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Ungleichheit

Pfandleihen ersetzen kein Sozialsystem: "Die einzige Geldquelle, die der ein oder andere hat"

Pfandleihen ersetzen kein Sozialsystem: "Die einzige Geldquelle, die der ein oder andere hat"
Als die Grüne Sigrid Maurer auf Twitter kürzlich die Öffnung von Pfandleihhäusern verteidigte, gingen die Wogen hoch. Warum und für wen gibt es sie überhaupt und hat das etwas mit Sozialpolitik zu tun? MOMENT hat in den Wiener “Pfandln” nachgefragt.
Im Dorotheum in der Lugner City herrscht Hochbetrieb. Es ist Freitagvormittag. Eine Schlange hat sich vor den Schaltern der Pfandleihe gebildet. Ein Schild mit den üblichen Corona-Sicherheitsvorschriften steht vor der Geschäftsordnung, die an der Wand hängt. Schwarz-Gelbe Markierungen am Boden mahnen, Abstand zu halten. 

Eine Frau mittleren Alters mit langen Haaren und einem weißen Mund-Nasen-Schutz steht vor dem Schmuck in den gläsernen Schaukästen, ihren Pfandbeleg in der Hand. Heute hat sie eine Uhr ins Dorotheum gebracht, um sie zu verpfänden. 220 Euro hat sie dafür bekommen, den Betrag plus Zinsen muss sie in spätestens drei Monaten zurückzahlen. Sie will in den Medien lieber ohne Namen bleiben.

“Es ist furchtbar, jetzt, mit dieser Krise”, beantwortet sie die Frage, warum sie so dringend Geld braucht. Sie ist Köchin – und seit drei Monaten wegen der Corona-Maßnahmen ohne Arbeit. Und es ist für sie nicht der erste Gang zur Pfandleihe.

Tweet der Grünen Sigrid Maurer ließ Wogen hochgehen

Pfandleihhäuser wie das Dorotheum sind für manche Menschen der letzte Ausweg, wenn sie schnell Geld benötigen. Weil etwa das Gehalt erst ein paar Tage, nachdem die Miete fällig ist, überwiesen wird. Oder weil die Unterhaltszahlungen auf sich warten lassen und sich deshalb die Rechnungen häufen. Wird es finanziell knapp, kann man hier seine Wertsachen schätzen lassen und dafür ein Pfanddarlehen erhalten. Aufgrund der wirtschaftlichen Schäden, die die Corona-Krise mit sich gebracht hat, könnte man meinen, dass mehr Menschen als sonst ihr Hab und Gut verpfänden würden.

Die Klubchefin der Grünen Sigrid Maurer schrieb vor einigen Wochen auf Twitter (der Tweet wurde mittlerweile gelöscht), die Öffnung der Pfandleihhäuser sei eine wichtige Hilfestellung für viele Menschen. Das sei so an die Regierung herangetragen worden und man habe sich deshalb dafür eingesetzt, dass die Pfandleihen früher als andere Geschäfte gemeinsam mit den Banken nach dem Lockdown wieder öffnen dürfen, schrieb Maurer.

Diese Aussage wurde von anderen Twitter-UserInnen, der FPÖ und auch der kommunistischen Jugend Österreich (KJÖ), kritisiert. Letztere unterstellte der grünen Klubchefin ein „fatales Verständnis von Sozialpolitik“, wenn sie meine, die Pfandleihe sei tatsächlich ein Mittel zur Abwendung finanzieller Notlagen. Maurer sagt darauf angesprochen gegenüber MOMENT, es habe zu dieser Aufregung viel Falschberichterstattung gegeben. Sie halte Pfandleihen keinesfalls für eine sozialpolitische Maßnahme gegen Armut. „In unserer Vorstellung von Sozialpolitik soll niemand auf unseriöse Kredite oder Pfandleihen angewiesen sein“. Ihr sei es damals darum gegangen, die Frage eines anderen Users zu klären, warum ausgerechnet Pfandleihen zu diesem Zeitpunkt schon wieder öffnen durften.

