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Gesundheit

Sogar jetzt wollen Neoliberale weiter die Spitalsbetten kürzen

Spätestens die Corona-Krise sollte eigentlich auch für die überzeugtesten Neoliberalen klar gemacht haben: Ein gut ausgebautes öffentliches Gesundheitssystem ist enorm wichtig. Doch weit gefehlt – einschlägige Kreise haben nun sogar eine neue Diskussion über die Kürzung von Spitalsbetten losgetreten.
Ex-Rechnungshofpräsident und Ex-ÖVP-Funktionär Franz Fiedler darf in einem Artikel im Standard etwa eine Warnung davor aussprechen, frühere Kürzungs-Empfehlungen des Rechnungshofs „automatisch über Bord zu werfen“. Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) wird im selben Artikel damit zitiert, dass auch bei einer Reduktion der Bettenzahl „die Kapazitäten nicht annähernd ausgelastet gewesen“ wären. „Wir wären mit der Hälfte der Betten ausgekommen“, behauptet Czypionka sogar.

Dem widerspricht die Wiener Ärztekammer scharf. Aussagen, dass das Gesundheitssystem auch mit der Hälfte der Betten ausgekommen wäre, würden „deutlich und auch sehr gefährlich“ an der Realität vorbeigehen, sagt Vizepräsident Wolfgang Weismüller in einer Aussendung: „Statistiker mögen ihre Zahlen lieben, die Einschätzung der Arbeit im Spital ist dann aber doch etwas für die Ärztinnen und Ärzte.“

Applaus erhält Czypionka dagegen prompt und wenig überraschend von Lukas Sustala vom neoliberalen Think-Tank „Agenda Austria“. Der attestiert Czypionka „wichtige Argumente“ in einer Diskussion, die ansonsten „besonders unterkomplex geführt“ würde.

Der ÖVP-dominierte Rechnungshof will kürzen

Dass im Artikel des Standard prominent ein ehemaliger Rechnungshofpräsident zitiert wird, sollte nicht als Zufall betrachtet werden. Denn vor allem der – jahrzehntelang ÖVP-dominierte – Rechnungshof trommelt bereits seit Langem für die Kürzung von Spitalsbetten. 2015 etwa hatte er behauptet, dass es in Österreich „Überkapazitäten im stationären Bereich“ gäbe. Würde die Anzahl der Akutbetten abgebaut, könnten 4,75 Milliarden Euro gespart werden, so der Rechnungshof.

Bei den Akutbetten handelt es sich um jene Betten, die für nicht geplante Aufnahmen bereitgehalten werden – also genau jene Betten, die im Fall einer Pandemie besonders wichtig sind. Es geht dabei allerdings nicht um das physische Bett, sondern um das Personal in den Spitälern, damit dieses Bett auch „aufgemacht“ werden kann. Wer also weniger Betten fordert, fordert real Personalkürzungen in den Krankenhäusern.

Warum Österreich (bisher) gut davongekommen ist

Was allerdings sowohl der ehemalige ÖVP-Parlamentssekretär Fiedler wie Czypionka vom IHS in ihren Statements „vergessen“: Zum einen hatte Österreich schlichtweg Glück. Wenn die COVID-19-Welle in Europa zuerst Österreich erfasst hätte, hätte die Situation völlig anders ausgesehen.

Nach verschiedenen Medienberichten musste etwa in Italien sogar die sogenannte Triage angewendet werden. Das bedeutet, dass Menschen nach ihrer Überlebenschance eingeteilt werden. Damit bekommen beispielsweise ältere Menschen keine angemessene Behandlung, weil es nicht genug medizinische Kapazitäten gibt. Stattdessen werden sie nur noch beim Sterben begleitet.

Was passiert, wenn die nächste Welle kommt?

