print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Ungleichheit

Studie: Über Skandale von Werbekunden berichten Medien kaum

Je stärker Unternehmen in Medien werben, desto seltener berichten diese über Skandale bei ihren GeldgeberInnen. Das belegt jetzt eine Studie. JournalistInnen seien sich oft gar nicht bewusst, dass sie derart beeinflusst sind.
 
Die Studie zeigt aber auch: Medien haben eine große Macht, wenn es darum geht Skandale aufzudecken, die für Unternehmen extrem unangenehme Folgen haben können – bis hin zur Totalpleite.

Am 5. März des vergangenen Jahres brach Hektik aus am Wiener Börsenparkett: Der Kurs der Raiffeisenbank stürzte an einem Tag um elf Prozent ab. Ausgelöst wurde das Börsen-Beben von Medienberichten, wonach österreichische Bankhäuser in einem internationalen Geldwäscheskandal verwickelt waren. Es ging um Geldsummen in Milliardenhöhe aus Russland.

Mehr als 850 Millionen Euro sollen dabei über österreichische Konten geschleust worden sein. Der Löwenanteil davon – fast 550 Millionen Euro – sei demnach bei der Raiffeisen Zentralbank Österreich AG (RZB) eingebucht gewesen.

Raiffeisen und die „russische Waschmaschine“

Ein internationales Recherchenetzwerk hatte den Skandal um den „Troika Laundromat“ aufgedeckt, in dem Dutzende westliche Geldinstitute verwickelt waren. In Österreich brachten „profil“ und „Addendum“ mehrere große Exklusiv-Artikel darüber. Danach geschah allerdings kaum etwas.

Andere Medien berichteten über den Geldwäscheskandal, in den Raiffeisen verwickelt gewesen sein soll. Die „Kleine Zeitung“ veröffentlichte die Meldung einer Nachrichtenagentur. „Der Standard“ und „Die Presse“ recherchierten selbst, auf wie hohen Touren die russische Geldwaschmaschine in Österreich offenbar läuft. Der Kurier und die Kronen Zeitung schrieben in ihren Printausgaben darüber – inklusive Dementi der Raiffeisen.

Aber: Die heimischen Medien bissen nicht recht an. Das Thema war hierzulande schnell gegessen. Wer heute im Online-Archiv von Kronen Zeitung oder Kurier nach Berichten zum Thema Raiffeisen und Geldwäsche sucht, sucht vergebens. Dabei hatte die Geschichte alles für einen echten Wirtschaftskrimi – bis hin zum mysteriösen Mord an dem Wiener Rechtsanwalt Erich Rebasso im Jahre 2012. Offenbar stand der im Zusammenhang mit den Geldwäsche-Geschäften.

Nicht zu berichten kann gute Gründe haben

Für Raiffeisen hatte die unangenehme Geschichte keine spürbaren negativen Folgen. Im August gab die Bank bekannt, dass die Behörden keine Maßnahmen gegen sie ergriffen hätten. Raiffeisen habe den Fall intern untersucht. Das Ergebnis: Es seien keine Verfehlungen seitens der RZB oder ihrer Kunden feststellbar gewesen.

Natürlich kann es gute journalistische Gründe für Medien haben, über einen vermeintlichen Skandal nicht zu berichten. Die Vorwürfe klingen halbseiden, möglicherweise ergibt eine Gegenrecherche, dass schlicht nichts daran ist. Dann ist es sogar löblich, nicht zu berichten. Über Raiffeisens mutmaßliche Verstrickung in den „Troika Laundromat“ berichteten auch internationale Medien wie die Financial Times und das Handelsblatt.

Geldstrafe für Raiffeisen ist keinen Artikel wert

Was Raiffeisen angeht, gab es im vergangenen Jahr ein weiteres unangenehmes Ereignis: Im August vergangenen Jahres verurteilte die Finanzmarktaufsicht die Raiffeisen Bank International erstinstanzlich, weil die Bank gegen „Sorgfaltspflichten zur Verhinderung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung“ verstoßen habe. Die FMA verurteilte Raiffeisen 2,748 Millionen Euro zahlen – es war die höchste je von der FMA verhängte Geldstrafe.

Weder der Kurier noch die Kronen Zeitung berichteten in den Tagen rund um das Urteil in ihren Prontausgaben darüber. Auch im Online-Archiv des Kurier findet sich heute kein Bericht. Im Dezember wurde das Urteil wegen eines Formfehlers aufgehoben. Darüber zumindest berichtet k.at.

Das alles kann, muss aber kein Zufall sein: Raiffeisen ist in Österreich nicht nur ein spendabler Werbekunde von Medien. Die Bank ist auch direkt oder über Ecken an Medien beteiligt: allen voran am „Kurier“ und den „Niederösterreichischen Nachrichten“ (NÖN).

Je enger die Partnerschaft, desto seltener Kritik

Eine neue Studie hat systematisch untersucht, was passieren muss, damit Medien kritisch über Fehler und Skandale von Unternehmen berichten. Das Ergebnis: Je enger Medien eine Werbepartnerschaft mit Firmen pflegen, desto seltener berichten sie über deren Fehlverhalten.

