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Ungleichheit
Kapitalismus

Solidarisches Wohnprojekt: Keine Miete mehr für „Arschlöcher”

Solidarisches Wohnprojekt: Keine Miete mehr für „Arschlöcher”
Mieter:innen sind oft der Willkür des Marktes ausgeliefert. Das selbstverwaltete Wohnprojekt SchloR in Wien zeigt einen Ausweg: ein sicheres Zuhause voller Selbstbestimmung - ganz ohne Profitzwang. Ein Hausbesuch.

Als wir Evamaria besuchen, bietet sie uns Kaffee an. Wir sitzen am großen Küchentisch ihrer 5er-WG. Auf der Couch spielt eine Mitbewohnerin gerade mit Evamarias zweieinhalb Monate altem Baby, während sich ein anderer Mitbewohner ins Zimmer zurückzieht. „Home-Office“, murmelt er.

Wer mietet, zahlt in Österreich heute rund 70 Prozent mehr als noch 2010. Die Gehälter halten besonders im niedrigen Bereich da nicht mit. Wohnen ist für viele zum Luxusgut geworden, statt ein Grundrecht zu bleiben. Der Verein SchloR, auf dessen Gelände auch diese WG wohnt, will eine radikale Alternative sein: Leben mit Freund:innen, ohne dass ein Miethai profitiert. Wie funktioniert das Zusammenleben in und die Idee hinter diesem solidarischen Leuchtturmprojekt?

Bei unserer Tour erinnert Evamaria sich vor dem Wohntrakt an früher und die nagende Frage, die sie sich nach 15 Jahren in befristeten Mietverhältnissen gestellt hat: „Gibt es irgendwann mal Sicherheit? Geht es auch, ohne dass dauernd die Miete steigt?“ Bei der Antwort stieß sie auf die Idee hinter SchloR, seit fünf Jahren ist sie im Verein aktiv. Ihr politisches Ziel: Räume zum Leben schaffen, die dem profitorientierten Markt entzogen und dadurch dauerhaft leistbarer bleiben. 

Seit 2023 wohnt sie wie mittlerweile fast alle Mitglieder des Vereins auf dem SchloR-Gelände. Da wurde das heutige Wohngebäude fertiggestellt.

Lieber 1.000 Freund:innen im Rücken als eine Bank im Nacken

SchloR ist ein Verein und Teil des Dachverbands habiTAT. Das Modell orientiert sich am deutschen „Mietshäuser Syndikat“: Ein Haus wird dem Markt entzogen und kann nicht mehr verkauft werden. Es gehört quasi sich selbst.

Rechtlich funktioniert das so: 51 % der Anlage gehört dem Verein der Bewohner:innen, der Rest dem Dachverband habiTAT. Wichtige Entscheidungen brauchen beide Seiten. „Falls wir auf die Idee kämen, unser Grundstück zu verkaufen, weil es plötzlich viel wert ist, legt habiTAT ein Veto ein“, erklärt Evamaria. Das verhindert Spekulation. Ansonsten können die Bewohner:innen alles selbst entscheiden.

SchloR finanziert sich größtenteils über Direktkredite. Privatpersonen leihen dem Projekt Geld - zwischen 500 und 50.000 Euro. Sechs Millionen Euro hat der Umbau gekostet. 3,5 Millionen davon kamen direkt von Unterstützer:innen des Vereins. Eigenmittel müssen die Vereinsmitglieder nicht einbringen. SchloR sucht weiterhin Direktkredite, um alte Kredite abzulösen, wenn jemand sein Geld zurück braucht. 

Die restlichen 2,5 Millionen Euro lieh sich der Verein von der deutschen „Umverteilen! Stiftung für eine solidarische Welt“. Die Zinsen, die SchloR zahlt, nutzt diese Stiftung wiederum, um andere soziale Projekte zu fördern. Selbst wenn alle Schulden getilgt sind, werden die Bewohner:innen weiter Miete zahlen - der sogenannte „Solidarbeitrag“.

Damit werden dann neue Hausprojekte finanziert. „Es ist leichter, etwas Neues zu starten, wenn die Grundfinanzierung aus einem bestehenden Projekt kommt“, sagt Evamaria. „Und es fühlt sich gut an, Miete zu zahlen - aber eben nicht an ein Arschloch oder eine Investmentfirma.“

Hosen runter beim Bieterverfahren

Um die Mieten fair zu verteilen, startete die Gruppe einen solidarischen Prozess. Zuerst wurde berechnet, was der Quadratmeter kostet, wenn alle gleich viel zahlen. Dann wurde es persönlich.

„Wir haben die Hosen heruntergelassen“, erzählt Evamaria. „Wir legten unsere Gehälter offen, unser Erspartes und stellten die wichtigste Frage: Wer wird einmal was erben?“

Danach folgte ein Bieterverfahren: Jede Person bot an, wie viel Miete sie zahlen kann. Das funktionierte erstaunlich gut. Heute liegen die individuellen Mieten zwischen 150 und 700 Euro. Wer mehr hat, zahlt mehr - wer wenig hat, wohnt trotzdem hier.

