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Ungleichheit
Gesundheit

Wie sich junge Frauen in Wien Abtreibungsgegner:innen in den Weg stellen

Wie sich junge Frauen in Wien Abtreibungsgegner:innen in den Weg stellen
Flora R. und Narisa R. sind die beiden Initiatorinnen hinter der Gegenaktion. Foto: Emil Biller
Eine Gruppe junger Frauen behindert das Beten fundamentalistischer Abtreibungsgegner:innen vor einer Wiener Abtreibungsklinik. Ein Versuch des Widerstandes gegen den antifeministischen Backlash.

Eigentlich war das anders geplant. Ab 24. September hätten Abtreibungsgegner:innen für 40 Tage rund um die Uhr gegenüber einer Abtreibungsklinik am Wiener Gürtel “beten” sollen. “Gestern hat es dann geheißen, wir können unser Zelt heute doch nicht aufschlagen. Die Polizei hat die Versammlung nicht genehmigt.” Die dunkelhaarige Frau, die das sagt, ist trotzdem da, an diesem verregneten Mittwochmorgen. Die Kapuze ihrer Daunenjacke hat sie über den Kopf gezogen, um sich vor dem kalten Wetter zu schützen. Mit ihren Fingern umklammert sie einen Rosenkranz. Sie bete hier gegen Abtreibungen, jede Frau solle ihr Kind auf die Welt bringen können.  

Dort wo die Abtreibungsgegner:innen von der Aktion “40 Tage für das Leben” eigentlich ihren Stand gehabt hätten, steht jetzt ein anderes Zelt. Das haben fünf junge Frauen gerade gemeinsam aufgebaut. “Die Frau hat uns beim Vorbeigehen gefragt, ob wir auch zum Beten da seien. Die Antwort war nein”, sagt Emilie, eine der Initiatorinnen, und schmunzelt. Auf dem Banner, das vom Zelt hängt, steht in orange-pinken Buchstaben “Schutzzonen JETZT!”. Das ist die zentrale Forderung der jungen Frauen, die sich am Grünstreifen des Wiener Gürtels zwischen den vorbei donnernden Autos niedergelassen haben. Bis 2. November wollen sie dort jeden Dienstag ihr Lager aufschlagen – und sie haben auch eine Petition ins Leben gerufen. 

Wenig Einschränkungen für Abtreibungsgegner:innen

Denn bisher gibt es in Österreich kein bundesweites Gesetz, mit dem Versammlungen vor Abtreibungskliniken eingeschränkt werden. In Wien können Personen, die andere Menschen vor einer sozialen medizinischen Einrichtung bedrängen oder belästigen, von der Polizei verwiesen werden. Das steht seit 2005 im Landes-Sicherheitsgesetz. Richtige Schutzzonen wie in anderen Ländern gibt es in Österreich aber nicht. Mit solchen könnte das Versammeln von Abtreibungsgegner:innen im Umkreis von 100 bis 150 Metern rund um gynäkologische Einrichtungen verhindert werden. 

Beispiele dafür sind etwa sogenannte Safe Access Zones in Kanada. In Deutschland wurde letztes Jahr die sogenannte Gehsteig-Belästigung im Umkreis von 100 Metern rund um Abtreibungskliniken unter Strafe gestellt. Ähnliches fordern die Aktivistinnen nun auch für Österreich. Zuletzt haben sich auch die Grünen dafür eingesetzt. Denn gerade während Aktionen wie “40 Tage für das Leben” (40 Days for Life) versammeln sich viele fundamentalistische Abtreibungsgegner:innen vor gynäkologischen Einrichtungen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Das kann für betroffene Frauen belastend sein.

Bei “40 Tage für das Leben” handelt es sich um eine globale Kampagne, in der Abtreibungsgegner:innen vor Kliniken auf der ganzen Welt 40 Tage lang rund um die Uhr gemeinsam Mahnwachen abhalten. In Anlehnung an die 40-tägige Fastenzeit soll dabei auch gefastet werden. Ursprünglich stammt die Aktion aus den USA, wo im Jahr 2004 vier katholische Studenten zuerst eine Stunde und schließlich 40 Tage lang vor einer Abtreibungsklinik in Texas campierten. 2007 fand die Aktion dann erstmals US-weit statt und inzwischen auch weltweit. Über 180 Abtreibungskliniken sollen seitdem deshalb zugemacht haben, feiert die Initiative auf ihrer Webseite. 