Zum zweiten wurden in sehr vielen Spitälern in Österreich nicht unmittelbar notwendige Operationen zurückgestellt, um Kapazitäten freizuhalten. So erklärt etwa Wiens Ärztekammer-Vize Weismüller: „Wir haben die Betreuung von Patientinnen und Patienten ohne COVID-19-Infektion massiv heruntergefahren, um möglichst viel Kapazität für den Fall zu haben, dass uns eine Infektionswelle überrollt.“

Doch so etwas kann logischerweise auch nur über einen gewissen Zeitraum funktionieren – dann müssen diese Operationen durchgeführt werden und die Betten und das Personal werden gebraucht. Was schließlich noch völlig unklar ist: Zahlreiche ExpertInnen gehen davon aus, dass eine zweite Welle von Corona-Erkrankungen auf Österreich zukommt.

>>> Kürzungen im Gesundheitswesen sind buchstäblich tödlich

 

„In Österreich ist eine zweite Welle nicht unrealistisch, im Gegenteil: Man muss davon ausgehen, dass sie auf uns zukommen wird“, sagt etwa Eva Schernhammer, Leiterin der Abteilung für Epidemiologie der Medizin-Universität Wien gegenüber dem ORF. Wie hart diese zweite Welle die Bevölkerung treffen wird – und welche Kapazitäten dann benötigt werden –, das kann heute niemand seriös beurteilen.

Welche politischen Kräfte wollen die Betten kürzen?

Besonders gern haben in der Vergangenheit PolitikerInnen der ÖVP, der FPÖ und der Neos die Vorlagen des Rechnungshofs aufgegriffen. (Hier könnt ihr lesen, welche PolitikerInnen in Österreich Spitalsbetten abbauen wollten). FPÖ-Chef Norbert Hofer etwa erklärte noch im Jänner dieses Jahres: „Österreich hat doppelt so viele Akutbetten wie der Schnitt der Staaten in der Europäischen Union“. Das sei ein „Misstand“.

Das Corona-Virus hatte zu diesem Zeitpunkt schon begonnen, sich global auszubreiten. Es gab bereits Berichte in Zeitungen und im Fernsehen, die Apothekerkammer hatte bereits Warnungen veröffentlicht. Doch faktisch werden nicht nur in bürgerlich regierten Bundesländern seit Jahren die Spitalsbetten zusammen gekürzt.

So hatte etwa Wien im Jahr 2018 um rund 1.700 sogenannte Akutbetten weniger als noch 1994 – trotz steigender Bevölkerungszahl. Welche Bundesländer in den vergangenen Jahren in welchem Ausmaß Akutbetten gekürzt haben? Diese Zahlen findest du hier.

Welches Gesundheitssystem brauchen wir?

Nun gibt es tatsächlich sinnvolle Argumente für gewisse Umgestaltungen des medizinischen Sektors. Die wenigsten Menschen liegen gerne tage- oder gar wochenlang im Spital. Und oft könnten solche Spitalsaufenthalte verhindert werden, wenn etwa Vorsorgeuntersuchungen oder physiotherapeutische Behandlungen deutlich ausgebaut würden.

Wenn es also in der Debatte tatsächlich darum gehen würde, Ressourcen, finanzielle Mittel und Personal aus dem stationären Bereich in die Vorsorge zu verlagern, wäre das zweifellos auch im Sinne der Patientinnen und Patienten wünschenswert. Dieses Argument wird zwar auch in den neoliberalen Vorschlägen gern erwähnt. Doch faktisch liegt der Schwerpunkt dann eben nicht auf Verschiebungen – sondern auf drastischen Kürzungen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge.

Klarerweise haben aber auch gesundheitspolitisch sinnvolle Verlagerungen Grenzen. So warnt etwa der Salzburger Spitalsarzt S.: „Man muss einfach eine gewisse Infrastruktur quasi auf Vorrat halten. Du kannst so ein System im Bedarfsfall nicht innerhalb einer Stunde hochfahren. Jetzt wird das ja für alle Menschen offensichtlich.“

Und auch Ärztekammer-Vize Weismüller bringt einen plastischen Vergleich: „Man schraubt der Feuerwehr ja auch nicht die Räder von den Autos, nur weil sie die meiste Zeit in der Garage stehen.“

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