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Arbeitswelt
Ungleichheit

Reform der Lehramtsausbildung: Wen die ÖVP-Novelle ausschließt

Reform könnte sich der Studienbeginn für Studierende aus Nicht-EU-Staaten extrem verzögern.
Mit der geplanten Reform könnte sich der Studienbeginn für Studierende aus Nicht-EU-Staaten extrem verzögern. Foto: Nikolay Georgiev/ Pixabay
Nach langem Warten hat das ÖVP-geführte Bildungsministerium im Jänner seinen Vorschlag zur Lehramtsreform präsentiert. Dabei soll auch das Universitätsgesetz erneuert werden. Die Österreichische Hochschüler:innenschaft (ÖH) warnt: Die Novelle droht, Diskriminierung zu verschärfen. Studierende und die, die es werden wollen, werden durch einige Änderungen stark eingeschränkt. Wir haben uns angeschaut, was das in der Praxis bedeutet.

Zugangsbeschränkungen verhindern den Zugang zu Wissen. Bisher konnten Master- und Doktoratsstudien bei Lehrer:innen nur beschränkt werden, wenn sie in einer Fremdsprache angeboten werden. Wird die Lehramtsreform durchgesetzt, soll das auch möglich sein, wenn sie “vom Nachweis ausreichender Kenntnisse oder besonderer Befähigung” abhängen. Eine besondere Befähigung ist zum Beispiel ein vorangegangener Bachelor. Dadurch könnten künftig alle Lehramtsmaster- und Doktoratsstudien beschränkt werden. 

“Zugangsbeschränkungen selektieren unsere Unis stark und gerade in großen sozialwissenschaftlichen Mastern kann es dabei zu einem Abbau an Studienplätzen und damit vermehrten Konkurrenzdenken unter Studierenden kommen”, sagt Sarah Rossmann aus dem ÖH-Vorsitzteam gegenüber MOMENT.at. Die Änderung des Universitätsgesetzes würde somit einen gerechten Zugang zu Hochschulbildung für alle einschränken. 

Willkürliche Geldbeträge 

Gibt es künftig einen Zweifel an der “Wertigkeit” der Dokumente, die für das Einschreiben in ein Studium notwendig sind, können Rektorate den ohnehin schon langwierigen Aufnahmeprozess auf unbestimmte Zeit blockieren. Und das ohne genaue Angabe von Gründen. Sachverständige sollen die Unterlagen prüfen, Bewerber:innen dafür 200 Euro Kaution selbst zahlen. 

Die Dokumentenprüfung dieser Art ist bereits gesetzlich geregelt und kostete bisher zwischen 30 und 80 Euro. “Die Gründe für die neue Kaution bleiben eine offene Frage, es ist überhaupt nicht ersichtlich, warum die Unis dieses Geld wollen und für welchen Zweck”, heißt es von ÖH-Seite. Studierende aus Nicht-EU Ländern müssen bereits jetzt viel höhere Studiengebühren zahlen. Durch die Dokumentenprüfung würden sie zusätzlich finanziell belastet werden. Das Bildungsministerium hat sich dazu auf Nachfrage von MOMENT.at bisher noch nicht geäußert. 

Einschränkung für ausländische Studierende

Dadurch kann sich der Studienbeginn für Studierende aus Nicht-EU-Staaten extrem verzögern. Denn: Um in Österreich studieren zu können, brauchen ausländische Studierende eine Aufenthaltsbewilligung. Um die zu bekommen, muss ein Antrag gestellt werden. Bei der Antragstellung muss aber bereits unter anderem die Bestätigung der Hochschule oder Universität für eine Aufnahmeprüfung oder die erteilte Zulassung zum Studium dabei sein. 

Wird der Aufnahmeprozess durch die Novelle künftig in die Länge gezogen, kann es passieren, dass währenddessen das Visum der Bewerber:innen ausläuft. Ohne Zulassung zum Studium dürfen sie sich oft nur vorläufig und zeitlich begrenzt in der EU aufhalten. Falls ihr Aufenthalt an ein aufrechtes Studium geknüpft ist, müssten sie dann aus rein bürokratischen Gründen das Land verlassen. Und den Bewerbungsprozess von vorne beginnen. 

