Sozialleistungen für Großfamilien: Was im Sozialstaat wirklich falsch läuft
Ursprünglich wollte ich auf die Herkunft gar nicht eingehen. Die sollte nämlich irrelevant sein. Ist sie aber nicht. Nicht im Diskurs und nicht, wenn man hinterfragt, warum geflüchtete Menschen in der Mindestsicherung beziehungsweise Sozialhilfe landen.
Die Herkunft sollte keine Rolle spielen
Asylwerber:innen bekommen eine Grundversorgung, solange ihr Asylverfahren läuft. Das ist keine Mindestsicherung. Sie haben keinen Anspruch darauf. Sie haben auch keinen Rechtsanspruch auf Integration – auf einen Deutschkurs zum Beispiel. Und sie dürfen nicht arbeiten. Bis ihr Asylverfahren positiv abgeschlossen ist. Das dauert oft Jahre. Das müsste nicht so sein. Es war eine Entscheidung der Politik – insbesondere von ÖVP und FPÖ.
Die logische Folge: Nach einem positiven Abschluss des Asylverfahrens landen Geflüchtete oft in der Mindestsicherung beziehungsweise der Sozialhilfe. Weil sie eben bis dahin die Sprache nicht lernen und keiner Arbeit nachgehen können. Nicht, weil sie es nicht wollen.
4.600 Euro Sozialhilfe für eine Großfamilie ist nicht zu viel
Die Summe von 4.600 Euro mag auf den ersten Blick hoch erscheinen. Sie ergibt sich aus rund 810 Euro Sozialhilfe für Mama und Papa plus 51 Euro Zuschlag, weil minderjährige Kinder im Haushalt leben. Weil das zum Wohnen nicht reicht, kommt ein Mietzuschuss von knapp 1.000 Euro dazu. Eine obdachlose Familie will schließlich niemand. Pro Kind bekommt man noch einen Zuschuss. In Wien liegt der bei rund 312 Euro.
Für eine neunköpfige Familie reicht das nicht zum Leben aus. Laut Volkshilfe liegt die Armutsgefährdungsgrenzen bei einer Familie mit sieben Kindern – wovon im Beispiel drei jünger und vier älter als 14 Jahre sind – bei 6.600 Euro. Mit weiteren Unterstützungen wie Familienbeihilfe und gegebenenfalls Kindermehrbetrag könnte die Familie maximal knapp über dieser Schwelle liegen. Von “in Saus und Braus“ leben kann an der Armutsgrenze keine Rede sein.
Bis hierhin halten die vermeintlichen Argumente gegen die Unterstützung für die syrische Familie also keinem Faktencheck stand. Was ist damit, dass arbeitende Eltern oft nicht auf eine solche Summe kommen?
Was ist mit anderen Familien, die arbeiten?
Mit dem ersten Kind fallen viele Kosten an, wie auch der Chefökonom des Momentum Instituts Oliver Picek aufschlüsselt. Es braucht eine größere Wohnung, Kleidung, Windeln, Essen … Das kostet Alleinerzieher:innen rund 1.000 Euro im Monat. Vom Staat bekommen sie aber nur zwischen 360 Euro (Besserverdienerin) und 690 Euro (untere Mittelschicht). Die Alleinerzieherinnen – meist Frauen, und damit ohne starke politische Lobby – bleiben auf bis zu zwei Drittel der Kosten sitzen.
Bei Paaren funktioniert der Kostenersatz besser, aber auch nicht perfekt: Einer Familie mit mittlerem Einkommen und drei Kindern fehlen 300 Euro im Monat. Doch auch hier bleiben die Eltern auf indirekten finanziellen Kosten sitzen – Frauen wiederum öfter als Männer, weil sie häufig Teilzeit arbeiten, um Kinderbetreuung und Haushalt zu schupfen. Dem man in unserer Gesellschaft übrigens kaum einen Wert beimisst – schon gar keinen finanziellen.
Besonders teuer sind Kinder ab 14 Jahren. Sie brauchen Kleidung und Essen wie Erwachsene. Sie brauchen ein Handy, Laptop, Nachhilfe, Geld für Schulveranstaltungen. Da klafft die größte Lücke zwischen den staatlichen Familienleistungen und den tatsächlichen Kosten.
