unterstützen ungarische Politiker die Roma-Bürgerrechtsbewegungen – ein Alleinstellungsmerkmal in Zentraleuropa

Anfeindungen in Benachteiligungen der vielfältigen Gruppen gibt es bis heute überall. Aber auch die ungarische Regierung unter Viktor Orbán macht seit fünfzehn Jahren mit Antiziganismus populistische Politik. In Ungarn sind das 200.000 Menschen und damit sind sie die größte Minderheit dort. In Österreich leben rund 50.000 Menschen, die diesen Minderheiten angehören. 

Ein Interview mit Blanka Szilasi über Diskriminierung von Rom:nja und Sinti:zze. Sie forscht in Ungarn und Wien zu diesem Thema und spricht anlässlich des internationalen Tages der Rom:nja und Sinti:zze mit MOMENT.at. 

MOMENT.at: Warum ist dieser Tag so wichtig?

Blanka Szilasi: Zunächst mal wissen immer noch nicht viele Menschen in Europa Bescheid, welches Trauma Rom:nja und Sinti:zze während des Zweiten Weltkriegs erlebt haben und dass rund 500.000 von ihnen ermordet wurden. Der Holocaust an Rom:nja und Sinti:zze hat einen Namen: “Porajmos”, das heißt so viel wie “Verschlingung” auf Romani. Andererseits werden Menschen dieser Minderheit in Europa, und speziell in Ungarn, auch heute diskriminiert. Am 8. April sollen Rom:nja und Sinti:zze ihre Kulturen und ihre Vielfalt feiern. Was viele nicht wissen: Rom:nja und Sinti:zze sind keine homogenen Minderheiten. Es gibt viele kleine Gruppen. Die drei größten Gruppen zum Beispiel in Ungarn sind die Romungro, die Vlach Roma und die Beyash.

MOMENT.at: Wie werden Rom:nja und Sinti:zze in Ungarn diskriminiert?

Szilasi: In Ungarn findet systematische Diskriminierung von Beginn ihres Lebens an statt. Das zieht sich durch alle Lebenslagen: Bildung, Gesundheitssystem und Wohn- und Arbeitsmarkt. Das ist kein Klassenproblem: Ich habe untersucht, wie Rom:nja und Sinti:zze am Wohnungsmarkt diskriminiert werden. Sobald ihre Namen anders klingen oder sie zu einem Besuchstermin kommen und der Vermieter sieht, dass sie eine dunklere Hautfarbe haben, bekommen sie oft die Wohnung nicht. Der Bildungsabschluss ist da nebensächlich. In Ungarn gibt es viele Vorurteile gegenüber dieser Minderheiten, das wird von den ungarischen Medien auch ständig vermittelt:Rom:nja und Sinti:zze wären gute Musiker:innen und “Blue-collar-worker”, heißt es dort oft. Als wäre ihr Leben dadurch schon vorbestimmt.

MOMENT.at: Die EU hat 2020 einen Aktionsplan erstellt, wie Diskriminierung gegenüber Rom:nja und Sinti:zze verringert und sie besser integriert werden. Beschäftigt sich die ungarische Regierung auch damit?

Szilasi: Seit dem Systemwechsel von 1989 und nochmal explizit seit Victor Orbáns “Fidesz”-Partei 2010 an die Macht gekommen ist, sehen wir einen systematischen Abbau von NGOs für Rom:nja im Land und eine deutlich ansteigende Diskriminierung. Für die Politik wird das Thema oft mit einem Bedarf zur Assimilation der Minderheiten gleichgesetzt. Ständig wird darüber gesprochen, dass Rom:nja in die Gesellschaft integriert werden müssen – das ist ein Denkfehler. Sie müssen nicht erst integriert werden. Wie in vielen anderen Ländern Europas leben sie hier seit hunderten von Jahren. Ich will nicht in ihrem Namen sprechen, aber was Rom:nja und Sinti:zze brauchen, ist Inklusion. Damit geht einher, dass sie ihre Kultur, ihre Sprache und ihre Musik leben dürfen, ohne dafür benachteiligt zu werden. Und dass sie von der ungarischen Gesellschaft nicht nur auf ihre Identität als Rom:nja und Sinti:zze reduziert werden. Heute ist es so, dass wenn eine Person, die den Minderheiten angehört, in eine Talkshow eingeladen wird, dann immer nur, um über die Probleme als eben diese zu sprechen. 

MOMENT.at: Ich will nochmals auf die Politik eingehen, inwiefern diskriminiert Fidesz Rom:nja und Sinti:zze in Ungarn?

Szilasi: Fidesz ist ausdrücklich nationalistisch. Den Rassismus gegenüber Rom:nja und Sinti:zze gab es in Ungarn auch davor. Sie thematisieren ihn nicht, aber sie sind auch aktiv antiziganisitisch. Ein sehr bekanntes Beispiel dafür ist ein Vorfall aus dem Jahr 2019 an einer ungarischen Schule. Kinder von Romani-Familien wurden 10 Jahre lang in segregierten Klassen unterrichtet. Ein Berufungsgericht hat geurteilt, dass der Staat Kompensationszahlungen an diese Kinder leisten muss. Daraufhin hat sich Viktor Orbán selbst dazu geäußert und gemeint, dass das Berufungsgericht den “Gerechtigkeitssinn” der Menschen verletzt hätte, dass Rom:nja und Sinti:zze arbeitsfaul und ihre Kinder unbelehrbar seien. Gegen diese Aussagen vorgegangen wurde nicht. Covid hat dann eingesetzt und damit eingehend sind alle anderen Probleme in den Vordergrund gerückt.

MOMENT.at: Welche Rolle spielen NGOs, die sich für Rom:nja und Sinti:zze in Ungarn einsetzten?

Szilasi: Heute gibt es einige NGOs, die keine staatlichen Geldmittel akzeptieren, weil sie unabhängig agieren wollen. Vor allem im Bereich Bildung gibt es hier gute Anlaufstellen wie zum Beispiel Bagazs Public Organization. Sie erfüllen oft leider die Arbeit des Staats – nämlich Förderunterricht und Bildung in Bezug auch auf ihre eigene Herkunft. Dann gibt es noch NGOs, die vom Staat finanziert werden und ich habe eher gemischte Gefühle ihnen gegenüber. Denn auch sie leisten wichtige Bildungsarbeit für diskriminierte Kinder. Aber sie folgen der Agenda unserer Politik und die kümmert sich nicht darum, das bestehende System zu ändern. Ein wichtiger Schritt wäre, Rom:nja-Kinder nicht ständig von Nicht-Rom:nja-Kindern zu trennen. Es ist nur Symptombekämpfung. 

MOMENT.at: Wenn du dir eine Sache in Zukunft wünschen könntest, was wäre es, um die Lebensbedingungen von Rom:nja und Sinti:zze zu verbessern?

Szilasi: Aufklärung ist am wichtigsten! Ich bin davon überzeugt, dass wenn mehr Bewusstsein herrscht – sei es in Österreich, in Ungarn oder sonst wo in Europa – dass damit hartnäckige Vorurteile abgebaut werden können. 

Blanka Szilasi ist Civic Engagement Coordinator bei Open Society University Network (OSUN) an der Central European University (CEU) in Wien. Davor hat sie für die ungarische zivilgesellschaftliche Organisation BAGazs Public Benefit und als Forschungsassistentin zum Thema Ungleichheiten am Wohnungsmarkt in Ungarn gearbeitet. Sie hat sich während ihrem Studium in Nationalism Studies an der CEU auf Romani Studies spezialisiert.

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