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Demokratie

News-Cycling wie Kurz: Der News Cycle, seine Folgen und was wir dagegen tun können

Das Geheimnis des Erfolgs von Sebastian Kurz ist, in den Medien ständig und schnell wechselnde Themen zu dominieren. Das kann er. Beim Dauerthema Corona stoßen seine Strategien jedoch erstmals an Grenzen. Aber auch jenseits einer Pandemie gäbe es Möglichkeiten, Message Control zu erschweren.
Österreichs Bundeskanzler versteht es wie kein anderer Politiker, den aktuellen „News Cycle“ – die gerade durchs mediale Dorf getriebene Sau – zu reiten. Kurz und sein PR-Team schaffen das mit drei Mitteln: Kernbotschaftstreue, Ankündigungs- und Symbolpolitik sowie ‘Message Control’.

Treue zur Kernbotschaft: Egal bei welchem Thema, Kurz stellt immer einen Bezug zu seinem Lieblingsthema her, seit 2015 ist das Migrationspolitik. Bildungspolitik? Problem ist der Anteil von Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache. Sozialpolitik? Familienbeihilfe für Kinder im Ausland kürzen. Covid-Zahlen steigen nach dem Sommer? Kurz schließt wieder einmal die Balkan-Route (“Das Virus kommt mit dem Auto”). 

Mit diesem Ansatz schafft es Kurz im Unterschied zu allen anderen, die sich temporär auf das jeweilige Thema einlassen, über den News Cycle hinweg eine ihm genehme Kernbotschaft zu verankern: Migration ist das Problem. Positiver Nebeneffekt: Kurz wirkt dadurch auch noch prinzipienfest. 

Ankündigungs- und Symbolpolitik: Um im jeweils gerade brennenden Thema Kommunikationshoheit zu erlangen, reicht es in der Regel, Maßnahmen von großer Symbolwirkung anzukündigen. Ob diese tatsächlich merkbar zur Problemlösung beitragen oder überhaupt umgesetzt werden, ist nebensächlich. 

Ein gutes Beispiel dafür war die 2018 verkündete Schließung von Moscheen. Kurz erntete große mediale Aufmerksamkeit bis nach Deutschland und konnte sich als Führungsperson inszenieren, die hart durchgreift. Als sich 2019 herausstellte, dass wegen handwerklicher Fehler keine einzige Moschee tatsächlich geschlossen worden war, gab es nur vereinzelte Medienberichte. Vorteil davon, dass die 2018 medienwirksam ‚geschlossenen‘ Moscheen letztlich gar nie geschlossen worden waren? Nach dem Terroranschlag 2020 konnten neuerliche Moscheenschließungen verkündet werden.   

Message Control: Flankiert und verstärkt werden Kernbotschaftstreue und Symbolpolitik durch möglichst totale Kontrolle dessen, was und wie Menschen im eigenen Einflussbereich kommunizieren. Message Control bedeutet, wie Johannes Huber anschaulich in einer „praktischen Anleitung“ ausgeführt hat, dass egal ob Partei, Regierungsbüros oder Öffentlichkeitsarbeit von Ministerien, alles dem Prinzip „eine Stimme, eine Botschaft“ untergeordnet wird. Dieses konzertierte Vorgehen trägt maßgeblich dazu bei, dass Kurz auch bei wechselnden Themen in der Regel die Kommunikationshoheit behält.

Gemeinsame Voraussetzung für jede dieser drei Strategien ist die mediale Logik des News Cycles. Weil das dominante Thema im Tages- oder Wochenrhythmus wechselt, kann Kurz mit Kernbotschaftstreue über den News Cycle hinweg wirksam werden. Aus demselben Grund ist Ankündigungs- und Symbolpolitik in den meisten Fällen ausreichend – was interessiert Kurz’ Geschwätz von vor drei Wochen? Im News Cycle zählt allein das Kurzzeitgedächtnis. Und weil darin nur Platz für ein bis zwei Themen ist, reicht es mit Message Control eines dieser beiden Themen zu kapern, um Kommunikationshoheit zu erlangen. 

