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Gesundheit

"Eh nur die Schwachen und Alten"

"Eh nur die Schwachen und Alten"
Grafik NatsAnalyse

Wie wird über aktuelle Themen gesprochen? Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl analysiert, was hinter den Worten steckt, die in der Politik verwendet werden.

Ein der Beruhigung dienendes Narrativ taucht immer wieder auf in den Debatten um die Todeszahlen von Covid-19. Es seien nur die Alten und Schwachen, die es betrifft. Nur jene mit Vorerkrankungen. Verbunden ist dies oft mit einer Mahnung, rational und sachlich zu agieren. Man möge jetzt nicht übertreiben und übers Ziel hinausschießen. Es ist zwar schade, wenn Menschen sterben, aber es lässt sich bei „denen“ eben nicht verhindern, sie wären ohnehin gestorben.

Das ist das verkürzte und verzerrte Narrativ etwa einer Studie aus Italien (PDF). Diese belegt, dass die allermeisten Verstorbenen ein, zwei oder drei Vorerkrankungen hatten. Beruhigend, denkt man sich. Das betrifft mich ja nicht.

„Vorerkrankungen“ suggeriert, dass die Personen ohnehin am letzten Lebenszipfel gehangen sind und damit rechnen mussten, innert weniger Wochen oder Monate zu versterben.

Vorerkrankungen sind Volkskrankheiten

Nur genau das besagt diese Studie nicht. Die Vorerkrankungen sind nämlich hoher Blutdruck, Diabetes, verkalkte Arterien, Asthma. Alles durchaus ernstzunehmende und behandlungswürdige Krankheiten, aber nichts, womit man nicht ein sehr hohes Alter mit guter Lebensqualität erreichen kann.

Zumal Korrelation und Kausalität auch nicht geklärt sind, denn bei diesen Erkrankungen handelt es sich um so genannte Volkskrankheiten, das heißt ein sehr hoher Prozentsatz der Bevölkerung hat diese Krankheiten. Hoher Blutdruck betrifft in Österreich 26-28% der Bevölkerung, Asthma sieben Prozent, Verkalkte Arterien 20% und Herzerkrankungen wie die koronare Herzkrankheit zwischen 15% (Frauen) und 30% (Männer). Es gibt natürlich Wechselwirkungen und Personen mit zwei oder mehreren Vorerkrankungen. Dazu kommen noch RaucherInnen und jene Menschen, die gar nicht wissen, dass sie einen Risikofaktor haben, weil sie nichts diagnostiziert haben. In jedem Fall ist das ein sehr großer Anteil der Bevölkerung, der sicherlich nicht „ohnehin“ bald gestorben wäre.

Sterben, das tun die Anderen

Vielmehr dient dieses Narrativ der Selbstvergewisserung, nicht gefährdet zu sein. Sterben, das tun nur die Anderen. Nicht man selbst und nicht die Leute, die einem lieb sind. Sterben, das tun die mit den Vorerkrankungen und die, die ohnehin in ihrem letzten Lebensjahr sind.

Das ist trügerisch, zumal es ebenfalls die Hypothese gibt, dass auch die Viren-Dosis eine Rolle spielt, was den schweren Verlauf bei ansonsten gesunden jungen PatientInnen erklären könnte.

Dieses Narrativ des mitleidslosen Verweises auf „eh nur die Schwachen und Alten“ (als ob dies nicht reichen würde) hat aber auch eine rassistische und eine Klassenkomponente. Aus den USA gibt es erste Zahlen, dass Blacks, Browns und Latinos überproportional von Covid-19 betroffen sind und daran sterben. Das hat etwas mit strukturellem Rassismus, aber auch mit eben einem höheren Prozentsatz an Vorerkrankungen zu tun. Diese wiederum haben etwas mit Einkommen und Klassendisposition zu tun. Wie überall auf der Welt macht auch in den USA Armut krank.

Das Herunterspielen, Relativieren und Banalisieren des Virus als ohnehin nur gefährlich für die „Schwachen und Alten“ heißt auch „und nur die Armen, die MigrantInnen, die HacklerInnen und die prekär Lebenden und Arbeitenden“. Gesellschaften mitleidslos anhand dieser Grenzen zu spalten ist Klassenkampf von oben.

 

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