Warum die Kernfamilie nicht das Fundament unserer Gesellschaft ist
![Warum die Kernfamilie nicht das Fundament unserer Gesellschaft ist](https://www.moment.at/wp-content/uploads/2024/02/drei-argumente-gegen-kernfamilie-1.jpg)
Die Familie aus Vater, Mutter und Kindern ist der Kern unserer Gesellschaft. Das war immer schon so und das wird immer so bleiben. Das hört man oft, aber es stimmt so nicht: Wir haben drei Argumente dagegen.
Vater, Mutter und 2 oder 3 Kinder: So sieht die ideale Familie aus. Wer anders leben möchte, darf das zwar – so ganz richtig ist das dann aber nicht. Denn die Kernfamilie hat immer schon das soziale Grundgerüst gebildet, auf dem sich unsere Welt aufbaut. Und das wird auch immer so bleiben.
Das hörst du vielleicht manchmal so, es stimmt aber natürlich nicht. Denn die Kleinfamilie ist ein relativ junges Phänomen. Und sie bringt bei weitem nicht nur Vorteile mit sich. Wir liefern dir drei Argumente, warum die Kernfamilie nicht das Fundament unserer Gesellschaft bildet und es nötig ist, andere Modelle zuzulassen und zu finden:
![Eine Familie sitzt vor einem verschwommenen Hintergrund, der einen Wald zeigt. In der Mitte sitzt ein Baby in Latzhose, recht und links davon seine Mutter und sein Vater. Beide lächeln das Baby an. An den Rändern knien ein Bube und ein Mädchen, die sich an ihre Eltern kuscheln. “3 Argumente gegen: Die Kernfamilie ist das Fundament der Gesellschaft.”](https://www.moment.at/wp-content/uploads/2024/02/3-Argumente-Kernfamilie.png)
![Eine Frau sitzt an einem Tisch und greift sich an die Schläfe. Sie hat rote Haare und trägt eine beige Bluse. Sie ist offenbar angestrengt.](https://www.moment.at/wp-content/uploads/2024/02/3-Argumente-Kernfamilie1.png)
![2 Männer küssen sich leidenschaftlich. Bede tragen eine Brille, sie werden großteils vom Textfeld überdeckt.](https://www.moment.at/wp-content/uploads/2024/02/3-Argumente-Kernfamilie2.png)
![Einen Menschenkette steht am Meer und blickt in den Sonnenuntergang. Sie sind nur von hinten als Schemen zu erkennen, manche von ihnen halten sich an den Händen oder haben die Arme hinter den Körper der anderen gelegt.](https://www.moment.at/wp-content/uploads/2024/02/3-Argumente-Kernfamilie3.png)
#1 Die Kernfamilie verstärkt soziale Ungleichheit
Früher lebten die Menschen wesentlich häufiger in größeren Gemeinschaften zusammen. Drei oder vier Generationen einer Familie in einem Haus war die Regel, nicht die Ausnahme. Das hatte den Vorteil, dass soziale Aufgaben von der Gemeinschaft übernommen werden konnten, für die andere keine Zeit hatten. Ob das die Pflege von Familienmitgliedern, die Aufsicht von Kindern oder auch Nachhilfe geben war: In größeren Verbänden mussten kaum zusätzliche Ressourcen dafür ausgegeben werden.
Doch diese sozialen Netzwerke sind immer mehr weggefallen. Heute müssen solche Aufgaben sehr oft ausgelagert werden. Besonders ärmere Menschen können sich das aber selten leisten. Sie müssen das häufig selbst übernehmen, was wiederum zu zusätzlichen Belastungen führt – ein Kreislauf, der zu höherer Armutsbelastung führt.
Natürlich hatte der Wechsel von Großfamilien oder anderen gemeinschaftlichen Lebensformen zu Kleinfamilien auch Vorteile. Mehr Ruhe, Individualität und Entfaltungsmöglichkeiten etwa. Allerdings gilt das immer mehr nur für Menschen, die das soziale Netzwerk von früher durch bezahlte Leistungen ersetzen können.
#2 Die Kernfamilie ist nicht die Norm
Die Kleinfamilie aus Vater, Mutter und mindestens einem Kind ist längst nicht mehr die typische Form des Zusammenlebens. Singlehaushalte machen mit mehr als einem Drittel den größten Teil der österreichischen Haushalte aus. Nur etwa 30 Prozent der Haushalte sind Paare mit Kindern. Die Haushaltsgrößen sind in den letzten Jahren beständig geschrumpft, mittlerweile liegt sie bei 2,19 Personen.
Doch die Kernfamilie ist gerade für konservative Politik das gesellschaftliche Ideal geblieben. Und das färbt auf den gesellschaftlichen Umgang ab: Wer ab einem gewissen Alter keine Kinder hat oder noch nicht verheiratet ist, muss sich regelmäßig Fragen dazu gefallen lassen. Andere Formen des Zusammenlebens wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften und freundschaftliche Lebensgemeinschaften oder auch ein Leben als Single werden zwar heute meist einigermaßen akzeptiert. Aber weder die Gesellschaft noch die Politik behandelt diese als wirklich gleichwertig und widmet ihnen dieselbe Aufmerksamkeit und Unterstützung.
#3 Die Kernfamilie ist kein Naturgesetz
In der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich die Kleinfamilie als die damals “ideale” Form des Zusammenlebens etabliert. Die Voraussetzung dafür war aber auch ein stereotypisches Geschlechterbild: Während Männer das Geld verdienten, kümmerten sich Frauen um den Haushalt und um die Kinder. In Zeiten des Wirtschaftswunders in den 1960er-Jahren und der Vollbeschäftigung in den 1970er-Jahren funktionierte das im Großen und Ganzen zumindest ökonomisch. Doch die wirtschaftliche Grundlage dieses Modells wurde in den letzten Jahrzehnten immer schwächer.
Historisch betrachtet ist das Konzept der Kernfamilie sehr jung. Für die meiste Zeit der menschlichen Geschichte lebten Menschen in größeren Netzwerken zusammen. Das Auflösen dieser Strukturen hat uns zwar viel Freiheiten gebracht. Aber es hat uns viel an Stabilität und Unterstützung gekostet.
Wir müssen nicht und werden wohl auch kaum in eine Zeit zurückkehren, in der mehrere Generationen einer Familie unter einem Dach leben. Aber wir können neue Formen des Zusammenlebens finden: Durch einen Familienbegriff, der sich nicht nur biologisch definiert. Durch staatliche Leistungen, die gewisse Funktionen erfüllen. Oder auch durch Wohnprojekte, die ein gemeinschaftlicheres Leben ermöglichen und gleichzeitig Rückzugsorte bieten. Dafür benötigt es gesellschaftliche Akzeptanz und politischen Willen – und das Wissen, dass auch das, was wir für naturgegeben halten, oft doch politisch geformt ist.