Wie machen Pfandleihhäuser Geld?

Tatsächlich steht das Gewerbe der Pfandleihe immer wieder in der Kritik. Zuletzt hat die Arbeiterkammer Oberösterreich davor gewarnt, allzu schnell und unüberlegt die eigenen Wertsachen zu verpfänden. Es ist nämlich so: Man bekommt zwar von der Pfandleihe direkt und unbürokratisch Geld. Am Ende zahlt man aber immer drauf. Die Zinsen sorgen dafür, dass man übers Jahr gerechnet fast immer wesentlich teurer aussteigt, als wenn man einen Kredit bei der Bank aufnehmen oder das Konto überziehen würde. 

Bringt man also zum Beispiel sein Auto zum Pfandleihhaus, bekommt man dessen geschätzten Wert ausgezahlt. Dort bleiben kann das Auto dann für eine gewisse Zeit. Kann man am Ende dieser Frist nicht den Wert des Autos plus Zinsen und zusätzliche Gebühren zurückzahlen, wird es versteigert. In der Regel zahlen KundInnen den fälligen Betrag in Teilen zurück, so die Pfandleiherin Karin Meier-Martetschläger. Fällt bei der Versteigerung nach Abzug der Zinsen und Nebenspesen ein Gewinn ab, geht der an die Kundin oder den Kunden. 

Grobe Mängel von Arbeiterkammer festgestellt

Man kann die Frist auch verlängern, nur schießen dann die Kosten mit der Zeit in die Höhe. Wie hoch die sind, ist sehr unterschiedlich. Denn Pfandleihen sind freie Gewerbe. JedeR kann eine eröffnen, nur die Geschäftsordnung, in der auch der Kredit festgelegt ist, muss vorher vom jeweiligen Magistrat oder der Bezirkshauptmannschaft genehmigt werden. Einem Pfandleihhaus ist es egal, ob die Kundschaft „kreditwürdig“ ist, denn im Unterschied zum Bankkredit haftet nicht die Kundschaft, sondern das Pfand. Geld machen sie durch die Zinsen und Zusatzgebühren. Doch ein Pfandleihhaus gilt als sicheres Geschäft, laut eigenen Angaben werden 90 Prozent der Pfandgegenstände beim Dorotheum wie auch bei der Pfandleihanstalt von Karin Meier-Martetschläger auch wieder ausgelöst.

Für die Kundschaft der Pfandhäuser ist es allerdings nicht immer ein so gutes Geschäft,  sagt der Berater für KonsumentInnenschutz bei der Arbeiterkammer Wien, Christian Prantner. Die Arbeiterkammer hat bei einer Untersuchung von Pfandleihhäusern 2015 grobe Mängel festgestellt. Versteckte Geschäftsordnungen mit teils fragwürdigen Klauseln, sehr unterschiedliche Preiseinschätzungen des Pfands und unübersichtliche Zinsen und Gebühren gehören dazu.

“Baumarktähnliche Zustände” im Pfandleihhaus

Dass im Dorotheum, dem ältesten Pfandleihhaus Österreichs, an diesem Tag sehr viel los ist, merkt man auch daran, dass MitarbeiterInnen keine Zeit für Fragen und Auskünfte haben. “Wir sind gerade stark unterbesetzt”, ruft einer der Angestellten durch die Plexiglasscheibe. Er hält ein Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt, den Mund-Nasen-Schutz hat er unters Kinn geschoben. 

“Bei uns waren es baumarktähnliche Zustände”, erzählt die Geschäftsführerin der Pfandleihanstalt Karin Meier-Martetschläger. “In den letzten zwei Aprilwochen haben wir so viel gearbeitet wie noch nie. Auch, weil wir unseren KundInnen mitgeteilt haben, sie können, sobald es uns behördlich erlaubt ist, wieder etwas belehnen”, so Meier-Martetschläger. Sie ist auch die Berufsgruppensprecherin der PfandleiherInnen Wiens.

