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Kapitalismus
Arbeitswelt

Offene Geschäftsmieten: “Wir ersuchen Sie zu zahlen!”

Kleinunternehmen und Lokale, die wegen des Coronavirus schließen mussten, können ihre Mieten nicht mehr zahlen. Sie stehen vor dem Aus, während die meisten VermieterInnen auf den Zahlungen bestehen. Die Wirtschaftskammer soll für die kleinen Unternehmen einstehen, gibt aber gleichzeitig der Immobilienbranche ein Rechtsgutachten zur Hand, das es für unzulässig erachtet Mieten auszusetzen.
„Bücher Ernst“ ist eine Wiener Institution: Das Antiquariat mit einer Filiale im sechsten und einer im ersten Bezirk gibt es seit mehr als 40 Jahren. Jetzt hängt es in den Seilen. Wie sehr, das rechnet Harald Anzböck vor, der das Geschäft von seinem Vater Ernst übernommen hat: “Am Mittwoch hatten wir in der Filiale im 6. Bezirk 16,50 Euro Umsatz, am Dienstag kamen 160 Euro rein“, sagt er zu MOMENT.

Normalerweise mache er hier täglich 600 bis 1.000 Euro Umsatz, im zweiten Lokal kommt ähnlich viel zusammen. Jetzt landen nur noch “ein paar Netsch”, wie man in Wien sagt, in der Kassa. Dabei sind inzwischen schon wieder bessere Tage angebrochen in dem Antiquariat, das vor allem für sein überwältigendes Archiv historischer Zeitungen bekannt ist: 2 Millionen Stück hat „Bücher Ernst“ auf Lager.

Denn seit vergangener Woche darf Anzböck seine Geschäfte immerhin aufsperren. Davor lag wegen der behördlich angeordneten Schließung aufgrund der Coronavirus-Pandemie alles brach – liefen die Kosten aber weiter. „Bücher Ernst“ hat nicht nur zwei Lokale. Es ist Mieter von sechs weiteren Immobilien, in denen die historischen Schätze lagern. Da kommt einiges zusammen: 9.000 Euro überweist Anzböck monatlich an VermieterInnen. Schon für den April ist er die Zahlungen säumig. Einfach, weil es nicht geht.

3.000 Euro minus am Konto, bei 5.000 ist Schluss

Für das nächste Monat sieht es nicht besser aus. „Wir haben minus 3.000 Euro am Konto, bis 5.000 können wir gehen“, sagt Anzböck. Er rechnet damit, bis Monatsende vielleicht noch 5.000 Euro umsetzen zu können. Die Gehälter seiner MitarbeiterInnen, die zur Kurzarbeit angemeldet sind, könne Anzböck damit gerade so stemmen, die Mieten gehen sich dann aber nicht mehr aus.

Für ihn ist es keine Frage: Die MitarbeiterInnen gehen vor. „Lieber bezahlen wir sie. Auch, weil sie sich sonst ihr Leben nicht mehr leisten können“, sagt Anzböck. Dazu kommt: „Wie soll ich ein Geschäft betreiben, wenn niemand bei mir arbeitet. Dann geht alles noch schlechter.“ In der vergangenen Woche bewilligte das Arbeitsmarktservice die Kurzarbeitszahlungen. „Das ist bisher das einzig positive.“ Passiert sonst nichts, sieht Anzböck sein Geschäft vor dem Ruin: “Wir müssen schauen, wie lange wir noch durchhalten.”

Wir haben gebeten und gefleht. Da ist kein Entgegenkommen, das hat nichts gebracht
Harald Anzböck, Bücher Ernst

Kommen die VermieterInnen ihm nicht entgegen und erlassen ihm Teile der Mieten, dann muss „Bücher Ernst“ bald zusperren. “Wir haben im März allen Vermietern geschrieben. Wir haben gebeten und gefleht. Das hat nichts gebracht”, sagt Anzböck. In diesen Tagen ist es dasselbe: „Wir müssen den Vermietern schreiben und schauen, was sie sagen.“ Immerhin: Bis Ende Mai dürfe er die Zahlungen noch aufschieben, erlassen oder reduziert werde aber nichts.

