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Kapitalismus

Stephan Schulmeister zu Übergewinnen in der Energiekrise: "Grotesker Ausdruck von Marktreligiosität"

Ein Mann mit grauen, kurzen Haaren und einer Brille ist auf dem Bild zu sehen. Er sprich gerade und trägt kleine, gelbe Kopfhörer
Extrem hohe Energiepreise für Österreichs Haushalte, Übergewinne für Verbund und OMV. Für Ökonom Stephan Schulmeister ist das ein Unding. Er schlägt Wege vor, wie jetzt der Energiemarkt umgebaut werden muss, was mit Übergewinnen geschehen soll und wie Verbraucher:innen Preiserhöhungen in Supermärkten und an Tankstellen besser entlarven können.

MOMENT: Unternehmen der Energiebranche wie Verbund und OMV machen jetzt riesige Gewinne. Sollte man solche Übergewinne abschöpfen oder extra besteuern?

Schulmeister: Am besten wäre es, diese Gewinne erst gar nicht entstehen zu lassen. Denn wenn sie einmal entstanden sind, müssen sehr komplizierte Umverteilungsprozesse gestartet werden. Etwa Zwangsbesteuerung oder Preisdeckel.

MOMENT: Aber Verbund und OMV haben die Übergewinne ja schon gemacht. Muss man da nicht eingreifen, in Form von Abschöpfung, Übergewinnsteuer oder Sonderdividende?

Schulmeister: Das sollte man schon machen. Nur ist ein Eingriff in das sehr komplexe Steuerrecht für Unternehmen aus Anlass der jetzigen Supergewinne ein bisschen problematisch. Die schlaueste Lösung hat Mario Draghi für Italien vorgeschlagen: nämlich eine einmalige große Abschöpfung. Die aber nicht ansetzt bei den Gewinnen, sondern bei den zusätzlichen Umsätzen. Die problematische Ermittlung, wie viel mehr an Gewinn ein Unternehmen gemacht hat, wird ausgeklammert.
 
Es wird einfach festgestellt, was Energieerzeuger an zusätzlichen Umsätzen gemacht haben. Diese zusätzlichen Umsätze sind offensichtlich durch den Strompreis bedingt. Denn die Nachfrage nach Strom ist bekannt und die schwankt auch nicht so extrem. Man könnte also sagen: Von den zusätzlich in den Jahren seit 2020 gemachten Umsätzen der Energieversorger nehmen wir 80 Prozent weg. Das würde zweistellige Milliardenbeträge bringen und die gesamte Steuersystematik nicht durcheinanderbringen.

MOMENT: Wie soll denn verhindert werden, dass Energieunternehmen in der Krise solche Übergewinne einfahren?

Schulmeister: Bei den Stromanbietern ist das Problem: Der Strompreis wird durch das teuerste Kraftwerk bestimmt, das es noch braucht, um die benötigte Menge an Strom zu erzeugen. In Österreich führt das zur grotesken Situation, dass nur 13 Prozent des Stroms von Gaskraftwerken kommt – trotzdem bestimmt deren extrem hoher Preis jetzt den allgemeinen Strompreis. Der Verbund produziert Strom aus Wasserkraft zu 5 Cent pro Kilowattstunde. Wenn es mit dem Krieg in der Ukraine weitergeht und der Srompreis weiter steigt, bekommt er dafür wegen des hohen Börsenpreises vielleicht bald 50 Cent pro Kilowattstunde.

In fünf Jahrzehnten hat Österreich so viele Wasserkraftwerke gebaut. Die decken 70 Prozent des Strombedarfs. Es muss doch der österreichischen Bevölkerung möglich sein, dass die selbst in den Genuss dieser kostengünstigen Produktion kommt.
 
Bei dieser Merit-Order-Bepreisung und der Tatsache, dass dieser Preis des jeweils teuersten Kraftwerks auf Börsen bestimmt wird, würde ich ansetzen. Mit einem Kostenpreis. Jeder Stromanbieter wird verpflichtet, seine Preise entsprechend den tatsächlichen Kosten seiner Produktion zu setzen. In der Schweiz gilt im Grunde genau diese Regelung. Der Vorteil daran: Das schaltet die Preisbildung an Börsen nicht aus. Aber der Börsenpreis hat nicht mehr so ein großes Gewicht. Er muss nur dann bezahlt werden, wenn zur Versorgung der Bevölkerung, kurzfristig Strom zugekauft werden muss.
 

MOMENT: Um zu wirken, müsste dieses Schweizer Modell schnell eingeführt werden. Das hieße, den Strommarkt komplett umzubauen. Ist das in der Kürze der Zeit machbar? Und ist für Österreich möglich, hier einen Alleingang zu machen?
 