Zirkus statt klassischem Wohnbau

Eigentlich wollte die Gruppe ein Haus am Gürtel. Doch fündig wurden sie im Gewerbegebiet in Simmering. Die Bedingung: Wer hier wohnt, muss auch Gewerbe betreiben. Ein Glücksfall für das Projekt.

„Für Leute, die nur wohnen wollen, ist das uninteressant. Wir wollten aber mehr“, so Evamaria. Da der Vorbesitzer eine Zirkus-Halle führte, übernahm der Verein diese Tradition. Heute ist die Wiener Zirkusszene fester Bestandteil von SchloR. Deshalb gibt es auf dem Gelände nicht nur vier große Gemeinschaftswohnungen, sondern auch Arbeitsplätze: eine 500 Quadratmeter große Trainingshalle („TRAP“), mehrere Kreativräume („CRAP“) und einen Veranstaltungsraum.

In der sieben Meter hohen TRAP-Halle trainieren Artist:innen Luftakrobatik und zeitgenössischen Zirkus. Auch eine Box-Crew nutzt den Raum. „Wir sind offen für vieles, aber der Zirkus ist unser Alleinstellungsmerkmal in Wien“, sagt Evamaria.

Die Bewohner:innen nutzen die Halle natürlich auch - etwa für Yoga am Morgen oder das gemeinsame Workout am Samstag. „Es ist super, wenn vor der Haustür Tischtennis-Turniere stattfinden”, schwärmt Evamaria.

Wohnen im Einklang mit dem Klima

Auch Nachhaltigkeit ist der Gruppe hier wichtig. Statt Beton dominiert eine Mischung aus Holz, Zellulose und Lehm. Auf dem Dach der Halle erzeugt eine riesige Photovoltaikanlage Strom, der zusammen mit einer Wärmepumpe das ganze Gelände versorgt. Der Wassertank auf dem Gelände speichert bis zu 10.000 Liter Regenwasser. Die Bewohner:innen nutzen das für die Klospülung und zum Gießen.

„Außerdem teilen wir viele Ressourcen. Wenn ich einen Akkuschrauber brauche, leihe ich ihn mir einfach in der Werkstatt“, sagt Evamaria.

Wie divers ist das Projekt?

Derzeit leben 17 Menschen auf dem Gelände – damit sind alle Zimmer vergeben. Davon 15 in den drei WGs und eine Mutter mit ihrem Kind in einer kleinen Wohnung für drei Leute. Evamaria gibt selbstkritisch zu: „Es wohnen eher Menschen mit akademischen Berufen hier.“ In regelmäßigen Treffen besprechen sie nun, wie SchloR offener und diverser werden kann. Evamaria erklärt, dass das Wohnprojekt eben auch viel ehrenamtliche Arbeit erfordert. Dadurch spricht es eher Menschen an, die diese auch leisten können, weil sie nicht mit der Bewältigung ihrer Lebensrealität beschäftigt sind. 

Die Arbeit am Projekt ist zum Beispiel aufgeteilt: Jede Person übernimmt Verantwortung in einer Arbeitsgruppe, etwa bei der Vermietung der Halle. Andere Aufgaben wie Putzdienste rotieren. Entscheidungen fallen im Konsens. Das heißt nicht, dass alle „Ja“ schreien müssen, sondern dass niemand ein schwerwiegendes „Nein“ hat. Bedenken werden ernst genommen und in die Lösung integriert, bis das erreicht ist.

Schöner Leben für alle

SchloR versteht sich als aktivistisches Projekt und zeigt das auch nach außen. „Wir stellen unsere Räume Initiativen gratis oder sehr günstig zur Verfügung“, sagt Evamaria. Es geht darum, Freiräume von Kommerz zu schaffen, die es in der Stadt immer seltener gibt. Dabei achten sie auch auf Diversität: In den Proberäumen gilt etwa eine FLINTA*-Quote - damit nicht nur reine Männerbands die Räume besetzen.

Der Kreativtrakt („CRAP“) bietet seit 2021 Ateliers, ein Töpferstudio, Werkstätten für Holz, Metall und Fahrräder sowie eine Bühne mit Bar. Auch diese Werkstätten stehen nicht nur den Bewohner:innen offen, sondern werden von externen Personen genutzt.

„Ich liebe diese Halböffentlichkeit“, sagt Evamaria. Man hat seinen Rückzugsort, ist aber sofort unter Leuten, wenn man vor die Tür tritt. „Und der Heimweg nach Partys am Gelände ist unschlagbar kurz“, lacht sie.

Ihr Highlight? Der Saunawagen. „Viele von uns saunieren gerne. Aber in einer normalen WG baut man sich eher selten eine Sauna ein“, sagt Evamaria. „Mit 17 Leuten kann man sich so einen Luxus leisten und die Kosten teilen.“

Es muss ja niemand Gewinne machen.

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