Anzböck ist auch zu seiner Bank gegangen, hat einen Überbrückungskredit beantragt. Denn die ausstehenden Mieten, die gestundeten Steuern, zahlen wird er das alles ja trotzdem müssen. „Wahnwitzig“ nennt es Anzböck. Bei der Bank blitzte Anzböck ab. „Das geht nicht, das geht absolut nicht”, habe sie ihm gesagt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse ließen die Bedienung der unterstützten Finanzierung nicht erwarten, richtete die Bank ihm aus. Die Antwort wirkte „wie ein Standardschreiben”, sagt Anzböck.

Solche flattern in diesen Tagen vielen BetreiberInnen von Geschäften und kleinen Unternehmen Bankabsagen ins Haus, die wegen der Coronavirus-Pandemie schließen mussten. Sie erhalten kein Geld von Banken. Geld aus dem Härtefallfonds reicht vielleicht für den Lebensunterhalt, aber bei weitem nicht für die Mieten ihrer Geschäfte. Deren BesitzerInnen fordern aber, dass sie weiterhin gezahlt werden.

Das geht aus zahlreichen Antworten an KleinunternehmerInnen hervor, die darum gebeten hatten, ihnen bei ausstehenden Mieten entgegenzukommen. MOMENT liegen die Schreiben vor. Einmal fordert eine Hausverwaltung von einem Geschäftslokal unmissverständlich, “Ihren Zahlungsverpflichtungen ordnungsgemäß nachzukommen“. Der gleiche Tenor in einem Brief an eine Ein-Personen-Unternehmerin im 6. Bezirk in Wien: Die “Voraussetzung für den gänzlichen Entfall des Mietzinses” liege nicht vor. Sie wird ersucht, “Ihren vertraglichen Bestandszins fristgerecht anzuweisen“.

Die Miete wird normal laut Mietvertrag vorgeschrieben.
Antwort der Immobilienverwaltung auf die Bitte um Mietnachlass

Ein anderes Mal heißt es in einer E-Mail an ein Massageinstitut in Niederösterreich, die Miete werde “normal laut Mietvertrag vorgeschrieben”. Allerdings werde darauf verzichtet, innerhalb der nächsten drei Monate Mahnspesen zu erheben. Auch eine Räumungsklage werde es bis Ende Juni nicht geben. Ein weiterer Immobilienverwalter ist selbst ratlos: “Die Rechtslage ist derzeit nicht ganz eindeutig”, schreibt er. Er wolle abwarten, “was wir von der Wirtschaftskammer bekommen”.

Und das ist bisher ziemlich nebulös: So erklärte die Wiener Wirtschaftskammer nach einem “Sozialpartnergipfel” im März, sie folgten einer gemeinsamen Rechtsauslegung. Und die lautet: “Behördliche Einschränkungen aufgrund des Corona-Virus stellen einen ‚außerordentlichen Zufall‘ dar.” Daraus folge, “dass der Geschäftsraummieter während der Corona-Krise grundsätzlich dazu berechtigt ist, den Mietzins zu reduzieren”.

Was hier erklärt wird, geht zurück auf den Paragrafen 1104 des Allgemeinen Bürgerliches Gesetzbuches (ABGB). Unter einen “außerordentlichen Zufall” fallen demnach Feuer, große Überschwemmungen, aber auch Krieg und Seuchen. Treten diese ein, so sei “kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten”. Das Coronavirus und die behördlich angeordneten Schließungen von Lokalen und Geschäftsräumen fallen laut Wirtschaftskammer Wien also hierunter. Allerdings brauche es noch “eine offizielle Klarstellung seitens der zuständigen Ministerien”. Und die fehlt bisher. Also: Nichts Genaues weiß man nicht.

Behördliche Schließung sei „allgemeines Lebensrisiko“

Doch die Verwirrung wird noch größer: Denn gleichzeitig kommt ein auf der Website der Kärntner Wirtschaftskammer mehr oder weniger versteckt untergebrachtes und gekürzt wiedergegebenes Gutachten einer Wiener Rechtsanwaltskanzlei zum gegenteiligen Schluss. Die behördlichen Schließungen infolge des Coronavirus stellen keinen “außerordentlichen Zufall” dar.