Schulmeister: EU-Recht widerspricht das meiner Ansicht nach nicht. Die EU hat den Staaten jetzt eine freiere Hand gegeben, wie sie die Tarife bei Energie gestalten. Beispiel: Viktor Orbán hat die Triebstoffpreise subventioniert, aber ausschließlich für Menschen aus Ungarn. Ich habe nicht gehört, dass er dafür ein Vertragsverletzungsverfahren bekommen würde. Das Grundprinzip ist einfach: Österreichische Stromanbieter, die noch dazu überwiegend im öffentlichen Eigentum stehen, haben die Verpflichtung, vorrangig die österreichischen Abnehmer zum Preis der tatsächlichen Kosten zu versorgen. Wie hoch die sind für die einzelnen Technologien wissen wir ja. In einer Übergangsphase könnte man für jeden Anbieter quasi einen eigenen Strompreisdeckel berechnen, der sich mit ihren tatsächlichen Kosten deckt.
 
Der Vorteil im Vergleich zu anderen Vorschlägen besteht darin, dass der Staat finanziell nicht so stark belastet wird. Die Idee zu sagen, jeder bekommt ein Stromkontingent zu einem subventionierten Preis und alles darüber hinaus muss zum Börsenpreis bezahlt werden, bedeutet: Der Staat muss alle Stromanbieter für die Differenz zwischen dem subventionierten Preis und dem Börsenpreis entschädigen. Das ist meiner Ansicht nach untragbar.
 

MOMENT: Also fordern Sie nun Sofortmaßnahmen wie etwa die italienische Sonderabschöpfung? Oder sollten wir schnell weg vom Prinzip des Merit Order und zu einem Strompreis mit Kostenwahrheit, ähnlich dem Schweizer Modell?
 
Schulmeister: Das eine schließt das andere nicht aus. Energie ist nicht irgendein Gut. Es ist überlebensnotwendig, es betrifft alle Wirtschaftsbereiche. Es hat eine enorm wichtige soziale Komponente. Niemand kann ohne Energie überleben. Das betrifft Haushalte wie Unternehmen. Dazu kommt die ökologische Komponente mit der Klimakatastrophe, die auf uns zukommt. Den Preis eines solchen Guts auf Börsen bestimmen zu lassen, ist für mich grotesker Ausdruck übersteigerter Marktreligiosität.
 
Im Zuge der neoliberalen Euphorie der letzten Jahrzehnte ist der Glaube entstanden, der Markt mache alles besser. Aber die konkreten Marktbedingungen hat man nicht mitbedacht. Unter den Bedingungen von Stromproduktion und Stromnachfrage, wo beide immer gleich sein müssen, weil sonst das Netz zusammenbricht, ist eine Preisbildung auf Börsen etwas ganz besonders Unsinniges. Wir müssen wieder zu einer Art pragmatischen Hausverstand zurückkehren.
 

 

 

MOMENT: Auch in anderen Ländern gibt es Maßnahmen, Übergewinne abzuschöpfen. In Österreich hat Bundeskanzler Karl Nehammer so etwas erst vorgeschlagen und ist dann zurückgerudert. Jetzt heißt es eine Sonderdividende des Verbunds an die Republik reiche aus. Reicht das aus?
 
Schulmeister: Es ist viel zu wenig. Ich glaube, jetzt ist ein Moment, wo eine Stärke der österreichischen Politik wieder aktiviert werden müsste: dass man gemeinsam jenseits der Parteien und mitgetragen von den Sozialpartnern einen Befund aller Hauptprobleme macht. Dass man fragt: Was sind die wichtigsten Inflationstreiber? Erster Bereich ist die Energie. Machen wir hier eine Lösung mit Hand und Fuß, wo die Stromerzeuger, die ja mehrheitlich unserer Republik und den Bundesländern gehören, abrücken von der Merit Order Preisbildung hin zu einem Kostenpreis.
 

MOMENT: Was sind weitere Baustellen?
 
Schulmeister: Die Ölkonzerne. Die OMV war früher ein staatliches Unternehmen. Jetzt ist der Staatsanteil nur mehr etwa bei einem Drittel. Aber der Staat hat eine Fürsorgepflicht. Daher könnte die OMV von der Wettbewerbsbehörde verpflichtet werden, jeden Monat vorzulegen, auf welchen Grundlagen sie zum Beispiel die Treibstoffpreise kalkulieren. Man darf nicht vergessen, dass wir es beim Treibstoff nicht mit einem Markt zu tun haben, sondern mit einem Monopolisten. Bei der Herstellung von Benzin und Diesel gibt es nur einen Anbieter. Die OMV besitzt dazu mit fünf anderen Ölgesellschaften 50 Prozent aller Tankstellen.
 
Hier kann echter Wettbewerb gar nicht funktionieren. Daher ist es notwendig, eine regelmäßige Dokumentation durchzuführen. Wenn man feststellen würde, zu welchen Kosten die OMV das Rohöl eingekauft, das sie zu Diesel und Benzin verarbeitet hat, würde sofort zu sehen, wie hoch die sogenannten Windfall Profits sind.
 

MOMENT: Preise in den Supermärkten wurden in der Krise stark erhöht, jüngst landeten in vielen Haushalten Mieterhöhungen im Postkasten. Alles wegen der Inflation?
 