Widerstand gegen die Fundamentalist:innen

Auch vor der Klinik am Mariahilfer Gürtel schlagen die Abtreibungsgegner:innen seit Jahren ihr Camp auf. Im Frühjahr 2025 sind sie Flora R., einer der Hauptinitiator:innen des Gegenprotests, das erste Mal so richtig aufgefallen. “Das ist mein Arbeitsweg. Ich habe immer wieder beobachtet, dass einzelne Leute da stehen. Aber als sie dann ihr Zelt aufgebaut haben und rund um die Uhr da waren, war ich sehr schockiert.” Vor allem war die 27-jährige Sounddesignerin verwundert darüber, dass das erlaubt ist – dass es eben keine Schutzzonen gibt.

“Wir dachten uns, das kann nicht sein, direkt vor unserer Haustür. Da muss man doch etwas dagegen unternehmen”, so Flora. “Als ich Männer datete, war ich immer damit konfrontiert, dass ich aufmerksam verhüten muss, um nicht ungewollt schwanger zu werden.” Dementsprechend dankbar sei sie gewesen, zu wissen, dass es die Pille danach oder die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches gebe: “Dass diese Rechte angefochten werden und Menschen einfach sagen, das soll nicht mehr möglich sein, macht mich sehr wütend.” 

Gemeinsam mit ihrer Partnerin Narisa R. postet sie Anfang Juli einen entsprechenden Text auf Instagram. Darin machen sie auf die Aktion und die Rechtslage aufmerksam und rufen zum Gegenprotest auf. Binnen kurzer Zeit melden sich viele interessierte Personen in den Kommentaren. Doch schnell zeigt sich, dass digitaler Zuspruch nicht unbedingt bedeutet, dass Menschen auch tatsächlich aktiv werden wollen. Im Endeffekt sind es fünf junge Frauen, die sich zusammentun, um gemeinsam eine neue Initiative ins Leben zu rufen. Und damit die Pläne der Abtreibungsgegner:innen zu durchkreuzen.  

Mobilisierungsprobleme bei den Fundamentalist:innen

Unterstützung bekommen die jungen Frauen auch vom Leiter der betroffenen Abtreibungsklinik, Christian Fiala. An Tagen, an denen sie keine Versammlungen geplant haben, können die Aktivistinnen das Zelt und ihre Sachen in seinem Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch unterstellen.

Fiala ist Experte für Abtreibungen und kämpft seit vielen Jahren dafür, ungewollt Schwangeren einen leichteren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen. Als Arzt gilt er aber auch als umstritten. Der Gynäkologe ist in der Vergangenheit immer wieder durch impfkritische Positionen aufgefallen. Während der Corona-Pandemie hat er die Partei MFG mitgegründet. 

Fiala kennt die Szene der Abtreibungsgegner:innen gut und beschwichtigt im Vorfeld der Aktion etwas: “Vor circa 15 Jahren waren diese Fundamentalist:innen sehr aktiv. Heutzutage haben sie aber ein massives Rekrutierungsproblem. Es kommt fast niemand nach.” Gleichzeitig bestätigt er aber, dass die von den Aktivistinnen geforderte Einführung von Schutzzonen wichtig wäre, um Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft vor Übergriffen zu schützen.

Dass es ihre Initiative aktuell braucht, ist für die Aktivistinnen klar. “Man fühlt sich so machtlos gegenüber allem, was auf der Welt passiert. Da will man zumindest da etwas tun, wo man kann”, erzählt Narisa. Expert:innen sprechen diesbezüglich auch von einem antifeministischen, globalisierten Backlash. In vielen Ländern auf der ganzen Welt, allen voran den USA, geraten feministische und queere Bewegungen gerade massiv unter Druck. Auch die reproduktiven Rechte und der Zugang zu Abtreibungen werden immer öfter in Frage gestellt. In Österreich stehen Schwangerschaftsabbrüche immer noch im Strafgesetzbuch und sind damit eigentlich illegal, auch wenn sie offiziell innerhalb einer gewissen Frist straffrei sind.
 

Beten für den “Frieden”

Vor der Klinik haben sich inzwischen andere Freiwillige eingefunden, die die kommenden acht Stunden den Stand der Aktivistinnen besetzen werden. Eine davon heißt Emily, sie hat sich extra für den heutigen Tag Urlaub genommen. “Ich komme ursprünglich aus Großbritannien und habe dort miterleben müssen, was es bedeutet, wenn sich fundamentalistische Gruppierungen breit machen und Hassnachrichten verbreiten. Ich finde, jeder Mensch sollte das Recht haben, über seinen Körper selbst zu bestimmen.”

Für sie und ihre Partnerin ist der bevorstehende Tag aufregend. So etwas haben sie noch nie gemacht. Sie nutzen die Zeit für eine Runde Würfelpoker und für “Tent Office”. Später kommen auch noch andere Freiwillige, zwei Männer und eine nicht binäre Person, dazu.