Mehr als 50.000 Artikel in 77 führenden Medien aus den fünf Ländern USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Mexiko werteten die Studienautoren Marc Fischer von der Universität zu Köln und Samuel Stäbler von der Tilburg University aus.

In den Zehntausenden Artikeln wurde über 1.054 sogenannte CSI-Ereignisse berichtet. Das sind Fälle von „Corporate Social Irresponsibility“, zu Deutsch: ethisches Fehlverhalten. Das kann eine Bank sein, die in Geldwäsche verstrickt ist oder Autohersteller, die bei Abgaswerten schummeln.

Eine gefühlte Wahrheit auf fundierte Beine gestellt

Der eine oder die andere mag sich schon einmal gedacht haben, dass Unternehmen, die viel Geld in Zeitungen buttern, nicht allzu gern dort kritische Berichte über sich finden wollen. Brisant an der Studie ist: Sie stellt diesen gefühlten Zusammenhang mittels statistischer Analyse auf fundierte Beine.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zeitung, ein Sender oder ein Online-Medium über CSI-Ereignisse von Firmen berichtet, sinke unter 10 Prozent, wenn eine enge Werbepartnerschaft besteht, heißt es in der Studie.

Dazu kommt: In Interviews mit deutschen JournalistInnen merkten die Forscher, dass den RedakteurInnen oft nicht einmal bewusst ist, dass sie beeinflusst sind. In den vorab geführten Gesprächen bestätigten sich viele Befunde der erst danach durchgeführten eigentlichen Studie, schreibt die Universität zu Köln.

Studienergebnisse lassen Aussagen zur selbst gepriesenen Unabhängigkeit diskussionswürdig erscheinen.
Marc Fischer, Studienautor, Universität zu Köln

Dagegen wiesen befragte Medien-MitarbeiterInnen zurück, dass Werbegelder beeinflussen, welche Nachrichten sie auswählen – und welche sie lieber unter den Tisch fallen lassen. „Die Studienergebnisse lassen Aussagen zur selbst gepriesenen Unabhängigkeit diskussionswürdig erscheinen“, sagt Autor Marc Fischer.

Sein Resümee: Die hohen ethischen und moralischen Maßstäbe, die Medien bei anderen einfordern, „werden beim eigenen Verhalten offensichtlich nicht immer eingehalten“.

Schlechte Presse kann teuer werden – bis zur Totalpleite

Dabei zeigt die Studie auch, welche Wucht kritische Berichte über Firmenskandale haben können. Allerdings erst dann, wenn mehrere Medienhäuser das Thema aufgreifen. In den USA „reagiert der Markt nur, wenn vier oder mehr Medien berichten“, heißt es in der Studie, die auch frühere Arbeiten der Autoren zitiert.

Für Deutschland fanden Forscher heraus, dass sich „der unmittelbare Verlust an Markenstärke“ von 13 auf 21 Prozent verschlechterte, wenn statt sechs Medien doppelt so viele darüber berichten.

Skandale sind für Unternehmen mitunter extrem teuer: Für die USA kommt die Studie zum Ergebnis, dass eines der „CSI-Ereignisse“ an den Börsen des Landes im Schnitt zu 321 Millionen Dollar Verlust führt.

Oder zur Totalpleite: Die Autoren führen den Skandal um den US-Energiekonzern Enron an. Das Unternehmen mit ehemals über 20.000 MitarbeiterInnen hatte jahrelang seine Bilanzen gefälscht.

Ein Journalist hatte maßgeblichen Anteil daran, dass der Skandal im Jahr 2001 aufflog. Wirtschaftsprüfer hatten dem Unternehmen noch kurz zuvor eine „vorzügliche Bonität“ bescheinigt. Vier Tage danach meldete Enron Insolvenz an.

Raiffeisen betroffen von Wirecard-Pleite? Kaum Thema

Einen beinahe gleich ablaufenden Skandal produzierte unlängst die deutsche Firma Wirecard. Jahrelang trickste und frisierte das Unternehmen an seiner Bilanz herum. Maßgeblich verantwortlich dafür waren zwei Österreicher: Geschäftsführer Markus Braun und Jan Marsalek, Leiter des operativen Geschäfts.

Auch hier fanden WirtschaftsprüferInnen jahrelang kein Haar in der Suppe, während ein Journalist der britischen Financial Times hartnäckig berichtete. Studienautor Marc Fischer fand es übrigens „erstaunlich“, dass Medien viel lieber über Skandale von ausländischen Unternehmen berichten als über die von inländischen.

Was zurück nach Österreich und zu Raiffeisen führt: Vor rund einem Monat wurde bekannt, dass Raiffeisenbanken in Niederösterreich und Oberösterreich der inzwischen insolventen Wirecard Kredite in Höhe von insgesamt mehr als 100 Millionen Euro gewährte. Geld, das jetzt wohl weg ist. Wer im Archiv des Kurier nach Meldungen dazu sucht, sollte nicht erwarten, fündig zu werden.

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!