Karl Nehammer und Afghanistan: Wenn die Menschenrechte zum Zwang werden
Karl Nehammer verschiebt die Debatte rund um die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan noch weiter nach rechts. Die Menschenrechte scheinen dem Innenminister von Österreich zu lästig.
Die Situation in Afghanistan wird jeden Tag schlimmer. Besonders für vulnerable Gruppen, etwa Frauen, Mädchen, Menschen, die mit ausländischen Medien und Militärs gearbeitet haben oder NGOs bedeutet die Machtübernahme der Taliban akute Lebensgefahr.
Nach langem Zögern sind nun Länder wie die USA, Deutschland, UK, Kanada, aber auch Polen, Kosovo und Albanien bereit, geflüchtete Menschen (zumindest temporär) aufzunehmen. Die Leute zumindest aus Kabul hinaus zu bekommen und sie nicht dem fast sicheren Tod zu überlassen eint all diese, keineswegs linken, Regierungen. Es ist das humanistische und zivilisatorische Minimum: Akut lebensbedrohten Menschen helfen und bürokratische Details später klären.
Nehammers Österreich ist anders
Österreich hat sich für einen anderen Weg entschieden. Bis und nach der Machtübernahme der Taliban ließ Innenminister Nehammer verlautbaren, man werde „solange es möglich ist“ nach Afghanistan abschieben. Nehammer legte nun nach und adaptierte seine Position: „Wenn Abschiebungen aufgrund der Grenzen, die uns die europäische Menschenrechtskonvention setzt, nicht mehr möglich sind, müssen Alternativen angedacht werden“. Im englischen Sprachraum wurde diese Meldung prominent von der Nachrichtenagentur Reuters verbreitet.
Was Nehammer hier macht, ist eine Trump’sche Spezialität: Auf eine grenzüberschreitende Aussage gleich noch einen drauf legen – doubling down. So weiß das Gegenüber gar nicht, worüber es sich zuerst empören soll: Über die Idee, man könnte zu den Taliban abschieben oder über das kaum verhohlene Bedauern darüber, dass die Menschenrechte gelten und man sich deswegen etwas anderes überlegen muss.
Menschenrechte als unangenehme Einschränkung
Die Menschenrechte werden von Nehammer als Begrenzung und Zwang geframed. Nicht als selbstverständlicher Rahmen, den man nicht verlässt, weil diese Rechte Errungenschaften menschlichen Zusammenlebens sind, sondern als auferlegtes Korsett, das man leider nicht ablegen kann. Kein Wort des Mitgefühls, der Solidarität oder des Zuspruchs für die Menschen, die jetzt fliehen müssen. Sie sollen möglichst weit weg bleiben und im Notfall, sobald es irgendwie geht, werden sie zu den Taliban abgeschoben.
Das ist diskursive Grenzüberschreitung im Vorbeigehen. Plötzlich steht es zur Debatte, dass die Menschenrechte ein Hindernis der Außen- und Innenpolitik sind und man sie möglichst ausreizen muss. Es zeigt auch, was alles normal geworden ist in Österreich. Es braucht keine FPÖ in der Regierung, wenn die ÖVP in der Regierung ist. Es gibt auch niemanden, der sie aufhält.