Auch draußen vor dem Zelt tut sich etwas. Dort bewegen sich die Abtreibungsgegner:innen in einem kleinen Radius rund um das Zelt gegenüber der Abtreibungsklinik. Nach etwa eineinhalb Stunden im Regen bekommt die betende Frau mit der Daunenjacke Gesellschaft. Ein weinroter Regenschirm, auf dem der Name des katholischen Pilgerorts Medjugorje in Herzegowina steht, nähert sich. Unter ihm befindet sich eine ältere Frau mit weißblonden Haaren und einer schwarzen Jacke. Sie reden kurz, recht still und unaufgeregt. Vereinzelt fallen Blicke Richtung Zelt. Dann verschwindet die Frau mit der Daunenjacke. Sie wurde abgelöst.

Auf die Frage, wofür sie denn eigentlich beten, antwortet ein Herr ganz in schwarz, mit schwarzem Schirm nur knapp: Für Frieden. “Wenn die Menschen den Frieden im Herzen haben, kommt er auf der ganzen Welt”, ergänzt die Frau mit dem Medjugorje-Regenschirm. Auch ihre Finger umklammern neben dem Regenschirm fest ein handflächengroßes Holzkreuz. Viel mehr wollen die beiden aber nicht sagen.

Flora erkennt den Mann wieder. Er steht regelmäßig vor der Klinik und betet. Das belegen auch Fotos, die MOMENT vorliegen. Sie hofft, dass es zu keiner direkten Auseinandersetzung mit den Gegner:innen kommt: “Ich bin ein Mensch, der Konfrontation hasst. Ich weiß, es kann uns eh nichts passieren, aber sowas ist immer unangenehm.” 

Zuspruch von Passant:innen

Statt Konfrontation gibt es aber Zuspruch. Direkt nach dem Aufbau bekundet ein vorbeigehender Mann sein Interesse und bedankt sich: “Gut, dass ihr euch engagiert, ihr macht etwas Sinnvolles. Eigentlich bräuchten wir eine Schutzzone für die ganze Welt.” Im Zelt breitet sich Freude und Jubel aus. Als dann auch noch die Info durchdringt, dass die Fundamentalist:innen scheinbar tatsächlich ihre Pläne ändern mussten, ruft Flora: “Ja, wir haben es geschafft.” 

Man sieht der 27-Jährigen an, wie erleichtert sie ist. In den Tagen vor dem Start der Initiative, erzählt sie, sei sie sehr erschöpft und müde von der ganzen zusätzlichen Arbeit gewesen. “Wir haben so etwas noch nie gemacht und ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend wird.” Aber wenn sie jetzt anschaue, was sie schon alles geschafft hätten, sei sie sehr stolz.

Erfolg im Kleinen 

Denn die Abtreibungsgegner:innen konnten tatsächlich nicht wie die Male zuvor vor der Klinik ihr weißes Zelt aufbauen und mussten umdisponieren. Für eine angemeldete Versammlung braucht es die durchgehende Anwesenheit von mindestens drei Personen. Deshalb gibt es auf der Webseite der “40 Tage für das Leben” ein Tool, wo man sich für die Zeitslots der insgesamt 960 Stunden einzeln anmelden kann: ab 24. September bis 2. November stündlich.

Am Tag vor dem Kampagnenstart verändert sich die Maske: Für den 24. September wird plötzlich nur noch ein freier Zeitslot angezeigt, und zwar von 23 bis 24 Uhr. Die spontane Anmeldung der Versammlung der Organisator:innen von “40 Tage für das Leben” bei der Polizei scheint nicht geklappt zu haben, die jungen Aktivistinnen sind ihnen zuvorgekommen. Auch am nächsten Tag werden die Abtreibungsgegner:innen ihr Zelt nicht aufbauen, sondern weiterhin im Regen stehen. Eine MOMENT-Anfrage an die Verantwortlichen blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

Und die jungen Frauen? Die haben sich mit anderen Initiativen wie Changes for Women und Pro Choice Austria vernetzt und einen eigenen Instagram-Kanal gestartet. Mehr als 2.200 Menschen haben (Stand Freitagabend) bereits ihre Petition für Schutzzonen rund um Abtreibungseinrichtungen auf mein.aufstehn.at unterschrieben. Für den 1. November ist eine Abschlusskundgebung angekündigt. 

Ob sie mit ihrem Anliegen für Schutzzonen auch bei der Politik Erfolg haben werden, ist offen. Sicher ist nur, dass sie am Dienstag wieder ihr Zelt aufbauen und sich den christlichen Abtreibungsgegner:innen weiterhin in den Weg stellen werden.

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