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Demokratie

Russland und der ewige Putin: "Das ist für mich ein No-Go!"

Für Student Micha ist es eine schwer zu ertragende Vorstellung, dass Wladimir Putin praktisch auf Lebenszeit Präsident Russlands bleiben kann. Im Gespräch mit MOMENT erklärt er, warum er gegen die Verfassungsänderung gestimmt hat, die 78 Prozent seiner Landsleute befürworten.

Trotz sinkender Umfragewerte für Wladimir Putin und seinem miserablem Management der Corona-Krise stimmten 78 Prozent der Russen für die neue Verfassung. Sie soll Putins Macht praktisch einzementieren. Die Änderungen ermöglichen ihm, potenziell bis ins Jahr 2036 im Amt zu bleiben. Der in Deutschland studierende Micha hat dagegen gestimmt und war damit klar in der Minderheit. „Jetzt wirkt es so, als ob Putin auf Lebenszeit im Amt bleiben kann“, sagt er im Interview mit MOMENT. Seine Hoffnung: „In autokratischen Regimen kann sich von einem Tag auf den anderen alles ändern.“ Micha will dabei anonym bleiben.

MOMENT: Wie hast Du abgestimmt?

Micha: Ich habe mit Nein gestimmt. Alles andere kam nicht infrage für mich. Denn es bedeutet, dass Putin bis 2036 bleibt. Das ist ein No Go für mich. Ich quälte mich allerdings mit der Entscheidung, ob ich die Abstimmung boykottieren sollte oder doch hingehen
 

MOMENT: Der bekannteste Oppositionelle, Alexej Nawalny, rief dazu auf nicht an die Urnen zu gehen.

Micha: In den Reihen der Gegner der geänderten Verfassung und unter meinen FreundInnen und Bekannten war das ein großes Thema. Wir haben stundenlang darüber diskutiert, ob wir boykottieren sollen oder teilnehmen. Ich habe mich dafür entschieden abzustimmen.

MOMENT: Die Verfassungsänderung beinhaltet ja nicht nur die Möglichkeit für Putin weitere zwei Amtszeiten an der Spitze Russlands zu stehen. Was hältst Du von den anderen Maßnahmen?

Micha:Einiges davon ist tatsächlich nicht so schlecht. Im Bereich des Sozialen zum Beispiel die jährliche Pensionsanpassung. Solche Dinge kann man aber auch einfach als Gesetz verabschieden, das muss man nicht in die Verfassung schreiben. Das Paket als Ganzes ist für mich nicht hinnehmbar.

Putin fährt ein sehr merkwürdiges Krisenmanagement. Er scheint überhaupt nicht vorbereitet zu sein auf diese Art von Krise.

MOMENT: In der Corona-Krise scheint Wladimir Putin an Zustimmung bei den WählerInnen zu verlieren. Warum?

Micha: Die Pandemie trifft die Wirtschaft, das merken die Menschen. Dazu fährt er ein sehr merkwürdiges Krisenmanagement. Er scheint überhaupt nicht vorbereitet zu sein auf diese Art von Krise. Sonst plant er jeden seiner Schritte sehr gut, besonders gegenüber dem Ausland. Jetzt macht er keinen guten Eindruck. Er hat sich praktisch in einem Bunker eingeschlossen. Sonst können Autokraten in Krisen punkten, das funktioniert hier nicht.

MOMENT: Wie sehen Deine Verwandten und Bekannten in Russland die Politik Putins?

Micha: Ich persönlich kenne überhaupt nur eine Person, die jetzt mit Ja abgestimmt hat. Ich habe viel mit ihm darüber diskutiert in sozialen Medien. Viele Menschen in Russland haben keinen Zugriff auf alternative Medien. Dem Internet traut man nicht, also bleiben Fernsehen und Zeitungen. Die Propaganda dort erinnert inzwischen bereits an Sowjetzeiten. Auch mein Vater beispielsweise durchschaut das. Er ist auch gegen Putin. Das Neue daran ist: Früher wäre er einfach nicht zur Wahl gegangen, diesmal hat er mit Nein gestimmt.

MOMENT: Zumindest RussInnen im Ausland können sich den Staatsmedien entziehen. Wie schaut es da mit der Zustimmung zu Putins Politik aus?

Micha:Interessant ist, dass diejenigen, die gegen die geänderte Verfassung gestimmt haben, beispielsweise in Deutschland nicht in der Minderheit sind. Das gab es vorher noch nie. Die Botschaft hat Zahlen herausgegeben. Eine Mehrheit stimmte im Ausland gegen die Verfassungsänderung. Ich vermute, in Österreich ist es ähnlich gelaufen

MOMENT: Putin kann jetzt theoretisch bis 2036 regieren. Ist für Dich überhaupt vorstellbar, dass er vorher abtreten muss?

Micha: Jetzt wirkt es so, als ob er auf Lebenszeit im Amt bleiben kann. Aber es kann sehr schnell gehen. Wir haben es gesehen beim Fall der Mauer, beim Zusammenbruch der Sowjetunion oder dem Sturz von Nicolae Ceaușescu in Rumänien. Besonders in autokratischen Regimen kann sich die von einem Tag auf den anderen alles ändern.

 

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