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Verbotener Kinderwunsch: Wie Österreich Single-Frauen im Stich lässt

Astrid Wödl wünscht sich ein Kind – doch weil sie Single ist, dürfen Ärzt:innen in Österreich ihr nicht helfen. Sonst drohen ihnen bis zu 50.000 Euro Strafe. Deshalb zieht Wödl jetzt mit anderen Betroffenen vor den Verfassungsgerichtshof.

Acht Mal ist Astrid Wödl von Wien nach München gefahren. Acht Mal zum Bahnhof, acht Mal fünf nervöse Stunden Zugfahrt plus zwei Stunden Puffer (man kennt ja die Deutsche Bahn), acht Mal fünf Stunden zurück. Einmal musste sie überraschend über Nacht bleiben, dann noch eine Nacht und noch eine. Einmal kam sie mit Koffer und fuhr dann doch am gleichen Tag zurück. Rund 2.000 Euro, sagt sie, haben allein die Zugtickets und Hotel-Übernachtungen gekostet, kurzfristig nötige Umbuchungen eingerechnet.

Die Mühe hat sich für Wödl gelohnt: Im Dezember erwartet sie ihr erstes Kind. Bei einem Besuch Anfang Oktober stapeln sich im ersten Stock ihres kleinen Häuschens am Stadtrand von Wien Kisten mit Babykleidung, ein Kinderbettchen steht schon da, an der Wand hängen Bilder von Planeten und im Weltraum schwebenden Astronaut:innen, an der Tür steht in geschwungenen Buchstaben ein Bubenname.

50.000 Euro Strafe für Hilfe beim Kinderwunsch

Warum der Weg zu ihrem Kind über München führte? Weil Astrid Wödl Single ist – und es Ärzt:innen in Österreich daher bei einer Strafe von bis zu 50.000 Euro verboten ist, sie bei ihrem Kinderwunsch mit einer künstlichen Befruchtung zu unterstützen.

Gemeinsam mit 19 anderen Betroffenen und zwei Gynäkolog:innen hat Wödl daher am 7. Oktober einen Antrag beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingereicht. Sie wollen, dass der entsprechende Paragraph im Fortpflanzungsmedizingesetz aufgehoben und der Rest des Gesetzes angepasst wird. Um die Verfahrenskosten zu stemmen, haben sie eine Crowdfunding-Kampagne gestartet.


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Kinderwunschbehandlungen waren in Österreich lange nur für heterosexuelle Paare erlaubt, eine Reform öffnete sie 2015 für gleichgeschlechtliche Paare. Auch den Weg zu dieser Reform musste der VfGH ebnen.

Finanzielle Förderung für Paare, Verbot für Singles

Bei Paaren fördert der österreichische Staat Kinderwunschbehandlungen finanziell: Unter bestimmten Bedingungen übernimmt der IVF-Fonds den Großteil der Kosten für bis zu vier Versuche. Bis zu 10.000 Euro beträgt die Unterstützung. Außerdem können Paare die Behandlungskosten von der Steuer absetzen. Allein mit Hilfe der vom IVF-Fonds geförderten Behandlungen wurden im vergangenen Jahr 2.800 Babys geboren, das war jedes 27. Baby in Österreich.

Für alleinstehende Frauen gilt all das nicht. Sie können nicht auf den IVF-Fonds zugreifen, sie können Behandlungen nicht von der Steuer absetzen – und sie dürfen sich nicht einmal in Österreich behandeln lassen. Das Gesetz schließt sie ausdrücklich aus. 

Diese Beschränkung bedeute eine „sachlich nicht zu rechtfertigende Diskriminierung alleinstehender Frauen (…) und eine Verletzung ihres Rechts auf Privat- und Familienleben“, heißt es in dem Antrag an den VfGH. Die Rechtslage verstoße somit „gegen in der österreichischen Verfassung verankerte Grundrechte“.