Bei diesen Gruppen ist die Armutsgefährdung seit 2019 – dem Antritt der aktuellen Regierung – am meisten gestiegen. Bei Alleinerzieher:innen stieg die Gefahr, in Armut abzurutschen, um neun Prozentpunkte auf 41 Prozent. Vier von zehn Personen sind also armutsgefährdet. Bei Haushalten mit mehreren Kindern sind es elf Prozentpunkte mehr als 2019 und damit inzwischen 31 Prozent.
Die Kinderkosten auszugleichen, gelingt dem Sozialstaat im Schnitt nur bei den Paaren mit den niedrigsten Einkommen – auch dank der Mindestsicherung beziehungsweise Sozialhilfe. Schon in der unteren Mittelschicht geht es sich nicht mehr aus. Bei den Besserverdiener:innen übernimmt der Staat nur mehr 70 Prozent.
Ist das fair? Nein. Sollte man deswegen den Ärmsten die Hilfe kürzen? Noch einmal nein.
Was tatsächlich helfen würde
Um eines gleich vorwegzunehmen: Die Lösung ist nicht, einfach keine Kinder zu bekommen. Die Gesellschaft braucht Kinder. Darauf basiert unser Pensionssystem, das Wirtschaftssystem, unser gesellschaftliches Zusammenleben.
Die Lösung ist auch nicht, die Mindestsicherung zu kürzen, damit sich Arme ihre Kinder nicht leisten können. Wie Picek sagt: Die Lösung ist, dass der Staat die direkten Kosten für Kinder ausgleicht. Zumindest für die (untere) Mittelschicht. Und zwar die echten Kosten.
Sachleistungen für Familien sollten ausgebaut werden. Kostenlose Kinderbetreuung, die mit einem Vollzeitjob vereinbar ist. Eine Arbeitszeitverkürzung würde der Teilzeitfalle von Frauen entgegenwirken und helfen, die Carearbeit gerechter aufzuteilen. Warme Mahlzeiten in der Schule. Sozialer Wohnbau. Vergünstigungen bei Öffis, Freizeitprogrammen und so weiter. Für Alleinerzieherinnen braucht es eine staatliche Unterhaltsgarantie, weil viele Väter keinen Unterhalt zahlen (können).
Die Leistungen für Familien sind jetzt schon ungerecht. Topverdiener bekommen für ihre Kinder 2000 Euro Steuerrabatt im Jahr, den Familienbonus. Arbeiter mit wenig Einkommen können den aber nicht zur Gänze nutzen. Ihre Kinder sind damit finanziell “weniger Wert”.
Dass es den einen besser gehen würde, wenn es anderen noch schlechter geht, ist populistischer Quatsch. Es sollten alle Familien, alle Kinder, die Möglichkeit auf ein gutes Leben haben – gerade in einem reichen Land wie Österreich. Das passiert nicht, indem wir den Ärmsten noch mehr wegnehmen.
Übergewinne für Unternehmen kosten mehr als die Sozialhilfe
Damit erlaube ich mir noch einen Fakt zum Abschluss: In den vergangenen Jahren wurden die Menschen, die Sozialhilfe oder Mindestsicherung beziehen, weniger. 2017 waren es laut Statistik Austria 239.481 Menschen. 2022 waren es 189.957 Menschen. 2022 wurden 974 Millionen Euro an Sozialhilfe und Mindestsicherung ausbezahlt. Das sind 0,7 Prozent aller Sozialausgaben.
Ein anderer Vergleich: Für klimaschädliche Subventionen wie Pendlerpauschale und Dieselprivileg geben wir laut einer WIFO-Studie jährlich 4 bis 5,7 Milliarden Euro aus. Eine andere Untersuchung kam 2020 sogar auf 15 Milliarden Euro.
Ungefähr so viel Geld floss auch durch die COFAG. Die hat über 15 Milliarden Euro an Corona-Hilfsgeldern an Unternehmen ausbezahlt – völlig intransparent. Mindestens 1,4 Milliarden davon waren nachgewiesen Überförderungen. Doch das ist erst die Untergrenze, weil nicht alle Zahlen am Tisch liegen. Wir alle haben Gewinne finanziert, die in den Taschen reicher privater Unternehmer landeten. Wie das mit der COFAG gelaufen ist, ist zwar verfassungswidrig, aber es bleibt ohne Konsequenzen. Die überschießenden Gelder werden nicht zurückgefordert.
Der Skandal wird übrigens gerade recht unbemerkt abgewickelt: „Wir schließen das Kapitel COFAG. Die sorgfältige Bearbeitung der offenen Anträge ist dadurch gewährleistet“, sagt Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP).
Könnte auch ein Aufreger sein. Ist es in Österreich aber nicht.