Popel, faktenresistente Eltern und Beamtendeutsch: Eine Lehrerin über Selbsttests an Schulen
Es ist zwar kein Alllheilmittel gegen Corona, wohl aber eine (wenn auch umstrittene) Methode, die Kinder wieder in die Schulen zu lassen: „Nasenbohrertest“ werden die seit einigen Wochen in Österreich angebotenen Schnelltests an Schulen genannt. Sie funktionieren ähnlich unkompliziert wie sie klingen.
Ich teste: mein Selbsttest in der Schule
Schon vor den Semesterferien in Wien durfte ich – ja, auch die Lehrer*innen – den Nasenbohrer-Selbsttest durchführen. Ich durfte mir also morgens bei Schulbeginn ein Stäbchen in die Nase stecken, ein bisschen drehen, dann von B nach A in den Umschlag einführen, Tröpfchen drauf, drehen und kurze Zeit später erschien ein roter Strich, der zum Betreuen und Unterrichten zuließ. Bei den meisten Kindern lief dies ähnlich unkompliziert ab. Wie viel Popel und rötliche Nasenschleimhaut ich dabei bewundern durfte, erwähne ich nicht, schließlich ist es für das Allgemeinwohl und da scheut man als gute*r Lehrer*in auch nicht vor körperlichen Ausscheidungen zurück.
So weit, so unproblematisch.
Du testest: Probleme beim Selbsttest in der Volksschule
Als das Ganze dann in einem anderen Bundesland stattfand – das, in dem meine Kinder leben – erlebte ich, dass es auch kompliziert geht. Die Volksschule meiner Tochter hatte weder die Selbsttests vorbereitet, noch die Räumlichkeiten organisiert. So ließ man uns Eltern bei minus 12 Grad eine Viertelstunde draußen stehen, um Testkits und Mülleimer zu finden. Die Lehrer*innen hatten keine Ahnung vom Prozedere, obwohl es in Wien schon lange implementiert war und man sich zur Not auch einfach das Video auf der Homepage des Bildungsministeriums hätte anschauen können. Hier findet man die Anleitung zum Selbsttest für Volksschüler*innen. Gut, mit durchgefrorenen Fingern schulte ich Eltern und Personal ein, zwei Minuten, erledigt. Alle negativ, alles gut.
Er testet: Corona-Cluster an Schulen aus dem Nichts
Zwei Tage später kam eine SMS, dass mein Sohn an seinem ersten Schultag seit fast zwei Monaten an seiner AHS positiv getestet worden sei. Der Contact-Tracing Link, der mitgesendet wurde, funktionierte nicht, 10 Stunden und fünf E-Mails später wurde das technische Problem gelöst. Fünf Seiten Formular galt es nun auszufüllen. In der Zwischenzeit wartete mein 14-jähriger Sohn mit acht(!) weiteren positiv getesteten Kindern in der Schule. Man sprach von einem Cluster – dass die Kinder sich seit knapp acht Wochen nicht gesehen und keinen Kontakt miteinander hatten, wurde ignoriert. Auch der Aufruf, den Test einfach zu wiederholen.
Er wird getestet: Das Nachspiel mit dem Corona Deutsch-Test
Rachenabstrich in der Schule, alle Kinder negativ. Überraschung. Wieder zwei verpasste Schultage – die einzigen in dieser Woche, ein aufgeregtes Kind und für mich gut zwei Stunden Formulare ausfüllen, Telefonate führen, Bescheide lesen. Alles auf Deutsch. Bürokratendeutsch wohlgemerkt. Ich spreche ziemlich gut deutsch, bin ich doch in Deutschland geboren und habe die Sprache zudem studiert – doch „Absonderungsort“ steht nicht im Duden.
Wir werden getestet: Mehr Inklusion beim Corona-Papierkram
„Ein allfälliger Anspruch auf Vergütung eines eventuellen Verdienstentganges gemäß § 32 Epidemiegesetz ist gemäß § 33 iVm § 49 leg.cit. binnen 3 Monaten vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahme…“, versteht wer?
„Dies hat unter Vermeidung aller dazu unnötigen Kontakte zu erfolgen. Insbesondere dürfen keine öffentlichen Verkehrsmittel benützt werden.“
Wenn ich dies und weiteres lese, denke ich an meine Schüler*innen in Wien. Wenige der Eltern sprechen Deutsch auf B2-Niveau. Welches Sprachniveau dieser Bescheid hat, vermag ich selbst als geprüfte DaZ-Lehrkraft nicht zu sagen. Und wird im letzten Abschnitt tatsächlich ein Auto vorausgesetzt?
Wir dürfen Corona nicht zu einem Luxusproblem machen. Ich verstehe die Problematik – einerseits muss alles rechtskonform, korrekt, demokratieschlüssig sein – andererseits niederschwellig und mehrsprachig. Ja, das ist eine Herausforderung. Aber nicht unschaffbar. Wir wissen, dass wir besonders in Wien nicht von einer kleinen Minderheit sprechen, die von dieser Berücksichtigung profitieren würde.
Er wird nicht getestet: Streitigkeiten beim Selbsttest an Schulen
Und dann gibt es die Eltern, die ihre Kinder nicht testen lassen wollen. Denen eine vermeintlich „blutende Nasenschleimhaut“ schlimmer scheint, als weitere acht Wochen Schulausfall. Sie sind beratungsresistent und unterstützt von fadenscheinigen Netzwerken von Verschwörungstheoretiker*innen. Der Grad zwischen Fakt und Fake ist schmal. „Wir haben ja gar keine Wahl!“, beschwert sich eine Mutter. Doch wer hat eigentlich versprochen, dass man immer eine Wahlmöglichkeit im Leben hat?
Derzeit können wir alle nicht wählen. Wir handeln. Wir reagieren. Wir versuchen in dieser Zeit unserer Aufgabe nachzugehen und bestmöglich unsere Kinder zu unterstützen. Nicht nur beim Lernen.