Schulmeister: Im Einzelhandel beobachten wir, dass die großen Einzelhandelsketten die Unsicherheit und Angst der Menschen ausnützen. Sie erhöhen ihre Preise über die tatsächlichen Kostensteigerungen hinaus. Wenn der Preis für einige Brotsorten um 30 bis 35 Prozent steigt, dann hat das nur sehr wenig mit dem Weizenpreis zu tun. Der Kostenanteil des Weizens am Endprodukt im Supermarktregal liegt weit unter 10 Prozent. Das heißt, die verdienen sich ein Körberlgeld dazu.
 
Daher ein einfacher neoliberaler Vorschlag: Verpflichten wir doch alle Einzelhandelsketten, ihre täglichen Preise online zu stellen. Das ist für sie kein Aufwand. Sie haben sämtliche Daten aller Produkte, die Preise und die Qualitäten in der Datenbank, damit man es mit dem Strichcode an der Kassa abrechnen kann. Sobald das online ist, werden sich App-Entwickler finden, die eine Software entwickeln, mit der jeder seine Einkäufe optimieren kann. Die Unternehmen würden sich dreimal überlegen, ob sie noch solche extremen Preisaufschläge machen. Die würden sofort bemerkt. Ich behaupte, das würde viel bringen.
 
Bei den Immobilien ist es untragbar, dass die Regierung nichts dagegen unternimmt, dass Mieten an den Verbraucherpreisindex gekoppelt sind. Wenn immer der Verbraucherpreisindex über 5 Prozent steigt, wird die Miete entsprechend erhöht. Das bedeutet, die Mieter in Österreich bekommen jetzt alle acht Monate eine Mieterhöhung. Da droht ein Teufelskreis. Die wiederholten Mietsteigerungen durch die Indexierung gehen wieder in den Verbraucherpreisindex ein, weil die Mieten ja Teil von dem sind.
 

MOMENT: Die Energierechnungen werden weiter steigen. Es scheint alternativlos, dass der Staat Geld verteilt für Hilfsmaßnahmen, um die brenzlige finanzielle Lage für die besonders betroffenen Menschen zu lindern. Braucht es das?
 
Schulmeister: Es ist überhaupt keine Frage, dass es das braucht. Wegen der enormen Belastung der Menschen schon in den letzten Monaten braucht es eine großzügigere Abgeltung. Die müsste aber sehr stark sozial orientiert sein. Es ist für mich erschreckend zu sehen, dass die Mindestsicherung – also die Überlebensleistung für die sozial Schwächsten – und das Arbeitslosengeld nicht mit der Inflation steigen. Anders als bei den Mieten müsste hier sehr wohl der Verbraucherpreisindex herangezogen werden.
 
Ich habe aber immer eine Präferenz dafür, dass man zu den Wurzeln des Problems geht. In ganz Europa wird derzeit nicht die Inflation bekämpft, sondern es werden die Folgen der Inflation bekämpft. Man beugt sich den Marktkräften, die eine hohe Inflation erzeugt haben, und versucht das abzufedern. Aber versuchen wir doch, die systemischen Ursachen der Inflation zu bekämpfen: Zu wenig Wettbewerb im Einzelhandel oder wie der Strompreis entsteht. Das geht schneller als man glaubt, wenn man will. Eine neue Strompreisregelung könnte man für Österreich in drei Monaten umsetzen.
 

MOMENT: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat diese Krise maßgeblich verursacht. Er bringt riesiges Leid, Tod und Zerstörung über die Menschen dort. Aber könnte das ein heilsamer Schock werden, um endlich raus aus fossilen Energieträgern zu kommen im Kampf gegen die Klimakrise?
 
Schulmeister: Ja, da bin ich sogar sehr optimistisch. Das ist vielleicht die erschütterndste Paradoxie: Den größten Schub dabei, die Erderwärmung zu bekämpfen, werden wir Herrn Putin zu verdanken haben. Davon bin ich überzeugt. Erst jetzt, wo die Menschen merken, in welchem enormen Ausmaß sich die fossile Energie verteuert, sehen wir, dass Baumärkte ausverkauft sind, dass es keine Dämmstoffe mehr gibt. Installateure und Elektriker wissen nicht, wie sie die Aufträge für Photovoltaikanlagen abarbeiten sollen.
 
Das ist jetzt ein kurzfristiger Schritt. Den gilt es so zu verlängern, dass nicht Herr Putin langfristig der Gewinner ist, indem er so hohe Preise für Gas und Öl kassiert. Die EU könnte für Kohle, Gas und Strom drei Preispfade über Jahrzehnte festlegen und sagen: Jeder in Europa kann verlässlich damit rechnen, dass diese drei Energieträger überdurchschnittlich teurer werden. Daran kann sich jeder vor einer Ausgabe orientieren, egal ob er sich ein Auto kauft oder ob er sein Haus energetisch sanieren möchte. Wir brauchen hier Stabilität und Verlässlichkeit.

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