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Fortschritt

Gewaltschutz: „Eine Informationskampagne ist gut. Wir brauchen aber einen gesellschaftlichen Wandel.“

Maria Rösslhumer von den AÖF fordert verpflichtende Schulungen für Behörden und endlich Gleichberechtigung. Foto: Petra Paul
Der Nationalrat hat eine Informationskampagne zum Gewaltschutz beschlossen. Das ist gut, sagt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser. Aber: Um Frauen zu schützen, brauche es einen gesellschaftlichen Wandel, verpflichtende Schulungen für Behörden und ein Gesamtpaket.

MOMENT.at: Der Nationalrat hat die Umsetzung einer Informationskampagne beschlossen, um Frauen gezielt über die Angebote der Gewaltschutzeinrichtungen aufzuklären. Wie viel bringt eine solche Kampagne?

Maria Rösslhumer: Ich war etwas überrascht, finde Informationskampagnen grundsätzlich gut und wichtig. Es kommt allerdings darauf an, wie umfangreich sie umgesetzt werden.

Wichtig ist für mich, dass die NGOs aus dem Gewaltschutzbereich mitreden können und die Kampagne im Sinne eines wirksamen Opferschutzes umgesetzt wird. Reine Medienkampagnen mit Fokus auf Flyern, wie jene des Frauenministeriums während und nach der Pandemie, sind nicht wirksam genug. Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz bei Bewusstseinskampagnen.

Wichtig ist auch, dass eine Kampagne auf mehreren Säulen aufgebaut ist. Wir als von „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ setzen auf mehrere Handlungsschritte. Wir gehen zum Beispiel zu den Leuten hin, in die Nachbarschaft hinein. Wir gehen zu Betroffenen und zu den Menschen, die sich in der Gewaltprävention engagieren wollen. StoP-Mitarbeiter:innen suchen das Gespräch mit Betroffenen an den Türen, in Parks usw. Wir platzieren Aushänge zur Zivilcourage gegen Partnergewalt in den Stiegenhäusern, hängen Plakate auf und setzen öffentlichkeitswirksame Aktionen um. Wir veranstalten gemeinsam mit engagierten Nachbar:innen Workshops und Gesprächsrunden bei sogenannten Frauen- und auch Männertischen um.

Wir schauen, dass eine Kampagne flächendeckend und generationenübergreifend ist. Dass sie unterschiedlichste Communities erreicht. Und wir evaluieren, wie erfolgreich sie ist. Wir setzen bei einem Gesamtkonzept an. Wird die angekündigte Informationskampagne so umgesetzt, befürworte ich das natürlich.

MOMENT.at: Sie haben Männerrunden erwähnt. Wie wichtig sind die Männer im Kampf gegen Gewalt an Frauen?

Rösslhumer: Gewalt an Frauen ist ein Männerproblem. Ich bin daher der Meinung, dass wir viel mehr bei den Männern ansetzen müssen. Ich durfte zum Beispiel auch an der Kampagne „Man(n) spricht’s an“ des Sozialministeriums mitwirken. Damit werden auf Plakaten im öffentlichen Raum Männer angesprochen und aufgefordert, über ihr Verhalten nachzudenken – es zu reflektieren, zu verändern und aktiv zu werden.

Das Fundament der Gewalt an Frauen sind die patriarchalen Denkweisen und toxischen Männlichkeiten. Um das zu ändern, brauchen wir einen Wandel in der Gesellschaft.

Bei StoP fangen zivilcouragierte Männer auch an, sich für Gewaltschutz zu interessieren und zu engagieren. Das ist recht neu – meiner Meinung nach aber dringend erforderlich und wichtig. Denn das Fundament der Gewalt an Frauen sind die patriarchalen Denkweisen und toxischen Männlichkeiten. Um das zu ändern, brauchen wir einen fundamentalen Wandel in der Gesellschaft. Dafür müssen wir den Blick weg von den Frauen und Opfern hin zu den Tätern richten.

Ich befürchte, die angekündigte Kampagne richtet sich aber wieder an Frauen und nimmt sie in die Verantwortung – nicht die ausübenden Männer. Wieder müssen die Frauen etwas tun – sich Hilfe holen, sich schützen. Das ist wichtig, aber es braucht einen Perspektivenwechsel.

MOMENT.at: Eine umfassende Erhebung aller bestehenden Gewaltschutzeinrichtungen wurde im Nationalrat abgelehnt. Wäre das notwendig gewesen, aus Ihrer Sicht?

Rösslhumer: Im Grunde wissen wir, welche Angebote wir haben, welche Aufgaben und auch welche Defizite. Wir wissen zum Beispiel, dass das Bundesland Salzburg sehr wenig Frauenhausplätze hat. Wir haben meiner Meinung nach eine recht gute Infrastruktur an Opferschutzeinrichtungen und eine gute Gesetzeslage und zahlreiche Maßnahmen. Und trotzdem haben wir das alarmierende Problem, dass die Gewalt an Frauen nicht zurückgeht.

Da hilft auch kein Ruf nach strengeren Gesetzen oder höheren Strafen, wenn die Täter vor diesen geschützt werden.

Es fehlt das Bewusstsein in der Gesellschaft und in den Behörden. Die Justiz hat zum Beispiel noch gar nicht verstanden, was Gewalt an Frauen bedeutet. Wie sehr Frauen darunter leiden. Und sie schützen allzu oft die Täter. Da hilft auch kein Ruf nach strengeren Gesetzen oder höheren Strafen, wenn die Täter vor diesen geschützt werden.

Deswegen brauchen wir verpflichtende Schulungen für die Behörden. Es ist wichtig, dass Justiz, Polizei und alle staatlichen Behörden sensibilisiert werden im Umgang mit betroffenen Frauen. Dass sie die hilfesuchenden Frauen ernstnehmen und sie richtig und bestmöglich unterstützen. Und dass sie die Täter zur Verantwortung ziehen.  

MOMENT.at: Frauenministerin Raab meinte, die Regierung arbeite seit Beginn der Legislaturperiode intensiv am Schwerpunkt Gewaltschutz und es gebe ein gutes Angebot in Österreich. Dennoch gab es dieses Jahr bereits 20 Femizide?

Rösslhumer: Da frage ich mich: Wo setzt sich die Ministerin denn wirklich ein, dass Frauen ernsthaft gleichberechtigt sind und dieselben Chancen haben wie Männer? Dass sie gleich viel verdienen, dass sie existenziell abgesichert sind. Wir erleben wieder einen großen Rückschritt in der Gleichstellungspolitik. Frauen schlittern noch mehr in Armut und Abhängigkeit. Wie soll die Gewalt an Frauen zurückgehen, wenn sie von den Tätern abhängig sind?

Ja, wir haben zahlreiche Maßnahmen, aber es scheitert an der Umsetzung. Wir haben immer noch keinen nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen. Es fehlt an einer Gesamtstrategie im Opferschutz und in der Gleichstellungspolitik. Dass Regierung, Bund und Länder an einem Strang ziehen. Dass alle sagen, wir müssen alles tun gegen Gewalt an Frauen. Dass alle Ministerien gemäß der Istanbul-Konvention IC einen klaren Beitrag leisten. Das passiert nicht. Das fehlt. Und wir sind weit entfernt von einer Gleichstellungspolitik. Auch das steht in der Istanbul-Konvention.

Wir brauchen dringend ein solches Gesamtpaket und viel Geld für die Umsetzung der IC und einer großen, flächendeckenden Bewusstseinskampagne.

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