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Kapitalismus
Fortschritt

PendlerInnen in Österreich – eine Vermessung

Unter den erwerbstätigen ÖsterreicherInnen sind sie die Mehrheit: PendlerInnen, die ihre Gemeinde verlassen, um zur Arbeit zu kommen. Wann gilt jemand als PendlerIn? Wie viele von ihnen steigen ins Auto? Und was kostet sie das an Lebenszeit und uns alle an Geld?
 

Österreichs Auto-PendlerInnen sind wahre Zankäpfel: Einerseits werden sie gelobt und umsorgt als HeldInnen der Arbeit, die besonders hohe Kosten und Mühen auf sich nehmen müssen, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen, andererseits als KlimasünderInnen verurteilt, die mit ihren Karossen die Luft verpesten, Staus verursachen und über die Penderpauschale vom Staat auch noch alimentiert werden. Die jeweilige Sichtweise auf das Phänomen der Pendelei hängt wohl stark davon ab, ob man aus dem Auto heraus schaut oder von außen aufs Auto.

Wer pendelt und wenn ja, wie viele?

PendlerIn ist man leicht: Schon wer einen Fuß vor die Tür setzen muss, um zum Arbeitsplatz zu kommen, gilt statistisch gesehen als PendlerIn – auch wenn der Weg nur wenige hundert Meter weit ist. Folglich weist die Statistik Austria mehr als 90 Prozent aller Erwerbstätigen in Österreich als ArbeitspendlerInnen aus. Darunter sind natürlich auch die Personen, die täglich von ihrer Gemeinde in eine andere oder gleich in ein anderes Bundesland fahren müssen, beispielsweise von Mistelbach in Niederösterreich nach Wien.

Diese „klassischen“ PendlerInnen machen 2,2 Millionen der rund 4 Millionen Erwerbstätigen in Österreich aus, also mehr als die Hälfte. PendlerInnen-Bundesland Nummer Eins ist das Burgenland: 74 Prozent der 137.000 Erwerbstätigen dort verlässt am Weg zum Arbeitsplatz die Heimatgemeinde. In Niederösterreich sind es 71 Prozent und mit mehr als 570.000 Personen wohnen hier die absolut meisten PendlerInnen in ganz Österreich.

Wie weit geht es und wie lange brauchen wir zur Arbeit?

Beinahe die Hälfte aller Erwerbstätigen in Östereich, 43 Prozent, legt für die Strecke zum und vom Arbeitsplatz mehr als 20 Kilometer zurück, fand das Verkehrsministerium in einer umfragebasierten Studie heraus. In Niederösterreich brauchen 14 Prozent der Erwerbstätigen länger als eine Stunde, um zur Arbeit zu kommen. Im Burgenland sind es 13 Prozent. In allen anderen Bundesländern ist der Anteil derer, die täglich zwei Stunden oder länger am Weg zur Arbeit und zurück verbringen, viel geringer.

Wie wichtig ist den PendlerInnen das Auto?

„200.000 Autos schieben sich in der Früh nach Wien hinein und am Abend wieder hinaus“, stöhnte Wiens damalige Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou im vergangenen Jahr. Alle diese Fahrzeuge aneinandergereiht ergäben eine Kette „länger als die Strecke Wien-Rom“, so die Grünen-Politikerin, die damals eine City-Maut vorschlug. Tatsächlich pendeln täglich fast 270.000 Menschen zum Arbeiten nach Wien ein, so viele wie in keine andere Stadt in Österreich. Landesweit ist für 65 Prozent aller PendlerInnen das Auto das Verkehrsmittel der Wahl, und das „bei sehr niedrigem Besetzungsgrad“, so das Verkehrsministerium. Heißt: In den meisten Autos sitzt nur eine Person. Lediglich fünf Prozent geben an, sie würden als BeifahrerIn im Auto einer anderen Person in die Arbeit fahren. In Kärnten steigen sogar 80 Prozent aller PendlerInnen ins eigene Auto und fahren sieben Prozent bei anderen mit.

