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Gesundheit

Sterbehilfe: Warum wir darüber reden müssen

Die Sterbehilfe ist in Österreich verboten. Derzeit sind aber vier Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof anhängig. Sie könnten eine entscheidende gesetzliche Änderung bringen. Warum wir vor allem angesichts der Pandemie über dieses schwierige Thema reden müssen.
“Ich werde jetzt sterben.” Das waren die letzten Worte von Beate, bevor sie in den Freitod ging. Dieser wurde mitgefilmt, damit der Schweizer Verein rechtlich abgesichert ist. Den gibt es, damit ihr dieser schwere Schritt medizinisch so angenehm wie möglich gemacht werden konnte. Im Gegensatz zu Österreich erlauben die rechtlichen Bedingungen in unserem westlichen Nachbarland die sogenannte “Freitodbegleitung”. Betroffene müssen “geistig klar” sein – und der allerletzte Schritt muss selbst getan werden.
 

“Mama konnte in Würde und bei klarem Verstand sterben”

Beates Tochter Marcela hat das Video von den letzten Minuten des Lebens ihrer Mutter gesehen: “Bei aller Tragik ist für mich wichtig, dass Mama so sterben konnte, wie sie wollte – in Würde und bei klarem Verstand.” Sie möchte nun die Geschichte ihrer Mutter erzählen und das Tabu um die Themen Tod und Sterben brechen.

Marcela erinnert sich an ihre Mutter als lebensfrohen Menschen. Beate liebte die Natur und Tiere. Vor zehn Jahren begann sie, sich mit dem Thema des selbstbestimmten Sterbens auseinanderzusetzen. Damals erkrankte sie das erste Mal an Krebs. Den besiegte sie. In weiterer Folge erhielt sie die Diagnose Multiple Sklerose.  Diese Krankheit ist vielfältig, kann im schlimmsten Fall Sehbeeinträchtigungen und Lähmungen verursachen. Von da an war ihr klar: Sie will selbst bestimmen, wann ihr Leben zu Ende ist- denn die Lebensqualität stand für sie immer an oberster Stelle. Sie wurde Mitglied in dem Schweizer Verein, der sie letztlich viele Jahre später in den Freitod begleitete.

Es begann mit Rückenschmerzen

Als Beate im Februar dieses Jahres Rückenschmerzen bekam, dachte jeder in der Familie zuerst an Verspannungen. Auch die Ärzte nahmen die Symptome zunächst nicht ernst. Doch dann ging es Beate immer schlechter und es stellte sich heraus, dass sich in ihrer Lunge ein Pleuraerguss befand – sie hatte Wasser im Brustkorb. Die 64-Jährige hatte ständig das Gefühl zu ersticken. Zur Linderung musste ihr Oberkörper regelmäßig punktiert werden. Als bösartige Krebszellen in der abgesaugten Flüssigkeit, sowie Metastasen in Lunge und Knochen gefunden wurden, war klar, dass Beate unheilbar krank ist. Lebensverlängernde Maßnahmen, trotz denen sich die Lebensqualität rapide verschlechtern würde – das kam für sie nicht in Frage. Täglich ging es ihr schlechter und schlussendlich leitete sie alles in die Wege um ihren letzten Weg in die Schweiz antreten zu können.

 

Sterbehilfe: Viele Pros und Contras

Auch wenn sich viele nicht so entschieden hätten: Beates Leidensweg macht ihre Entscheidung nachvollziehbar. Doch das Thema im Allgemeinen bleibt kontrovers. Soll die Sterbebegleitung auch in Österreich möglich gemacht werden?

Ja, natürlich, sagen die einen. Ein selbstbestimmtes Sterben sei ein Menschenrecht. Die Würde des Menschen sei unantastbar und damit auch das Recht auf ein würdevolles Sterben. Da hätte sich der Staat nicht einzumischen.

