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Demokratie

„Einfach mal machen lassen“: Der fatale Fehler, Rechtsextreme einbinden zu wollen

Die Augen vor rechtsextremen Gefahren zu verschließen, macht sie nicht weniger gefährlich
Die Augen vor rechtsextremen Gefahren zu verschließen, macht sie nicht weniger gefährlich
Die These, dass Rechtsextreme sich an der Macht entzaubern, ist falsch. Sie erstmal machen lassen, ist ein folgenreicher Fehler. Natascha Strobl analysiert.

In Sonneberg in Thüringen (Deutschland) wurde ein AfD-Politiker zum neuen Landrat gewählt. Das ist der höchste Verwaltungsbeamte eines Landkreises. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Politiker einer rechtsextremen Partei direkt in eine Exekutiv-Funktion gewählt wurde.

Aus österreichischer (oder schweizerischer, oder italienischer, oder ungarischer …) Sicht mag man sich ungläubig die Augen reiben, doch für Deutschland ist das in der Tat ein Dammbruch. Zumal die begleitenden Diskussionen sich in jedem Land ähneln. Zwischen purem Entsetzen und dem Wunsch nach Entzauberung ist alles dabei.

Die Entzauberungs-These lautet so: Es ist besser, Rechtsextreme einzubinden und sie anhand der Mühen der Ebene der Tagespolitik zu entzaubern, statt ihnen die ewige Oppositionsrolle zu geben, in der sie erfolgreich sind. Also, wenn rechtsextreme Parteien nur einmal konstruktiv mitarbeiten müssen, dann verliert sich ihr rechter Radikal-Chic von selbst.

Klingt gut, funktioniert halt nicht.

Rechtsextreme Realpolitik

Es gibt kaum ein Beispiel dafür, dass sich diese These bewahrheitet hätte. Am ehesten könnte man die ÖVP-FPÖ Regierung in Österreich zur Jahrtausendwende nehmen. Die FPÖ (damals unter Jörg Haider) wurde von der ÖVP (die damals nur Dritte bei den Wahlen wurde) in die Regierung geholt, damit die ÖVP den Kanzler stellen konnte. Die damals eigentlich stärkere FPÖ wurde zum Juniorpartner.

Mit dieser Finte wollte der damalige ÖVP-Chef Schüssel die FPÖ einbinden und entzaubern, wie er vollmundig bekundete. Haider wurde nicht Teil der Regierung und ein chaotisches und in weiten Teilen inkompetentes und überfordertes Regierungsteam der FPÖ übernahm die Macht. Dies ging drei Jahre lang gut, dann kam der FPÖ-Parteistreit in Knittelfeld 2002 und eine Neuwahl. Die Fortsetzung der Koalition nach den Wahlen 2002 führte gar zu einer Abspaltung der FPÖ und noch mehr Chaos.

These belegt, könnte man meinen. Gibt man Rechtsextremen Macht, zerfleddern sie sich selbst. Aber: Während der Rechtsextremismus an der Macht ist, kommt es zu echten Verschlechterungen. Sei es das „Fremdenrechtspaket“ und die „Pensionsreform“ der Regierungen von Kanzler Schüssel mit der FPÖ oder die Zerstörung der Sozialversicherung und rassistische Diskriminierungen bei Mindestsicherung und Familienbeihilfe (die jeweils vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden) unter Kanzler Kurz mit der FPÖ. Diese Eingriffe sind real, nachhaltig und richten großen Schaden an. Der Preis der Einbindung ist sehr hoch.

Rechtsextreme Stehaufmännchen

Parteien wie die FPÖ (und die AfD ist ihr durchaus ähnlich) erholen sich von Skandalen sehr schnell. Wähler:innen rechtsextremer Parteien erhoffen und erwarten sich offenbar keine makellosen Politiker:innen. Sie erwarten sich jemanden, der ihre diffuse Wut und ihr Unbehagen gegenüber der Welt auf das vermeintlich richtige Ziel richtet. Die Person selbst kann moralisch verkommen und charakterschwach sein, es ist egal.

Selbst bei Skandalen wie Ibiza oder diversen Korruptions- und Finanzskandalen kommen dieser Parteien sehr schnell wieder zurück. Vier Jahre danach liegt die FPÖ in Umfragen wieder auf Platz 1. Genüsslich einen Selbstzerstörungsprozess abwarten zu wollen, hat sich noch immer als Fehler erwiesen.

Die Gründe ihres Erfolgs liegen nicht in der Makellosigkeit ihrer Protagonist:innen. Dementsprechend naiv und vermessen ist es auch zu glauben, dass rechtsextreme Politiker:innen sich brav in die Wirren der Tagespolitik stürzen und auf den Kern ihrer Politik verzichten: dem Kulturkampf. Vielmehr werden die Ressourcen des Staates genutzt, um genau dort weiterzumachen.

Es gibt keine „Würde vor dem Amt“ oder „staatstragendes Verhalten“, das man nun an den Tag legen muss. Von diesen Konzepten muss man sich verabschieden, wenn man Rechtsextremismus in Exekutiv-Funktion verstehen will. Schamlos werden Gelder und Posten verteilt, institutioneller Schaden angerichtet und Gesetze und Verordnungen zum Nachteil von Minderheiten auf den Weg gebracht. Rechtsextreme lassen sich nicht durch Einbindung entzaubern.

Vielmehr entzaubern und zerlegen sie die Demokratie.

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