Solo-Mutterschaft: Der Abschied vom klassischen Familienbild

Astrid Wödl wollte immer Kinder, aber als sie 33 war, ging ihre Ehe in die Brüche. „Ich hatte dann erst einmal kein Interesse, mich wieder ins Datingleben zu stürzen“, erzählt sie, „und ich wollte auch niemanden unter der Prämisse kennenlernen: Hallo, ich bin Astrid, ich hätte gern ein Kind und am besten übermorgen.“ Also begann sie nach anderen Modellen zu suchen.

Sie dachte über Co-Parenting nach, aber es gab niemanden in ihrem Umfeld, mit dem sie sich das vorstellen konnte. Sie überlegte, sich einen privaten Samenspender zu suchen, „aber man kann eine Person in Österreich nicht von ihren Rechten und Pflichten als Vater entbinden“, erklärt sie. „Selbst wenn man einen Vertrag schließt, dass er keinen Unterhalt zahlt und das Kind nicht sehen will: wenn er nach Jahren draufkommt, jetzt interessiert es ihn doch, kann er das einklagen.“ Das war Wödl zu viel rechtliche Unsicherheit für alle Beteiligten.

„Dann gab es diese krude Idee“, erzählt sie, „wo jemand gesagt hat, naja, dann gehst du halt fort und …“ Für sie keine Option. „Ich will niemanden zum Vater machen, der vielleicht gar keine Kinder will“, sagt sie. „Selbst wenn er es nie erfahren würde, fände ich das einfach unaufrichtig ihm gegenüber.“ 

Also recherchierte sie weiter, stieß auf das Konzept Solo-Mutterschaft, stellte fest, dass diese in vielen Ländern Europas rechtlich kein Problem ist – und kam schnell zu einer Entscheidung.

Soziales Netz statt Partner

Kindern solle „nicht von vornherein nur ein Elternteil zur Verfügung stehen“: so erklärte die damalige rot-schwarze Regierung, warum sie 2015 das Fortpflanzungsmedizingesetz zwar zugunsten gleichgeschlechtlicher Paare, aber nicht zugunsten alleinstehender Frauen änderte. 

Dahinter steckt eine nachvollziehbare Sorge. Geburt, Wochenbett, Schlafmangel, ein schreiendes Baby, ein kleines Kind: All das bringt viele Menschen sogar zu zweit an ihre Grenzen. Wie stemmt man das alleine? 

Diese Frage hat sich auch Astrid Wödl gestellt. „Natürlich denkt man darüber nach“, sagt sie. „Aber ich habe ein soziales Netz, das mich unterstützt. Nachbarinnen haben ganz konkret gesagt: Wenn du duschen willst, ruf an, ich komme und setze mich zum Kind. Mein Papa wird mir in der ersten Zeit Essen vorbeibringen, meine Mama geht mit dem Kind spazieren, wenn ich Entlastung brauche. Und alle freuen sich auf diese Beteiligung.“

Drei Kinder als Solomutter

Die österreichische Gesetzeslage spiegelt ein idealisiertes Bild der Kernfamilie wieder, das sich erst im 20. Jahrhundert durchgesetzt hat. Bis dahin lebten Menschen jahrtausendelang nach dem Konzept „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen”. Nach diesem Konzept funktioniert auch die Solo-Mutterschaft.

Das zeigt auch das Beispiel von Maxi Ludwig. Sie ist 38 und lebt in Berlin, Anfang Oktober hat sie ihr drittes Kind auf die Welt gebracht. Acht Tage später erzählt sie im Videotelefonat von ihrem Leben als Solomutter. Das Baby schläft, die Fünfjährige ist übers Wochenende bei Ludwigs Tante, die Zweieinhalbjährige bei ihrer Mutter.

Ideal sei die rechtliche Situation auch in Deutschland noch nicht, sagt Ludwig. Weil einheitliche Regelungen fehlten, habe sie immer wieder mühsame Diskussionen mit Behörden, die mit dem leeren Feld in der Geburtsurkunde ihrer Kinder nichts anzufangen wüssten. Das koste Kraft und sei belastend.

