print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Ungleichheit

Ob Öffi, Arzt oder Arbeit: Sexualisierte Diskriminierung kann überall sein

Ob Öffi, Arzt oder Arbeit: Sexualisierte Diskriminierung kann überall sein
Fotos Credits: Elias Partoll
Die ungefragte Hand auf der Schulter, die sexistische Bemerkung, der “zufällige” Körperkontakt. Ziemlich viele sexualisierte Übergriffe passieren im direkten sozialen Umfeld. An vermeintlich sicheren Orten also. Wir haben unsere Community gebeten, ihre Erfahrungen zu teilen.

In Gesetzestexten und Studien ist meist von sexueller Belästigung und Gewalt die Rede. Wir verwenden die Formulierung “sexualisierte Belästigung und Gewalt”, um auf die damit verbundene Machtdemonstration hinzuweisen. Sexualisierte Belästigungen und Gewalttaten sind für Frauen in Österreich Alltag – und an alltäglichen Orten finden sie auch statt. 2021 wurden Zahlen im Auftrag von Eurostat und Statistik Austria erhoben. Österreichweit gaben 23,75 Prozent der Frauen an, sexualisierte Gewalt erlebt zu haben. 8,7 % aller Frauen ab 15 wurden vergewaltigt. Die Dunkelziffer ist jedenfalls noch viel höher, denn nur 9 % aller Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, zeigen die Tat auch an. 

Von sexualisierter Belästigung sind noch weitaus mehr, nämlich drei von vier Frauen betroffen, wie eine Studie des ÖIF von 2011 zeigt. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Die Täter sind Nachbarn, Kollegen, Lehrkräfte oder Verwandte – Männer aus dem unmittelbaren Bekanntenkreis. Selten haben wir auf einen Aufruf so viele Rückmeldungen bekommen. Hier ein paar Einblicke. 

Der Job als Gefahrenort

Laut Statistik Austria erfahren fast 27 % aller Frauen sexualisierte Belästigung am Arbeitsplatz. Was als solche gilt, ist festgelegt. Das sind zum Beispiel taxierende Blicke, anzügliche Bemerkungen oder körperliche Berührungen. Trotzdem gelten allein mündliche Äußerungen oder Blicke nicht als Straftatbestand. Dabei sind unangemessenes Anstarren und übergriffige Witze die häufigsten Formen von Belästigung. 

“Ich bin diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Sexuelle Belästigung passiert ständig. Ob durch Ärzte oder Patienten. Bei Mobilisierungsübungen oder Positionsänderungen wird uns, trotz vorheriger Bitte an Patienten, uns die Hand zu geben, immer wieder auf den Po oder an die Hüften gegriffen. Auf Fragen wie: “Ist Ihnen kalt, benötigen Sie eine Decke?“ antworten die Patienten: “Wenn ich dich ansehe, wird mir heiß“ oder: „Leg dich zu mir ins Bett.” Ein Physiotherapeut begann einmal ohne Absprache meine Schultern zu massieren: „Du siehst aus als würdest du gerade eine Massage benötigen“.

Keine Berufsbranche ist von sexualisierter Belästigung ausgenommen. Auch die mit uns geteilten Erfahrungen kamen aus allen Bereichen.

“Ich habe in der Produktion einer Unterwäschefirma gearbeitet. Der Vater der Inhaberin ist ab und zu vorbeigekommen und hat jedes Mal erwähnt, ich solle doch unbedingt für die Firma modeln und die Unterwäsche würde sicher gut an meinem tollen Körper aussehen. Wir waren ein sehr kleines Team und es war sehr unangenehm, weil keiner etwas gesagt hat. Auch ich habe es nicht geschafft.”

Bezeichnend ist vor allem, dass deutlich mehr Frauen als Männer sexualisierte Belästigung erlebt haben, sich das Verhältnis aber umkehrt, wenn es um die Beobachtung von Übergriffen geht. Obwohl sie Belästigungen also öfter von außen beobachten als Frauen, greifen Männer trotzdem selten ein. 

“Ich war 17 Jahre und habe eine Ausbildung zur Friseurin angefangen. Ich stand an der Kasse. Es waren noch zwei Kolleginnen da und mein Chef. Sonst keiner. Der Laden lief nicht. Da stellte sich mein Chef hinter mich und legte seine Hand auf meinen Po und glitt tiefer. Ich war wie erstarrt damals. Alle Frauen hat er so angefasst. Niemand hat was gesagt, auch nicht die männlichen Kollegen. Ich war dort drei Monate, dann bin ich gegangen, gemeinsam mit vier anderen Azubis, eine ist geblieben.”