Ein klares “Nein” kommt von anderen: für manche aus religiösen Gründen. Für andere etwa, weil damit der Druck auf pflegebedürftige Menschen steige, ihrem Leben ein Ende zu setzen, um Angehörige zu entlasten.

Die Pros und Contras zum Thema Sterbehilfe könnten noch beliebig fortgeführt werden. Jeder Mensch hat vermutlich eine eigene Meinung zu dem Thema. In diesem Artikel geht es jedoch nicht darum, Position zu beziehen, sondern die rechtlichen Rahmenbedingungen und  aktuellen Entwicklungen aufzuzeigen – sowie Probleme, die es bei einer Legalisierung zu bedenken gilt.

 

Sterbehilfe: Österreich hat strenge Gesetze

Wie vielfältig die Ansichten sind, wird bei einem Blick durch Europa ersichtlich: Die Rechtslage ist in vielen Ländern vollkommen unterschiedlich. In den Niederlanden, Belgien und Luxemburg ist die aktive Sterbehilfe durch einen Arzt erlaubt. In der Schweiz eben der sogenannte geschäftsmäßig assistierte Suizid, den auch Beate in Anspruch nahm.

Österreich zählt zu den Ländern Europas mit den strengsten Gesetzen:

  • Die aktive Sterbehilfe ist verboten und kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden.

  • Die Beihilfe zum Suizid ist ebenfalls verboten. In Österreich wurde sogar die Gründung eines Vereins von Befürwortern der Sterbehilfe untersagt. Begründung: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ Vor allem diese rechtliche Auslegung wird immer wieder stark kritisiert. Ihretwegen macht sich jeder Mensch strafbar, wenn er etwa eine Freitodbegleitung für sterbenskranke Angehörige in der Schweiz organisiert oder sie dorthin begleitet.

  • Die passive Sterbehilfe ist legal. Das heißt, dass im Falle auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet wird. Dazu muss allerdings der Patient eine klare Willensäußerung geben. Kann er dies nicht mehr tun, weil er etwa nicht mehr ansprechbar ist, so muss eine Patientenverfügung vorliegen. Einer solchen geht ein ärztliches Gespräch voraus, sie muss weiters von einem Notar oder Anwalt abgesegnet werden, weshalb Kosten anfallen.

  • Auch die sogenannte indirekte Sterbehilfe ist legal. Das bedeutet, dass Ärzte Sterbenden Medikamente in hoher Dosis geben dürfen, um etwa starke Schmerzen bestmöglich zu unterdrücken – hierfür darf in Kauf genommen werden, dass die Nebenwirkungen die Lebenszeit verkürzen.

Warum sich die rechtliche Grundlage zur Sterbehilfe bald ändern könnte

Am Status Quo kann sich aber bald viel ändern. Zum einen gab es ein richtungsweisendes Urteil in Deutschland im Februar dieses Jahres: Das deutsche Verfassungsgericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Im Juni soll bereits ein Verein einen Bewohner eines Altenheimes in Norddeutschland bei der Selbsttötung unterstützt haben.

In Österreich blickt man auf dieses Urteil: Denn der Verfassungsgerichtshof hier steht vor einer ähnlichen, schweren Entscheidung. Drei Menschen, die einen assistierten Suizid in Anspruch nehmen wollen und ein Arzt haben einen Individualantrag eingebracht. Sie fordern „mehr Selbstbestimmung, Würde und Menschlichkeit am Lebensende“. Vor allem wollen sie nicht, dass Angehörige rechtlich verfolgt werden können, wenn sie Sterbewillige unterstützen.

Nun gilt es abzuwarten, wie der Verfassungsgerichtshof entscheidet. Obwohl sich die Bioethikkommission in Österreich für gesetzliche Lockerungen ausspricht, wird keine gravierende Legalisierung wie in Deutschland erwartet – es dürfte zu einer Straffreistellung für Angehörige kommen, die jemanden ins Ausland zum assistierten Suizid begleiten.

 

Was sind die Schattenseiten einer Legalisierung der Sterbehilfe?