Aber davon abgesehen komme sie im Alltag dank ihres Netzwerks gut mit der Solo-Mutterschaft klar. Für die Zeit um den Geburtstermin herum etwa hat Ludwig eine Tabelle erstellt, in der ihre Freund:innen eintragen konnten, wer sich an welchem Tag um eines der größeren Kinder oder um beide kümmern könnte. Jetzt im Wochenbett nutzt sie erstmals einen Lieferservice für Lebensmittel und hat eine Messenger-Gruppe erstellt, in der sie posten kann, wenn sie ein Medikament braucht oder bei der Lebensmittelbestellung etwas vergessen hat.

„So viele Leute sind alleinerziehend und haben sich das nicht ausgesucht“

In gewisser Weise sei die Solo-Mutterschaft sogar von Vorteil, sagen Wödl und Ludwig: „Ich habe es in vielen Punkten einfacher, weil ich Dinge alleine entscheiden kann“, formuliert es Wödl. „Ich kann mir jederzeit Unterstützung von außen holen, aber ich muss weniger diskutieren und mich nicht über einen Partner ärgern.“

Und natürlich: „Wie viele Beziehungen mit Kindern gehen auseinander? Was ist, wenn ein Partner zum Beispiel verstirbt? Es gibt so viele Leute, die alleinerziehend sind und sich das nicht ausgesucht haben.“

In mehr als jede fünften Familie mit Kindern in Österreich gibt es nur einen Elternteil. Natürlich: Diese Familien sind oft armutsgefährdet. Doch Interessensvertretungen und Sozialorganisationen haben viele Vorschläge, wie man ihre Situation verbessern könnte. Der Ausschluss alleinstehender Frauen von Kinderwunschbehandlungen ändere am Armutsrisiko jedenfalls nichts, heißt es sinngemäß im VfGH-Antrag: „Die Absicherung von Alleinstehenden kann und muss jedenfalls anders erfolgen als durch ein von vornherein lückenhaftes gesetzliches Verbot einer alleinstehenden Mutterschaft.“

Ein teurer Schwarzmarkt für Wohlhabende

Die Bioethikkommission des Bundeskanzleramts hat sich schon 2012 dafür ausgesprochen, den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin für lesbische Paare und alleinstehende Frauen zu öffnen. Der Ausschluss sei „nicht begründbar, sondern beruht auf Ideologien“, heißt es in der Stellungnahme.

Das Verbot habe „zur Entwicklung eines rasch wachsenden Schwarzmarktes und eines zunehmenden Medizintourismus geführt“, schreibt die Kommission weiter. Weil dieser Medizintourismus teuer sei, stelle er „eine Diskriminierung von ökonomisch schlechter gestellten Frauen“ dar. Außerdem solle „Situationen entgegengewirkt werden, in denen Frauen oder Paare aus Kostengründen billige und teils unseriöse Angebote zur Behandlung im Ausland annehmen, weil ihnen der Zugang zu solchen Behandlungen im Inland nicht möglich ist.“

Zwölf Stunden Fahrt für einen halbstündigen Termin

Das Problem mit dem Medizintourismus, den Astrid Wödl und andere betroffene Frauen bisher für die Solo-Mutterschaft betreiben müssen, ist nicht nur das Geld. Es geht auch um Zeit, um verlorene Urlaubstage, um Planungsunsicherheit, um psychische Belastungen, um Diskriminierung.

Die Termine in der Münchner Klinik hätten manchmal inklusive Wartezeit nur eine halbe Stunde gedauert, erzählt Wödl. „Einmal war ich war sechs Stunden in die eine Richtung unterwegs, bin zu meinem Termin reinmarschiert, habe den Ultraschall gemacht, die Ärztin hat gesagt, schaut gut aus, und ich bin wieder sechs Stunden zurückgefahren.“

Und das alles unter massiver Anspannung: „Man steht die ganze Zeit unter Strom. Es ist sehr kräftezehrend.“

Auf das Timing kommt es an

Als Lehrerin konnte Wödl sich für diese Tage nicht einfach freinehmen, sondern musste Stunden tauschen. Sie musste also ihrer Chefin und Kolleg:innen von ihren Plänen erzählen – und hatte das Glück, deren Unterstützung zu bekommen.

