Die olympischen Spiele im Kulturkampf
Zwei Auftritte rückten in den Mittelpunkt der künstlichen Erregung von rechts. Zum einen die Modenschau, die maßgeblich von Drag Queens bestimmt war. Zum Anderen ein Ritt einer verhüllten Figur über die Seine.
Abendmahl mit Drag Queens?
Die Modenschau begann mit einem Standbild, einem lebenden Gemälde. Die Personen verharrten für ein paar Sekunden in einer Pose. Sofort wurde darin vermeintlich “das letzte Abendmahl” von Leonardo Da Vinci erkannt, das im Speisesaal einer Kirche in Mailand (Italien) hängt.
Die Perspektive lässt durchaus eine Ähnlichkeit anmuten, schließlich sind viele Leute um einen Tisch drapiert. Eine erste Idee, dass es vielleicht nicht das letzte Abendmahl ist, hätte die blaue Figur im Vordergrund sein können. Das ist Dionysos (bzw. Bacchus) und war kein Gast beim letzten Abendmahl, sondern der Gott der Gelage und Festivitäten.
Ein zweiter Hinweis war, dass der ganze Block “Festivité” genannt wurde. Das letzte Abendmahl war gewiss keine ausgelassene Angelegenheit, auf die man im Rahmen der Olympischen Spiele referenzieren will.
Die Bacchinalen hingegen sind eher das, was man heutzutage als Party bezeichnen würde. Auch das hätte ein Hinweis sein können. Das referenzierte Bild heißt übrigens “Das Festmahl der Götter”, wurde von Jan van Bijlert gemalt und hängt in Dijon (Frankreich).
Fakten stören im Kulturkampf
Fakten stören aber nur im Kulturkampf, denn schon ritten die apokalyptischen Reiter des Kulturkampfs aus, um Desinformation, Wehleidigkeit, Empörung und Hass zu verbreiten. Da wurde Wokeness moniert und dass das alles eine Beleidigung religiöser Gefühle sei. Das ist insofern interessant, weil da Vincis letztes Abendmahl eines der ikonischen Bilder überhaupt ist. Dementsprechend oft wird darauf in der Bildsprache referenziert, etwa bei den Sporanos, Southpark oder bei Akte X. Ein Poster mit bekannten Filmstars (und Marylin Monore in der Jesus-Position) ist eines der meistverkauften der 90er.
Hat das dieselben Reaktionen ausgelöst? Nein, denn das Bild ist ikonisch und ikonische Bilder werden nachgestellt (vergleiche die Mona Lisa oder das Mädchen mit dem Perlohrring oder die vielen Referenzen auf den Turmbau zu Babel in Film und Games).
Es gibt einen entscheidenden Unterschied: Die Drag Queens. Es geht nämlich gar nicht um eine vermeintliche Heiligkeit des Bildes (die es nicht gibt), sondern darum, gegen Drag Queens zu hetzen. Denen möchte man keinen Platz in der kulturellen Repräsentation eines Landes wie Frankreich zugestehen.
Satanistisches Schauspiel oder Göttin der Seine
Die zweite Sequenz ist fast noch absurder. Sie betrifft die (unendlich coole) Reiterin, die auf einem metallenen Pferd in Rüstung und mit verhülltem Gesicht mit der olympischen Fackel die Seine hinabgeritten ist. Klarerweise dachten die Kulturkämpfer, dass hier der biblische Tod dargestellt wird.
In der Offenbarung des Johannes öffnet das Lamm das Buch mit den sieben Siegel und nach und nach erscheinen zu Pferde die vier apokalyptischen Reiter (Hunger, Krieg, Krankheit und Sieg der Unterwelt). Danach erscheint ein weiterer Reiter: “Da sah ich und siehe, ein fahles Pferd; und der auf ihm saß, heißt ‚der Tod‘; und die Unterwelt zog hinter ihm her. Und ihnen wurde die Macht gegeben über ein Viertel der Erde, Macht, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde.”
Die geistige Kulturkampf-Akrobatik, aus der Reiterin auf der Seine den biblischen Tod zu formen, wurde in Windeseile vollführt und als Beleg für ein satanisches Schauspiel gewertet. Eine andere, vielleicht etwas plausiblere, Erklärung kam gar nicht in den Sinn. Etwa, dass es sich bei der Reiterin um die römisch-keltische Göttin Sequana handelt – der Göttin der Seine, die insbesondere in ihrem Quellgebiet bei Dijon verehrt wurde. Der Mantel ist ein gallischer Kapuzenmantel, der zur Ikonographie keltischer Gottheiten gehört.
Man hätte diese Eröffnungsfeier auch für das Auffrischen oder Neulernen von Geschichte und Kultur nutzen können. Kulturkämpfer sehen aber in allem, was sie nicht (er)kennen, einen Angriff auf sich selbst und wollen es vernichten.