Personal bei 1450-Gesundheitsnotruf wegen Coronakrise am Limit: "Wir sind total ausgelaugt"
Die medizinische Fachkraft will anonym bleiben. Sie sagt, es gäbe Kommunikationsprobleme zwischen der offiziellen Informationsstelle, der MA15, und den MitarbeiterInnen vom Gesundheitsnotruf Wien. Sie würden wichtige Informationen zu Regierungsmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus oft zu spät erhalten. Änderungen der sogenannten “Falldefinitions-Checkliste”, also eine Liste an Fragen, mit deren Hilfe Angestellte bei 1450 entscheiden, ob der/die AnruferIn auf Corona getestet werden soll, würde teilweise zu spät bekannt gegeben.
Medien wissen mehr als 1450-Mitarbeiter
Als beispielsweise Tirol unter Quarantäne gestellt wurde, erfuhren die Angestellten erst aus den Medien davon. Vorher meldeten sich bereits die ersten AnruferInnen bei 1450. “Wir konnten Leuten, die gerade in Tirol waren, nicht sagen, ob sie in die Falldefinition der Stadt Wien passen, weil uns das noch nicht kommuniziert wurde.” Die Angestellten des Gesundheitsnotrufs müssten also besorgte AnruferInnen wieder abweisen. Sie dürfen AnruferInnen auch keine Informationen geben, die ihnen nicht offiziell vermittelt wurden.
Ein Sprecher des Fonds Soziales Wien gab an, dass man die Informationen des Gesundheitsministeriums so rasch wie möglich an die MitarbeiterInnen bei 1450 weitergeben würde. “Natürlich kann es vorkommen, dass in Medien schon vor Vorliegen der aktualisierten Falldefinition neue Entwicklungen kommuniziert werden. Bei 1450 muss immer auf die letztgültige Falldefinition zurückgegriffen werden.”
Das von der Fachkraft beschriebene Kommunikationsproblem bestehe ebenfalls zwischen der 1450 und dem Ärztefunk (141). Der wird verständigt, wenn jemand auf das Coronavirus getestet werden soll und muss die Tests anordnen. Teilweise würden Menschen laut Fachkraft aber nicht untersucht, weil diese ihre Adresse in der Aufregung nicht korrekt angegeben haben und es keine Kapazitäten gebe, diese nachzuprüfen. Dass möglicherweise infizierte Menschen nicht getestet wurden, würden die MitarbeiterInnen vom Gesundheitsnotruf dann erst erfahren, wenn die Betroffenen erneut bei ihnen anrufen. Für den Sprecher der Ärztekammer und des Ärztefunks Peter Petutschnig sind diese Vorwürfe nicht nachvollziehbar. Die Adresse würde bereits im Vorhinein geprüft, auch Kapazitätsprobleme gäbe es keine beim Ärztefunk – wohl aber beim Gesundheitsnotruf.
Schlimme Zustände nicht neu
Die medizinische Fachkraft vom Gesundheitsnotruf bestätigt die Medienberichte über lange Wartezeiten. Es gäbe zu wenig Angestellte. “Wir sind absolut ausgelaugt”, beschreibt sie die Stimmung unter KollegInnen. “Bereits während der normalen Grippewelle arbeiten wir am Limit. Die Situation jetzt zeigt nur, wie schlecht es 1450 wirklich geht.”
Der Sprecher des medizinischen Krisenstabs der Stadt Wien, Andreas Huber, meint, die Stimmung unter den Angestellten beim Gesundheitsnotruf sei aufgrund der vielen Anrufe verständlich. Am Höhepunkt der Unsicherheit in der Bevölkerung hat es mehr als 21.000 Anrufe pro Tag gegeben. Deswegen habe man am Wiener Standort auch von 30 auf 300 MitarbeiterInnen aufgestockt. “In der Anfangsphase kam es unbestritten zu Problemen, was die Arbeitsplätze und auch die räumlichen Gegebenheiten betrifft. Das ist bei einer derartigen ungeplanten Expansion auch nicht überraschend. Wir haben so rasch wie möglich und in ganz kurzer Zeit unsere Strukturen enorm erweitert und ausgebaut”, so ein Sprecher des Fonds Soziales Wien.
Der Fachkraft im Großraumbüro des Notrufs zufolge ist das wohl noch nicht genug. Aufgrund von Krankenständen seien in einer Schicht oft nur zwei Fachkräfte für hunderte AnruferInnen zuständig. Ab nächster Woche sollen endlich sechs neue ausgebildete MedizinerInnen eingeschult werden. “Das hat bei uns fast zu Freudentränen geführt”, so die Fachkraft. Diese Aufstockung käme “gerade noch rechtzeitig”, auch wenn 1450 Wien immer weniger Anrufe verzeichnet. Am 23. März waren es zuletzt knapp 4.600. Laut dem Fonds Soziales Wien würden sich 90 Prozent der Anrufe auf Corona beziehen.
Aufstockung braucht Zeit
Die vom Fonds Soziales Wien angesprochene Aufstockungen beträfen wohl hauptsächlich die Erstaufnahme der AnruferInnen. Die erste Einschätzung möglicher Corona-Fälle übernehmen jetzt neu eingestellte MedizinstudentInnen. Das sei eine große Erleichterung für die Angestellten beim Notruf, so die Fachkraft. Allerdings kosten die Einschulungen auch erst einmal Zeit, die bei der eigentlichen Beratung der AnruferInnen fehle.
Zudem gäbe es auch bei der Ausrichtung für die Studierenden Engpässe. Bei der Ausbildung hätten sie sich Headsets teilen müssen. So hätten die vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen nicht eingehalten werden können. Überhaupt sei es unmöglich, im Großraumbüro den nötigen Sicherheitsabstand zwischen den Arbeitsplätzen einzuhalten. Home Office sei technisch möglich aber von der Projektleitung abgelehnt worden. Auch Desinfektionsmittel würden vom Vertragspartner, der für die Räumlichkeiten verantwortlich ist, nicht zur Verfügung gestellt.
Vom Fonds Soziales Wien heißt es, es gäbe sehr wohl ausreichend Headsets und Desinfektionsmittel. “Bei den Reinigungsdiensten ist es in der Vergangenheit an einem Standort zu vereinzelten personellen Engpässen bei unserem Dienstleister gekommen. Das wurde inzwischen behoben, wurde uns zugesichert“, so der Sprecher vom Fonds. Mittlerweile ist auch ein zweiter Standort eröffnet.
Belastende Arbeit
Trotz der Maßnahmen des Fonds Soziales Wien, die laut dessen Auskunft so schnell wie möglich ergriffen wurden, sei der Unmut unter den Angestellten von 1450 groß, berichtet die Fachkraft. Der psychische Druck sei enorm, man befände sich ja tagtäglich in einer “Corona-Blase” und das ohne ein Ende in Sicht: „Man hat acht Stunden die Angst der Menschen im Ohr.“