Der Erfolg einer künstlichen Befruchtung steht und fällt auch mit dem perfekten Timing: die Behandlung muss genau am Tag des Eisprungs erfolgen. Deswegen müssen die Frauen ihre Auslandsreisen oft kurzfristig planen oder umplanen. Betroffene, die im Job nicht so offen mit dem Thema umgehen können oder wollen wie Astrid Wödl, müssen ständig Begründungen oder Ausreden finden, warum sie jetzt genau an diesen einem Tag Urlaub brauchen.

Ein Verbot, das Vorurteile schürt

Das steht zum Beispiel Maren bald bevor. Auch sie hat den Antrag an den VfGH unterschrieben. Ihr echter Name soll hier nicht genannt werden, weil noch nicht ihr ganzes Umfeld von ihren Plänen weiß. Im Februar soll ihre Behandlung starten. „In meinem Freundinnenkreis haben sich einige sehr gefreut, aber andere waren skeptisch“, sagt Maren. „Auch weil sie dachten: Es wird schon einen Grund geben, warum das verboten ist.“

Maren macht sich Sorgen, dass ihr Kind wegen der Gesetzeslage diskriminiert werden könnte: „Für viele Leute ist das sowieso schon eine komische Art, eine Familie zu gründen. Wenn es dann auch noch verboten ist, wird mein Kind vielleicht noch komischer beäugt.“ 

„Da hängt viel Trauer mit dran”

Sie sei auch schon gefragt worden, ob sie sich das mit der Solo-Mutterschaft wirklich gut überlegt habe, erzählt sie. „Aber gerade, weil ich es alleine mache, habe ich mich gefühlt schon jetzt viel intensiver mit allem auseinandergesetzt als viele Paare, die Kinder planen.“

„Wer sich für so einen Weg entscheidet, überlegt sich das nicht spontan“, sagt auch die dreifache Solomutter Maxi Ludwig. „Das ist keine Kurzschlusshandlung. Da hängt viel Trauer mit dran, ein Abschied von einem erträumten Ideal. Man sollte also vorsichtig sein, mit welcher Vorwurfshaltung man den Menschen begegnet.“

Die Politik ignoriert die Solo-Mutterschaft

Eine alternde Gesellschaft, sagt Maren, sollte doch froh sein, wenn Menschen Kinder bekommen wollen. „Da finde ich es arg, dass uns da Steine in den Weg gelegt werden.“ 

Die Politik aber ignoriert das Thema Solo-Mutterschaft seit Jahren. Es sieht so aus, als müsste der Anstoß zu einer Gesetzesänderung tatsächlich wieder vom VfGH kommen ­–  so wie schon bei der Ehe für alle oder bei den Rechten von intergeschlechtlichen Menschen

2022 brachten die Neos einen Antrag auf Änderung ein. Er wurde mehrfach vertagt. Und jetzt, wo die Neos in der Regierung sind? Man befürworte weiterhin eine Änderung, heißt es von Frauensprecherin Henrike Brandstötter. Aber: „In den Verhandlungen zum Regierungsprogramm konnte in diesem Punkt leider keine Einigung mit den Koalitionspartnern gefunden werden.“ Eine Anfrage an Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Wolfram Proksch, der Anwalt der Solomütter, rechnet ihrem Antrag jedenfalls gute Chancen aus. „Ich sehe kein Argument, mit dem die Frage der Gleichheitswidrigkeit vom Tisch gefegt werden könnte“, sagt Proksch. Für realistisch hält er eine Entscheidung im Frühling oder Sommer 2026.

Astrid Wödls Kind wird dann schon munter in seinem Kinderbettchen vor sich hin brabbeln. „Es wäre voll schön“, sagt Wödl, „wenn ich eine der letzten Frauen wäre, die diese ganze Fahrerei auf sich nehmen mussten.“


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