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Gesundheit

Ohne Krankenversicherung durch die Corona-Krise

In Österreich sind die meisten Menschen krankenversichert. Die unversicherte Minderheit ist allerdings gerade während der Corona-Krise verletzlich. Auf eine besonders gefährdete Gruppe macht eine neue Initiative aufmerksam. #undokumentiertgesund heißt der Zusammenschluss aus AktivistInnen und MedizinerInnen, die auf die unzureichende medizinische Versorgung von Menschen ohne Papieren aufmerksam machen.

In Österreich sind die meisten Menschen krankenversichert. Die unversicherte Minderheit ist allerdings gerade während der Corona-Krise verletzlich. Auf eine besonders gefährdete Gruppe macht eine neue Initiative aufmerksam. #undokumentiertgesund heißt der Zusammenschluss von AktivistInnen und MedizinerInnen, die auf die unzureichende medizinische Versorgung von Menschen ohne Papieren aufmerksam machen.

Keine Papiere, keine Versicherung

„Laut Schätzungen gibt es ungefähr 100.000 Menschen in Österreich, die nicht dokumentiert sind. Sie haben keine Papiere und damit auch keine Krankenversicherung“, sagt Tobias Schweiger, der die Initiative #undokumentiertgesund ins Leben gerufen hat.

Wer am Coronavirus erkrankt, muss das melden. Schweiger befürchtet allerdings, dass sich Betroffene nicht melden, wenn sie Angst vor einer Abschiebung oder Ausweisung aus Österreich haben. „Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Am besten wäre es, die Kontrollen des Aufenthaltsstatus zumindest für die nächsten Monate abzustellen. Das wäre schon eine Hürde weniger.“ In den größeren Städten gibt es zwar häufig Einrichtungen, die auch Nicht-Versicherte behandeln, diese stoßen allerdings an ihre Grenzen. Langfristig müsse es ein staatliches Versicherungsinstrument für undokumentierte Personen geben, sagt er.

 

Keine Chance auf Schutz

Michael Fuchs forscht am European Centre for Social Welfare Policy and Research. Auch er identifiziert Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft als gefährdete Gruppe, wenn es um Krankenversicherung geht. Aber nicht nur undokumentierte Personen sind betroffen. „EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörige, die nicht zumindest fünf Jahre in Österreich leben oder hier arbeiten, beziehungsweise gearbeitet haben, haben kaum eine Chance auf Versicherungsschutz“, sagt Fuchs. Für Menschen mit Staatsbürgerschaft müssten hingegen außergewöhnliche Umstände bestehen, um über einen längeren Zeitraum unversichert zu sein.

Wohnungslosigkeit ist etwa so ein Umstand, der auch zum Verlust der Krankenversicherung führen kann. Das Wiener Neunerhaus betreibt ein Gesundheitszentrum, in dem wohnungslose und unversicherte Menschen behandelt werden. „Seit Beginn der Pandemie kommen mehr Menschen zur medizinischen Versorgung zu uns“, sagt Elisabeth Hammer, Geschäftsführerin des Vereins Neunerhaus. Etwa die Hälfte der PatientInnen seien nicht versichert, sagt sie. Dort, wo die Betroffenen Anspruch auf Mindestsicherung oder andere Sozialleistungen haben, unterstützt Neunerhaus, diese zu beantragen und damit auch den Versicherungsschutz wieder herzustellen. Das ist aber nicht bei allen der Fall. „Jetzt ist höchste Zeit für eine strukturelle Lösung“, sagt Hammer, „Medizinische Versorgung ist eine Frage der Menschenrechte.“

 
Ein Foto vom Neunerhaus-Gesundheitszentrum vor Corona. In der Lobby stellen sich Menschen ohne Versicherung an um ärztliche Untersuchungen an.

Das Neunerhaus-Gesundheitszentrum vor der Pandemie. Foto: Christoph Liebentritt

Unbemerkt aus dem System gerutscht

Im Jahr 2010 wurde die bedarfsorientierte Mindestsicherung eingeführt, die eine Krankenversicherung inkludiert. „Dadurch hat sich der Versicherungsschutz in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert“, sagt Fuchs. „Es gibt aber das Problem der Nicht-Inanspruchnahme der Mindestsicherung. Nach unserer Studie sind das immer noch 30 Prozent – wobei diese Personen aber auch anderweitig versichert sein könnten.“

Unwissenheit ist eine Ursache, die österreichische StaatsbürgerInnen unversichert zurücklässt. Wer sich nicht nach Jobverlust oder Ende der Mitversicherung bei den Eltern um die Krankenversicherung kümmert, erlebt beim nächsten Arztbesuch eine böse Überraschung. Viele wissen einfach nicht, dass sie nicht mehr versichert sind. Falls in dieser Phase ein schlimmer Unfall passiert, gibt es noch die Möglichkeit, sich rückwirkend versichern zu lassen, falls beispielsweise Anspruch auf Mindestsicherung besteht. „Das ist aber ein Graubereich. Ein Restrisiko bleibt.“ Fuchs schlägt daher vor, dass Betroffene per Brief informiert werden sollen, sobald ihre Krankenversicherung ausläuft.

In seinem Paper aus dem Jahr 2019 kommt Fuchs auf etwa 27.000 Nicht-Versicherte in Österreich. „Ich muss aber gleich warnen, die Zahl birgt viele Unsicherheiten“, sagt er. Denn die Zahl der Versicherten ist nur eine Annäherung, die der Bevölkerung entspricht, die nachweislich hier wohnt, nicht-gemeldete Menschen werden im Vorhinein ausgeschlossen. „Es könnten auch bis zu 50.000 Nicht-Versicherten sein. Sicher ist das allerdings nicht.“ Werden die Zahlen durch Corona und die resultierende Arbeitslosigkeit steigen? „Nicht unmittelbar. Wer arbeitslos wird oder in Kurzarbeit ist, ist weiterhin versichert. Stärker gefährdet sind unter Umständen Selbstständige und geringfügig Beschäftigte.“

Für Menschen ohne Papiere gibt es weiterhin keine Aussicht auf gute medizinische Versorgung. „Was mich wirklich beschäftigt, ist, dass es keine politische Anwaltschaft für diese Menschen gibt“, sagt Schweiger von #undokumentiertgesund. „Man würde erwarten, das ist ein klassisches Thema der Grünen. Außer einer unverbindlichen Stellungnahme des Gesundheitsministers gab es jedoch keine Reaktion der Regierung auf diese Herausforderung.“

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