“Einfach aus Misstrauen ein Aufnahmeverfahren ausbremsen, stärkt einen Generalverdacht, mit dem Studierende aus vor allem muslimischen Ländern ohnehin schon konstant konfrontiert werden“, kritisiert die ÖH. Denn die österreichischen Bildungseinrichtungen sind nicht frei von institutionellem Rassismus. “Der Generalverdacht gegenüber muslimischen Studierenden ist vor allem auf die Hetze von rechtskonservativen Parteien und Gruppierungen zurückzuführen”, sagt ÖH-Pressesprecherin Elisabeth Hammer. Aufgrund von Vorurteilen und Schubladendenken würden sich rassistische Strukturen im Bildungssystem dadurch verhärten. 

Junglehrer:innen: Berufseinstieg unter der Armutsgrenze

Mit der Reform will das Ministerium die Studiendauer des Lehramts-Bachelors von vier auf drei Jahre verkürzen. Die ÖH hatte das schon länger gefordert. Die Pflicht eines zweijährigen Masters bleibt. Auf den ersten Blick eine sinnvolle Maßnahme im Kampf gegen den Lehrer:innenmangel. 

Aber: Wer “nur” einen Bachelor hat, darf auch nur eine halbe Lehrverpflichtung übernehmen, soll also offensichtlich auch noch den Master machen. Studierende bekommen neben dem Studium und mit der Lehrverpflichtung so aber auch maximal ein halbes Gehalt. Das Einstiegsgehalt dabei beträgt im Schnitt netto 1.312 Euro. Die Grenze der Armutsgefährdung in Österreich liegt bei 1.392 Euro. 

Teilzeit muss man sich leisten können. “Junglehrer:innen unter dem Deckmantel von vermeintlichen Schutzmaßnahmen in die Teilzeit zu zwingen, führt vor allem zu finanziellen Problemen vieler Studierender“, sagt Sarah Rossmann. Durch diese Maßnahme werden viele genötigt, entweder vorerst keine Lehrverpflichtung anzunehmen, oder neben dem Schuljob und dem Studium noch einen Nebenjob anzunehmen. 

Fachfremdes Unterrichten

Bereits jetzt unterrichtet jede vierte Person aus einem Lehramts-Bachelor während ihres Studiums an einer Schule. Bei den Masterstudent:innen sind es 60 Prozent. Bei gleicher Arbeit verdienen die Studierenden dabei bis zu 30 Prozent weniger als ihre Kolleg:innen mit abgeschlossenem Studium. 

Dazu kommt: Viele müssen dabei auch fachfremd unterrichten. Der Mangel lässt es nicht anders zu. An der AHS ist fachfremder Unterricht bereits verboten und nur in absoluten Ausnahmefällen der jeweiligen Schule erlaubt. In Mittelschulen greift das nicht. Das Lehrpersonal fühlt sich dadurch überfordert. Der kommende Gesetzentwurf sieht jedoch eine Ausweitung des Begriffs “Unterrichtsfach” vor. Verschiedene Fächer, wie zum Beispiel Geschichte und Geographie, können künftig zusammenfallen. 

Praxisnähe ja, Ausbeutung von Lehramtsstudierenden nein

Laut Bildungsminister Martin Polaschek soll die Lehrkräfteausbildung in Österreich mit der geplanten Reform die größte Änderung der vergangenen zehn Jahre erfahren. Die Novelle dazu liegt der Öffentlichkeit gerade zur Prüfung vor. Das Vorsitzteam der ÖH sieht hier eine Chance, die Verschlechterungen für Studierende und Bewerber:innen noch vor ihrem Inkrafttreten zu verhindern. 

Die Hochschüler:innenschaft ist sich sicher: “Statt Verdichtung und Verkürzung des Studiums braucht es eine gute, hochwertige und praxisnahe Vorbereitung auf den Lehrberuf”. Dabei sollte niemand ausgeschlossen werden. Egal ob durch Bürokratie oder Stereotype. 

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