Corona und die Grenzen des ‘News Cycling’

Der News Cycle ist dabei kein österreichisches, sondern ein allgemeines Phänomen von massenmedialer Öffentlichkeit. Öffentliche Aufmerksamkeit ist beschränkt, vergesslich und (über-)reagiert auf Zuspitzung. “News-Cycling” macht sich diese mediale Aufmerksamkeitsdynamik zu Nutze und ermöglicht es Kurz, von News Cycle zu News Cycle auf der Erfolgswelle zu surfen. 

Wenn Probleme nicht oder unzureichend gelöst werden, bekommt das nie vergleichbar viel Aufmerksamkeit, um die mediale Dominanz sowie das Macher-Image von Kurz zu gefährden. Das gilt auch für andere kommunikativ erfolgreiche Rechtspopulisten wie Donald Trump in den USA oder Boris Johnson in Großbritannien: ihr konsequentes News-Cycling verhindert, dass ihre mäßige bis miserable Bilanz beim Lösen realer Probleme zum Thema wird. 

Erst in einer Marathon-Krise wie der Corona-Pandemie geraten sie mit dieser Strategie ins Straucheln. Der totale Fokus auf kurzfristige Kommunikationshoheit stößt an seine Grenzen, weil Corona seit März die größte Sau im medialen Dorf ist. Dadurch fällt es plötzlich auf, wenn trotz Ankündigungen effektive Maßnahmen fehlen. In Österreich zum Beispiel Investitionen in Corona-sichere Schulen bereits im Sommer. Oder eine nachhaltige Erhöhung des Arbeitslosengelds statt vor allem symbolpolitischen Einmalzahlungen. 

Was hilft gegen ‘News-Cycling’?

Dies führt zur Frage, was – jenseits global-akuter Krisen wie die der Corona-Pandemie – gegen News-Cycling hilft. Ein wesentlicher Punkt sind umfassende und frei im Netz zugängliche Nachrichtenarchive. Archive sind nicht nur die Rache des Journalisten an den Politikern. Archive sind auch eine Medizin gegen Kernbotschaftstreue und Ankündigungspolitik. 

Allerdings ist es heute nicht mehr ausreichend, dass nur professionelle Journalisten in Medienhäusern Zugriff auf Archivinhalte haben. Je mehr öffentliche Debatten sich in soziale Netzwerke verlagern, desto wichtiger ist ein breiter, öffentlicher Zugriff auf Nachrichtenarchive. Leider ist es aber so, dass gerade besonders vertrauenswürdige Nachrichtenquellen oft hinter Paywalls verborgen sind oder, im Fall des öffentlich-rechtlichen ORF, gelöscht werden müssen. Nachrichteninhalte des ORF dauerhaft und frei im Netz verfügbar zu machen, würde ein Ausnutzen des News Cycles erschweren.

Was Message Control betrifft, wäre mehr Transparenz bei der Vergabe von öffentlich finanzierten PR- und Kommunikationsleistungen hilfreich. Die jetzt von Regierungsseite geplante Ausschreibung von Kreativ- und Mediaagenturleistungen von über 210 Millionen Euro sind hier leider ein Rückschritt. Statt konkrete PR-Aufträge einzeln auszuschreiben, wird durch Abschluss eines Rahmenvertrags mit zwei Generalunternehmen eine Vergabehülle aufgeblasen, die Ausgaben für Message Control in Zukunft noch schwerer nachvollziehbar macht. Im Ergebnis steigert das die Bedeutung von investigativem Medienjournalismus. Ein Genre, das in Österreich bislang vor allem von engagierten, aber prekär finanzierten Angeboten wie Kobuk oder Dossier bedient wird. Auch hier wäre der öffentlich-rechtliche, von Presseförderung und Regierungsinseraten unabhängige ORF stärker in der Pflicht. Einmal im Monat eine halbe Stunde Doublecheck auf Ö1 ist als medienjournalistisches Korrektiv jedenfalls zu wenig.

 

In der Reihe „Standardsituationen des Medienversagens“ kommentiert Leonhard Dobusch wiederkehrende, oft auch systemische Probleme der medialen Berichterstattung.

 

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