Die Köchin im Dorotheum ist eine der Vielen, die durch die Corona-Krise ihren Job verloren haben. Mehr als 570.000 Arbeitssuchende gab es noch im April in Österreich, das sind um 58 Prozent mehr als im Vorjahr. Und Österreich zahlt besonders wenig Arbeitslosengeld. Da wird es bei vielen schnell knapp. Laut Dorotheum würden die monatlichen Zinsen und Gebühren für die Uhr der Frau fünf Euro fünfzig betragen – sie müsste also am Ende ihrer Frist sechzehn Euro fünfzig draufzahlen. Gerechnet auf die Summe, die sie dafür gekriegt hat, sind das heftige 7,5 Prozent.

Viele sind StammkundInnen

“Auf die Zinsen kommt es den Leuten nicht an”, meint der Shopleiter der Wiener Pfandleihe Cashy, Pablo Parmas. In dem modern eingerichteten Geschäftslokal in der Burggasse warten gerade keine KundInnen. Cashy hat erst vor einem Jahr aufgesperrt. Eine erhöhte Nachfrage durch die Corona-Krise habe man hier nicht mitbekommen. Parmas erzählt, ihre  KundInnen kämen aus allen Schichten. Sowohl junge Menschen, die ihre Spielekonsole versetzen, als auch Geschäftsleute mit einer Rolex-Uhr, bei denen sich sonst das Gehalt für ihre Angestellten in dem Monat nicht ausgehen würde. Man geht ins Pfandhaus, weil es ein unkomplizierter Weg ist, um in einer Notlage an Geld zu kommen. 

Es kann aber auch ein Weg sein, langfristig finanziell planen zu können, sagt die Berufsgruppensprecherin der Pfandleihhäuser, Karin Meier-Martetschläger. Manche KundInnen würden etwa kurzfristig die Zeit überbrücken, bis sie einen Kredit von der Bank bekommen. Das empfehle sie ihren KundInnen auch, so Meier-Martetschläger. Doch nicht alle planen ihre Finanzen so vorausschauend: “Wir sind die einzige Geldquelle, die der ein oder andere hat.” Sie empfiehlt daher, sich wirklich gut zu überlegen, ob und wie man dem Pfandleihhaus seine Schulden auch wieder zurückzahlen kann. 

Mehr als die Hälfte ihrer Kundschaft komme regelmäßig in die Pfandleihanstalt, die durchschnittliche Entlehnungszeit betrage vier bis sechs Monate. Meier-Martetschläger betont aber auch, dass es wichtig ist, die Konsumenten entsprechend zu beraten, damit den KundInnen genau wissen wie hoch ihre finanzielle Belastung sein wird.

Nach den zwei Wochen Hochbetrieb habe sich die Nachfrage an ihre Pfandleihe, wie auch bei KollegInnen in anderen Bundesländern, wieder auf ein normales Pensum eingependelt, meint Meier-Martetschläger. Sie empfinde ein Verantwortungsgefühl gegenüber den Menschen in der Krise und komme ihnen deswegen derzeit mit geringeren Zinsen entgegen. Die Pfandleihe sei keine sozialpolitische Maßnahme gegen die Armut.

Für die KundInnen der etwa 100 Pfandleihen in Österreich ist das umstrittene Geschäft ein letztes Notpflaster, mit dem man Zeit gewinnen kann. Eben deshalb durften die Pfandleihen auch wieder früher aufsperren. Maurer. „Einerseits wollten Menschen ihr Hab und Gut auslösen. Andererseits bekommen bestimmte Bevölkerungsgruppen bei der Bank keinen Kredit und gehen deshalb in die Pfandleihen“, so Maurer. „Die Lebensrealität vieler Menschen ist eben so, dass die Pfandleihe Teil ihres Lebens ist – das finde ich nicht gut, aber es ist eine soziale Realität.“

 

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