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Ungleichheit

Minderjährige Flüchtlinge einlassen? Ihr Kinderlein kommet

NatsAnalyse Cover zeigt ein gezeichnetes Porträt von Natascha Strobl mit zwei Sprechblasen. In dieser Ausgabe geht es um "Dogwhistling".
In der NatsAnalyse kommentiert Natascha Strobl das politische Geschehen.

Zu Weihnachten ist in Deutschland die Debatte entbrannt, ob man unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus dem Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos holen soll oder nicht.

Zu Weihnachten ist in Deutschland die Debatte entbrannt, ob man unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von der griechischen Insel Lesbos holen soll. Dieser sehr konsensfähige, harmlose und im Geist der weihnachtlichen Besinnlichkeit stehende Vorschlag hatte heftige Reaktionen von ganz rechter, aber auch konservativer Seite zur Folge. Von CDU („keine Fehlanreize schaffen“) bis AfD herrscht in dieser Frage überraschende Einigkeit.

Ich möchte hier die Strategie hinter den vier häufigsten Argumenten sowie mögliche Gegenargumentationen aufzeigen.

Argument: „Das ist blanker Populismus“

Die Strategie dahinter: Etwas als populistisch zu bezeichnen soll es diskreditieren und aus der Sphäre der als sinnvoll abgesteckten Debatte nehmen. „Populistisch“ soll bedeuten, dass man nicht weiter darüber reden muss, weil es sich von selbst richtet. Dass das in diesem Fall von rechts gegen links/liberal/progressiv angewandt wird, ist eine Spiegeltaktik, da „Populismus“ in der Regel rechtsaußen verortet wird.

Ein mögliches Gegenargument: Es mag Populismus sein, das tut aber überhaupt nichts zur Sache, da das Leben von echten Kindern dahinter steht. Spielt es dem Zeitalter der Aufmerksamkeits-Ökonomie in die Hände, dass man das Schicksal der Flüchtlinge in Moria plakativ anhand der Kinder aufzeigt? Ja. Aber Kinder sind auch die schwächsten Glieder in dieser Kette. Deswegen ist es völlig legitim, sie (als Erstes) da rausholen zu wollen.

Argument: „Wir sind nicht das Weltsozialamt“

Die Strategie dahinter: Groteske Übertreibung und Gewissensabwehr. Dadurch wird eine ernste Situation dermaßen ins Lächerliche gezogen, dass sie nicht mehr ernst erscheint und man sich ihrer dementsprechend nicht mit Ernsthaftigkeit stellen muss. Gewissensabwehr ist eine Rationalisierung des eigenen falschen und unmoralischen Handels. Auf irgendeiner Ebene weiß man, dass man nicht richtig handelt. Aber die eigene Rationalisierung erlaubt das Fehlverhalten zugunsten einer größeren/anderen Sache, die hier nur ominös angedeutet wird (der nationale Sozialstaat).

Ein mögliches Gegenargument: Niemand hat ein Weltsozialamt gefordert. Das steht nicht zur Debatte und ist real auch gar nicht möglich. Es geht darum, 4.000 Kinder (oder 17.000 Menschen insgesamt) aus unerträglichen Zuständen zu helfen. Ganz konkret jetzt und hier. Das kann man machen oder auch nicht. Selbst wenn Deutschland alle 17.000 aufnehmen würde, wären das kaum Mehrbelastungen im Sozialsystem. Ganz real braucht es aber auch endlich ein funktionierendes und menschliches System, um mit Flüchtlingen umzugehen, an dem sich ausnahmslos alle EU-Staaten beteiligen.

Argument: „Das schafft Anreize, dann kommen immer mehr“

Die Strategie dahinter: Auch die Gewissensabwehr und ein Angstszenario. Gewissensabwehr ist, wie oben beschrieben, die Rationalisierung des eigenen schlechten (Nicht-)Handelns. Stärker als das Gewissen ist immer die Angst. Hier haben die Gegner der Hilfe für die Kinder (Kinder, Elend und Weihnachten sind eine Kombination, bei der sich fast alle Herzen erweichen lassen) sich dazu entschieden, aus einer Notsituation ein Angstszenario zu entwickeln. Es müssen leider die paar Tausend im Elend leben, damit alle anderen nicht kommen. Sie sind quasi der Prellbock zwischen Europa und einem Ansturm von undefinierten Massen. Hier ist eine Opfer-Symbolik verborgen, die gerade zu Weihnachten nicht einer bitteren Ironie entbehrt.

Ein mögliches Gegenargument: Wer vor Hunger, Krieg, Seuchen und dem sicheren Tod flieht, lässt sich nicht durch vermeintliche Schreckensmeldungen aufhalten. Bevor mein Kind hier stirbt, versuche ich, es woanders hinzubringen – egal was jemand sagt. Zudem ist es mehr als zynisch, Menschen als Abschreckung gegen andere Menschen leiden zu lassen. Das widerspricht jeder moralischen Vorstellung, egal an welchem Wertesystem, das kein faschistisches ist, man sich orientiert. 

Argument: „Wir müssen zuerst den vielen armen Menschen bei uns helfen“

Die Strategie dahinter: Whataboutism und falsche Äquivalente. Wenn dir ein Thema unangnehm ist, dann wirf einfach ein anderes Thema dazu, so kannst du deinem Gegner argumentativ vorwerfen, sich gerade nicht dafür einzusetzen. Beispiel: „Ich mag Schildkröten“ – „Aha, also du hasst Katzen, deswegen hast du sie nicht genannt“. Hier funktioniert es mit Elend. Es gibt zigtausende gute und wichtige Dinge für oder gegen die man sich einsetzen kann. Über eines aktuell zu reden, bedeutet nicht die anderen abzulehnen, sowie es bei Whataboutism suggeriert wird. Hinzukommt, dass falsche Äquivalente aufgebaut werden. Es kann nur das Eine oder das Andere geben. Entweder es wird Flüchtlingen oder PensionistInnen in Armut geholfen, beides zusammen ist in dieser Sprachkonstruktion denkunmöglich. Das liegt meist auch daran, dass sich ausgerechnet die Leute, die diese Aussagen treffen, weder für die Einen noch die Anderen einsetzen. 

Ein mögliches Gegenargument: Armut ist ein wichtiges und zentrales Thema dieser Zeit, vielleicht sogar das Wichtigste. Ich möchte ein System, das keine Armut mehr hervorbringt. Dazu setze ich mich für x, y und z ein – was machst du? Es bräuchte Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern und ich würde auch gerne eine Obergrenze für Vermögen diskutieren. Armut hat etwas mit absurdem Reichtum zu tun.

Weißt du, mit wem es nichts zu tun hat, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter auf geht? Mit Flüchtlingen.

 

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