Proteste im ganzen Land – Was passiert in China?
Was passiert gerade in China?
In dutzenden chinesischen Städten gehen Menschen auf die Straße, um gegen die strengen Covid-Maßnahmen zu protestieren. Doch es geht nicht nur darum: Immer mehr Menschen rufen nach Demokratie, Pressefreiheit und einem Ende der Zensur des Internets. Einige forderten Staatschef Xi Jinping auf, zurückzutreten.
Beobachter:innen vor Ort sprechen von den größten Protesten seit Jahrzehnten. In Wuhan rissen Demonstrant:innen Barrieren nieder, die als Schutzmaßnahme gegen das Coronavirus Städte durchschneiden. In Shanghai kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Protestierende wurden verhaftet.
Wie versucht China Zero-Covid durchzusetzen?
China kämpft mit strengsten Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie. Schon bei wenigen Coronafällen werden ganze Stadtteile oder sogar Regionen in den Lockdown geschickt. Ganze Wohnblöcke müssen in strenge Quarantäne, Bewohner:innen dürfen nicht mehr hinaus. Die rigiden Maßnahmen kosten Menschenleben. Im September verunglückte in der Provinz Guizhou ein Bus, der nachts Menschen in ein Quarantänelager bringen sollte. 27 Menschen starben.
Am Donnerstag vergangener Woche brannte es in einem Wohnhaus in Urumqi, der Hauptstadt der autonomen Provinz Xinjiang. Mindestens zehn Menschen kamen ums Leben. Das Wohnhaus stand seit 100 Tagen unter Lockdown. Es kam der Verdacht auf, die strengen Corona-Maßnahmen hätten die Rettungsarbeiten verzögert. Die Wut darüber entfachte am 25. November das Feuer der Proteste. Von Urumqi breiteten sie sich im ganzen Land aus.
Gab es schon vorher Proteste?
Proteste flackerten schon vorher auf: In der vergangenen Woche verließen 20.000 Mitarbeiter:innen in Zhengzhou ein Werk des Apple-Zulieferers Foxconn, in dem sie iPhones der neuesten Generation herstellen. Zuvor kam es in dem Werk zu gewalttätigen Protesten. Videos zeigen Sicherheitskräfte, die mit Stöcken auf Mitarbeiter:innen der Fabrik einschlagen und Menschen, die Barrieren niederreißen. Auslöser für die Eskalation in dem Apple-Werk waren zum Teil die strengen COVID-Schutzmaßnahmen. Mitarbeiter:innen protestieren aber auch dagegen, weniger Gehalt bekommen zu haben als ausgemacht.
Kurz vor dem Kongress der Kommunistischen Partei im Oktober regte sich bis dahin seltener Widerstand: „Wir wollen Essen, keine PCR-Tests. Wir wollen Freiheit, keine Lockdowns”, stand auf einem an der Sitong-Brücke in Peking befestigten Banner. “Wir wollen eine Wahl, keinen Anführer”, war zu lesen und die Parole: „Stürzt den Diktator und Dieb Xi Jinping!“ Das Banner wurde schnell abgenommen und die Brücke über eine sechsspurige Autobahn gereinigt. Die Behörden putzten auch das Internet: Postings in sozialen Medien und Hashtags wie „Beijing“ und sogar „Brücke” wurden aus dem Internet entfernt.
Wieso halten die Menschen weiße A4-Blätter hoch?
In ihrem Protest halten die Menschen neben Kerzen und Handylichtern auch unbeschriebene weiße Blätter Papier hoch. Damit weisen sie auf die Zensur und die stark eingeschränkte Meinungsfreiheit im Land hin. Nachdem Sicherheitskräfte einer Studentin an der Pekinger Eliteuniversität Tsinghua ein leeres Blatt Papier entrissen, das sie in die Höhe hielt, wurde es zum Zeichen des Protests. Dutzende und später Hunderte weitere Studierende schlossen sich dem stillen Protest der Studentin an. „Das weiße Papier steht für alles, was wir sagen wollen, aber nicht sagen können“, sagte ein Protestierender.
Was ist an diesen Protesten besonders?
Öffentliche Demonstrationen sind in China sehr ungewöhnlich. Unter Staatschef Xi Jinping werden Menschen permanent überwacht und unterdrückt. Die Proteste brachen jetzt an mehreren Orten gleichzeitig aus. Politikwissenschaftler Dali Yang von der Universität Chicago spricht im britischen Guardian von einer “bemerkenswerten Entwicklung”. Chinas Bevölkerung mache derzeit überall dasselbe durch: Die Lockdowns, Angst um ihre Arbeitsplätze und Unternehmen, Frust über die medizinische Versorgung im Land und Todesfälle. “Unglücke wie in Urumqi zeigen ihnen, es kann jeden treffen”, so Yang.
Dabei tut Chinas Regierung alles, um Informationen über Proteste gegen das Regime und den Widerstand gegen die COVID-Maßnahmen zu zensieren. Bei Übertragungen der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar blendet das Fernsehen Aufnahmen aus, die das (maskenfreie) Publikum in den Stadien zeigen. Die chinesischen Zeitungen berichten kaum oder gar nicht über die Proteste.
Soziale Medien wie Twitter sind von China aus nicht erreichbar. Mittels sogenannter Virtual Private Networks (VPN) ist es dennoch möglich, die Dienste zu nutzen. Wer derzeit dort nach Städtenamen wie Peking oder Shanghai sucht, landet bei unzähligen Spam-Postings. Dadurch sollen Berichte über Proteste untergehen. Unzählige Spam-Accounts würden jetzt aus dem Boden schießen, die der chinesischen Regierung zugeordnet werden könnten.
Wie geht es jetzt weiter?
Mit der extremen Internet-Zensur versucht China seit Jahren, jeden Widerstand gegen das Regime im Keim zu ersticken. Bisher funktioniert das noch. Zwar nehmen Tausende an den Protesten teil. Die große Masse der Bevölkerung hat davon bisher aber nichts oder kaum etwas mitbekommen. Dauern die Proteste an, könnte sich das ändern. Dann wird es für Chinas autoritären Langzeit-Staatschef XI Jinping möglicherweise ungemütlich.
Zu befürchten ist, dass das Regime wie im Juni 1989 beim Massaker am Tian’anmen-Platz in Peking mit brutaler Gewalt reagiert. Damals wurden in einer Woche des Aufstands laut Schätzung des chineischen Rotes Kreuzes 2.600 Menschen getötet. Chinas Propaganda bezeichnet das Massaker als „Zwischenfall am 4. Juni“.