Was kostet uns die Pendelei?

Wer zur Arbeit weite Wege fahren muss und noch dazu kaum eine Möglichkeit hat, dafür öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, der erhält die sogenannte Pendlerpauschale. Im Jahr 2016 wurden damit mehr als 1,3 Millionen Erwerbstätige gefördert. Fast 1,3 Milliarden Euro wurden im Jahr 2016 als Pendlerpauschale in Anspruch genommen, heißt es in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung des Finanzministeriums. (Ergänzung 23.10.2019: Wie viel weniger Steuern der Staat aufgrund der Pendlerpauschale tatsächlich einnimmt, ist nicht genau bekannt: Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO nennt für die Jahre 2010-2013 einen jährlichen Betrag von 560 Millionen Euro. Die Steuerreformkommission schätzte 2014 deren Aufkommen auf 500 Millionen Euro jährlich. Anmerkung dazu: In der ersten Version des Artikels wurde das Aufkommen der Pendlerpauschale der im vergangenen Jahr ausbezahlten Mindestsicherung gegenübergestellt. Der Vergleich ist allerdings irreführend, wie ein Leser zutreffend anmerkte.) Zu einem großen Teil fließt dieses Geld in Form von Sprit in die Tanks der Autos der PendlerInnen. Als die Pauschale 1972 eingeführt wurde, war sie dafür gedacht, die zusätzlichen Kosten und den zusätzlichen Zeitbedarf von Erwerbstätigen abzufedern, die weite Wege in die Arbeit zurücklegen müssen. Denn oft gibt es schlicht keine Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen wie dem Südburgenland oder dem Waldviertel und sind öffentliche Verkehrsmittel nur schlecht ausgebaut.

Wer profitiert von der Förderung für PendlerInnen?

Doch diese Auto-PendlerInnen bilden nicht die Mehrheit. Die meisten von ihnen leben in den sogenannten Speckgürteln von Wien und den Landeshauptstädten. Innsbruck-Land, Graz-Umgebung, Linz-Land, Salzburg-Umgebung und Baden bei Wien sind laut Daten der Statistik Austria die Bezirke mit den meisten Personen, die zur Arbeit pendeln. Dort zu wohnen und mit dem Auto in die nahe gelegene Großstadt zur Arbeit zu fahren ist in den allermeisten Fällen wohl eine freiwillige Entscheidung von gut verdienenden Menschen – die mit der Pendlerpauschale gefördert wird. Eine Studie des WIFO kam zu dem Schluss, dass nur drei Prozent der gesamten Pendlerpauschale Erwerbstätige im untersten Viertel der Einkommen zugutekommt. 70 Prozent der Förderung erhalten Besserverdienende.

Wieviele Emissionen verursacht der Pendelverkehr?

Der Straßenverkehr ist in Österreich ein massiver Klimakiller. Fast 30 Prozent beträgt der Anteil des Verkehrs an den Treibhausgas-Emissionen in Österreich. Seit 1990 ist der Beitrag des österreichischen Straßenverkehrs zur Klimakrise immer weiter angestiegen: Jährlich werden hier inzwischen 23,7 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen. Das sind laut Umweltbundesamt 72 Prozent mehr als 1990. „Der Verkehr macht alle CO2-Einsparungen in anderen Bereichen zunichte“, sagte Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ) zu Moment. Der größte Teil dieses Schadstoffkuchens kommt aus den Auspuffen von privat und dienstlich genutzten Pkw. Seriöse Zahlen darüber, wie viel CO2 das Pendeln zur Arbeit und zurück jährlich verursacht, gibt es jedoch nicht. Klar scheint: Die Förderung des motorisierten Pendelverkehrs mit Geld hat nicht dazu geführt, dass Österreichs Erwerbstätige weniger Kilometer mit dem Auto zurücklegen.

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