“Ich war für eine Magenspiegelung beim Arzt. Als ich nach einer Kurznarkose wieder aufgewacht war, und nach Orientierung suchend um mich schaute, stand der Arzt neben mir. Er meinte: ‘Na Prinzesschen, schon aufgewacht? Sonst hätte ich dich jetzt wach geküsst.’”

Als ich in der Reha eine Rückenmassage bekam, hat der Masseur ganz dezent seinen Penis an meinen Körper gedrückt. Gerade so, als wäre nichts passiert. Dabei hätte er richtig Abstand halten können.”

Die Erfahrungen haben oft auch gesundheitliche Folgen, weil sich Frauen danach nicht mehr zum Arzt trauen. Das schlug Wellen in den Medien. Sowohl bei der Wiener Pflege- und Patient:innenanwaltschaft und der Ärztekammer werden allerdings kaum Fälle gemeldet, denn die Belästigungen finden meist ohne Zeug:innen im Behandlungszimmer statt. 

“Aufgrund eines Verdachts wurde mir von meiner Gynäkologin zu einem Ultraschall meiner Brust geraten. Die Untersuchung wurde von einem Arzt durchgeführt, der am Ende sagt: “Sie haben eine sehr jugendliche Brust”. Diese Äußerung hatte nichts mit dem Untersuchungsergebnis zu tun. Er schien die Wertung auch nicht als unangemessen zu empfinden. Ich aber fühlte mich äußerst unwohl, war leider nicht in der Lage verbal darauf zu reagieren. Ich bedeckte mich schnell und verließ den Untersuchungsraum, ohne zu wissen, was nun eigentlich das Ergebnis war.”

“Ich war mit Freundinnen und einem Freund an der Donau schwimmen. Hinter uns saßen 3 Jungs. Sie hatten ihre Handys dauernd in der Hand. Nach einiger Zeit kam ein Mann, um uns zu sagen, die Jungs hätten Fotos und Videos von uns beim Umziehen gemacht. Einer würde jetzt mit Erektion dasitzen und sich das vermutlich ansehen. Wir wussten nicht so recht, wie wir mit der Situation umgehen sollten. Was uns im Rückblick störte: Der Mann schob uns mit seiner, vermutlich gut gemeinten Info, die Verantwortung hinüber und musste sich dann nicht mehr damit beschäftigen. Wir wünschen uns, er hätte gefragt, ob es in unserem Sinne ist, wenn er die Jungs anspricht und es dann tut.”

“Ich stieg in einen Bus ein und zeigte meinen Ausweis her. Der Busfahrer griff einfach durch das Loch in der Plexiglasscheibe an meine Brust. Ich bin vor Schreck ausgewichen und nach hinten gerannt. Beim Ausstieg hab ich ihm aber meine Meinung gesagt, und zwar so laut, dass es jeder hören konnte! Außerdem hab ich ihn angezeigt!”

Was sich ändern muss

Je länger die Kommentarspalte unter unserem Aufruf, desto deutlicher die Tatsache, dass keine Situation für weiblich gelesene Personen wirklich sicher ist.

Nur ein Bruchteil aller sexualisierten Übergriffe werden zur Anzeige gebracht. Die Gründe dafür sind zahlreich: Die Behörden und Justiz verhalten sich oft schlecht, schützen dadurch in vielen Fällen leider immer noch die Täter. Die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser fordern deshalb verpflichtende Schulungen für alle Behörden, damit Betroffene ernst genommen werden. Dazu kommen Angst vor Aggressionen durch den Täter oder vor einem erfolglosen Verfahren, Scham- und Schuldgefühle, die großen Hürden einer Strafverfolgung. Die Liste ist endlos, doch die richtigen Maßnahmen könnten sie kürzen. 

Am Ende lässt sich Gewaltschutz nicht von einer grundsätzlichen Überwindung patriarchaler Strukturen und Stereotype trennen. Frauen werden in unbezahlte Care-Arbeit gedrängt und sind finanziell von Männern abhängig. Das macht sie angreifbar für alle Arten von Gewalt – auch für Belästigung und sexualisierte Gewalt. Opferschutz und Gleichstellungspolitik müssen Hand in Hand gehen, damit Frauen in Zukunft nicht nur vermeintlich sicher sind. 

 

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!