Grund: Die Geschäftsräume und Lokale selbst seien ja theoretisch weiterhin problemlos benutzbar. “Die Gebrauchsbeeinträchtigung ergibt sich nicht aus einer ‘Seuche’, sondern nur aus einem bestimmten Tätigkeitsverbot für bestimmte Berufsgruppen auf bestimmte Art und Weise”, schreiben die Anwälte. Die Schließungen der Geschäfte und Unternehmen betreffen demnach nicht die Immobilien selbst, sondern “nur das darin betriebene Unternehmen und die Art der Ausübung”.

Es sei damit “juristisch argumentierbar”, dass die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Virus ein “allgemeines Lebensrisiko des Unternehmers” darstellen und er oder sie damit keineswegs davon befreit wäre, weiterhin Miete zu zahlen. “Vom eigenmächtigen Einbehalt des Mietzinses kann nur abgeraten werden”, rät daher das Gutachten. Eine Beratungsfirma für Steuern und Immobilien gibt dazu “Tipps”. Darin heißt es: “Der generelle Stopp der Mietzinszahlung wird wohl gravierende Reaktionen beim Vermieter auslösen.”

Das Gutachten ist eine Ansammlung juristischer Spitzfindigkeiten.
Patrice Fuchs, vidaflex

Es sind Sätze, die auf die BetreiberInnen kleiner Geschäfte und Unternehmen wie eine Drohung wirken. Das Gutachten sei “eine Ansammlung juristischer Spitzfindigkeiten”, sagt Patrice Fuchs, Sprecherin von der gewerkschaftlichen Initiative für Ein-Personen-Unternehmen und neue Selbständige, vidaflex zu MOMENT. Sie verweist darauf, dass zahlreiche VermieterInnen immer wieder Sätze aus dem verteilten Gutachten von der Wirtschaftskammer-Website verwenden würden, um zu begründen, dass sie Mieterlässe und Stundungen nicht akzeptierten.

Die Wirtschaftskammer sitzt hier zwischen den Stühlen: Einerseits soll sie die Interessen der KleinunternehmerInnen und Geschäfte vertreten. Andererseits steht sie auch aufseiten der Immobilienbranche, also den VermieterInnen und Hausverwaltungen. Das Dokument mit den juristischen Kniffen und Tipps, auf Mietzahlungen zu bestehen, findet sich in Abteilung für „Immobilien- und Vermögenstreuhänder“ der Wirtschaftskammer-Website.  

MOMENT fragte bei zahlreichen ImmobilienverwalterInnen nach, wie sie mit ihren LokalmieterInnen und in ihren Objekten ansässigen KleinunternehmerInnen umgehen. Wir fragten, ob sie um Mieterlässe und Stundungen gebeten worden sind, ob sie diese gewährt haben und falls nicht, wie sie Absagen darüber begründet haben. MOMENT wollte auch wissen, in welchem Ausmaß die Immobilienunternehmen selbst von der Krise infolge des Coronavirus betroffen sind. Denn auch sie müssen weiter laufende Kosten zahlen, müssen MitarbeiterInnen entlohnen und haben möglicherweise irgendwann keine Rücklagen mehr am Konto. Bis zum Redaktionsschluss erhielten wir keine einzige Antwort.

Gehen die Geschäfte pleite, verlieren alle

Klar ist auch: Können der „Bücher Ernst“ in Wien, das Massageinstitut in Niederösterreich und Tausende andere Lokale und Kleinunternehmen ihre Mieten nicht mehr zahlen oder gehen sogar pleite, bekommen auch die BesitzerInnen massive Probleme. Irgendwann steht das Geschäftslokal vielleicht sogar ganz leer – und das nicht nur für ein oder zwei Monate. Dann würden alle verlieren. 

Damit genau das nicht passiert, reagieren VermieterInnen mitunter auch kulant. “Für unsere Filiale im ersten Bezirk wurde uns die Miete erlassen”, sagt Harald Anzböck. “Dafür sind wir sehr dankbar.” Es ist dieses “An-einem-Strang-Ziehen”, das jetzt in der Krise so gerne gepredigt wird. Aber es ist eine Ausnahme: Im Falle dieser Geschichte kam von neun Unternehmen, die um Nachsicht gebeten wurden, nur dieses eine seinem Mieter so entgegen.

 

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