Zum Problem wird die Sterbehilfe, wenn mögliche Therapien nicht Anspruch genommen werden – weil der Betroffene zu schlecht informiert ist oder ihm diese verwehrt wird.

Dass dies trotz strenger Prüfungen des gesundheitlichen Zustandes der Sterbewilligen geschieht, belegt nun eine aktuelle Studie, zumindest was psychische Krankheiten betrifft. Derzeit ist in acht Ländern weltweit die aktive Sterbehilfe, beziehungsweise der assistierte Suizid erlaubt. In sechs davon werden auch psychische Störungen als Grund für eine Freitodbegleitung akzeptiert.

ForscherInnen gingen den Krankheitsgeschichten von Patienten mit psychischen Störungen nach, die unter diesen so litten, dass sie aus dem Leben scheiden wollten und bei denen der Wunsch letztendlich von Ärzten bewilligt wurde. Die WissenschaftlerInnen stellten jedoch fest, dass der Großteil davon zwar eine Psychotherapie ausprobiert hatte, jedoch niemals andere Therapie- und Behandlungsformen, die von der Wissenschaft anerkannt sind und vielleicht geholfen hätten.

Es braucht eine bessere Versorgung psychisch Kranker und Menschen mit Suizidgedanken

Gerade wenn sich eine Gesellschaft für die Möglichkeit der Sterbehilfe entscheidet, ist es also wichtig, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Und Österreich hat da Aufholbedarf.

Vor allem was die Versorgung psychisch kranker Menschen anbelangt: So gibt es etwa viel zu wenig Psychiater mit Kassenvertrag und Kassen-Therapieplätze und deshalb zu lange Wartezeiten. Das zeigt auch eine aktuelle Befragung. Auch verpflichtet Österreich sich und seine BürgerInnen zwar zur Verhinderung von Suiziden, doch die Versorgungslücke beginnt bereits bei der Prävention. Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat zwar eine Besserung versprochen – doch angesichts der Corona-Krise, die viele Menschen um ihre Existenzgrundlage gebracht hat oder fürchten lässt, wird ein dramatischer Anstieg erwartet.

Auch die Pflege wird ein immer drängenderes Thema. Hier braucht es einen Ausbau und Reformen. Ebenso wie bei der Palliativmedizin, also der medizinischen Begleitung zu einem möglichst würdigen und schmerzfreien Tod. Nur einer von zehn Sterbenden, der eine palliativmedizinische Sterbebegleitung bräuchte, erhält sie auch.

All das könnte Menschen dazu drängen, sich zu einer “Freitodbegleitung” zu entschließen, die er oder sie sonst vielleicht nicht in Erwägung ziehen würde.

 

Der Wert eines Lebens

Und schließlich gibt es noch einen problematischen Faktor: Das Geld. Bereits zu Beginn der Corona-Krise war nicht selten zu hören: “Warum riskieren wir eine Wirtschaftskrise, nur um das Leben von ein paar Alten zu schützen, die eh bald sterben müssen?”

Das ist nicht nur faktisch falsch (es sterben und leiden auch jüngere, gesunde Menschen an COVID-19), sondern zeigt ein Problem: Allzu leicht wird der Wert eines Lebens infrage gestellt.

Zur wirtschaftlichen Frage darf gerade die Sterbehilfe aber nie werden.

 

 

Leidest du unter Depressionen oder hast Suizidgedanken? Bitte wende dich an die Telefonseelsorge, kostenlos stehen dir Experten rund um die Uhr unter 142 zur Verfügung. Es gibt auch Beratungen über Chat und Mail.

Auch die Experten des Kriseninterventionsteams stehen für eine Beratung von Montag bis Freitag unter +43 1/ 406 95 95 zur Verfügung. Auch hier ist eine anonyme E-Mail Beratung möglich.

Die psychologischen Helpline des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen ist Montag bis Sonntag, 10 bis 20 Uhr unter +43 1 /504 8000 erreichbar.

 
 

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