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Gesundheit
Klimakrise

Du isst Fleisch? Schäm dich!

Man kann Fleisch essen und sich trotzdem für Umweltschutz engagieren. Autorin Nunu Kaller erklärt, warum Systemkritik oft wichtiger als persönlicher Verzicht ist.

 

 

Dieses Gespräch hat exakt so vor einiger Zeit stattgefunden. Ich bin also „Umweltschützerin“, weil ich einige Belange nachhaltigen Verhaltens lebe, und darf daher nie wieder Fleisch essen.

Musst du dich für den Fleischkonsum rechtfertigen?

Dass mein Fleischkonsum sich mit sehr wenigen Ausnahmen darauf beschränkt, meiner Mutter nicht reinzureden, wenn sie uns zum Essen einlädt, sage ich gar nicht. Dass ich zu Hause kein Fleisch zubereite und es mir zuweilen passiert, dass ich koche und danach draufkomme: Oh, das war jetzt vegan! – sage ich nicht. Weil: Es ist meine Sache. Ich will mich nicht rechtfertigen müssen dafür.

Ein Gespräch wie dieses führte ich eine Zeitlang gefühlt einmal pro Woche. Und ich stehe damit nicht alleine da. Man braucht sich nur Porträts von Menschen, die in irgendeiner Form im Sinne des Umweltschutzes und der Empathie etwas anders machen, in stinknormalen Onlinemedien durchlesen. Oder besser: Die Kommentare darunter.

Menschen, die vegan leben, wird vorgeworfen, dass sie Fast Fashion tragen. Menschen, die erklären, nicht mehr zu fliegen, wird vorgeworfen, dass sie hin und wieder einen Mietwagen nutzen.

Letztens postete eine Bekannte, dass für sie das Kaufen von gutem Käse ein kleiner Luxus sei, den sie sehr liebt – und hast du nicht geschaut, wurde ihr in den Kommentaren darunter schon erklärt, wie sie das nur mögen kann, wenn genau deshalb anderswo Kinder verhungern.

Konsum überdenken vs. System ändern

Viele, die beginnen, ihren eigenen Konsum zu überdenken, nehmen sich selbst als Maßstab. Sobald man selbst etwas anders macht – beispielsweise kein Wasser in Plastikflaschen mehr kauft –, ist man häufig überzeugt, dass das ja wohl keine Hexerei ist und alle, die es nicht tun, dumme Umweltverschmutzer:innen sind. Die Annehmlichkeit, auf die man selbst verzichtet, von der sollen alle anderen auch nichts haben. Und so viele können dir genau erklären, warum sie aus voller Umweltüberzeugung dumpstern und dass das ihren Flug zum Yogacamp auf Bali ausgleicht (auch das übrigens ein wirklich stattgefundenes Gespräch, ich war insgeheim ein bisserl baff).

Jeder Schritt ist gut und zeigt, dass wir bereit sind, unseren Teil der Verantwortung zu tragen, unabhängig von der Verhältnismäßigkeit.

Aber: So gut wie niemand wird innerhalb weniger Tage vom Saulus zum Paulus. Und noch viel wichtiger: Niemand von uns hat das Recht dazu, über die Versuche der Konsumverbesserung anderer Richter zu sein. Jede und jeder fängt mal an.

No Shame in the Umweltgame

Es bringt nichts, Menschen in nachhaltigen Konsum hineinshamen zu wollen. Ich bin überzeugt davon, dass das nicht hinhaut – eine Verhaltensänderung muss immer auf positiver Motivation beruhen, sonst wird das nix mit dem Durchhalten, und nicht auf Druck und Shaming.

Nochmal ganz deutlich: In meinen zehn Jahren, seit ich mich mit dem Thema nachhaltiger Konsum auseinandersetze, habe ich noch niemals auch nur eine Person erlebt, die sich in besseren Konsum hat hineinshamen lassen. Die Veganer in einer der Organisationen, bei der ich gearbeitet habe, haben die anderen MitarbeiterInnen nicht zum Umdenken gebracht, in dem sie sie beschimpft haben, sondern indem sie sie einfach haben kosten lassen oder schlicht und einfach eine Zeitlang für die anderen gekocht haben. Sie hatten gemerkt, dass das mit dem Beschämen nicht viel bringt – außer erhöhten Leberkäsesemmelverkauf beim Supermarkt am Eck. Trotz und so.

Auf Englisch gibt es den feinen Ausdruck „Cut em some slack“, das man nicht wirklich wörtlich übersetzen kann, es bedeutet „sei ein bissl milder mit ihnen“. Das kann ich echt nur allen empfehlen: Jede:r hat sein eigenes Tempo und erlebt seine eigenen Geschichten. Und manche sind halt weniger nachhaltig unterwegs als andere.

Nicht falsch verstehen: Natürlich ist es wichtig, im eigenen Alltag auf sinnvolle Nachhaltigkeit zu achten. Aber es ist wie mit den Plastiksackerln: Ob ich jetzt auf eins verzichte, macht weniger Unterschied, als wenn diese Sackerln EU-weit verboten werden. Also ist es neben einem persönlichen Sackerlverzicht wichtig, sich zu engagieren. Und nicht zu sagen: Ich hab ein Plastiksackerl eingespart, du nicht, du bist ein schlechter Mensch!

Systemkritik ist wichtiger als persönlicher Verzicht

Wer nur darauf schaut, möglichst alles individuell superrichtig zu machen, übt tendenziell weniger Systemkritik, weil „Ich mache ja eh alles richtig, ich kann das, schau, es geht.“ Fakt ist aber: Es geht nicht immer und es geht nicht bei allen. Es sollte aber immer mehr gehen. Kein Problem internationaler oder sogar globaler Reichweite lässt sich auf der individuellen Ebene lösen, nicht mal, wenn sich viele dahinterklemmen.

Es bringt nix, anderen den Käsekonsum vorzuwerfen, um sich selbst moralisch korrekter zu fühlen. Es bringt nix, auf jedem kleinen Detail am Verhalten des Gegenübers herumzuhacken. Davon wird nix besser, nur die Laune schlechter. Es braucht die Systemebene!

Wir müssen gemeinsam an neuen Systemen arbeiten. An Verboten umweltgefährdender Produktion. Gegen irreführende Kommunikation. Aber ob wir am Weg dorthin mal ausnahmsweise das unnachhaltige System nutzen, das Millionen andere unhinterfragt leben, also zum Beispiel einmal im Monat Fleisch essen, ausnahmsweise mal eine Fast Fashion Hose kaufen oder mit dem Auto nach Sankt Anton am Schlagloch fahren, weil der Zug nicht hingeht: Das ist wirklich im Verhältnis wurscht.

Lasst uns Systeme entwickeln, die uns allen ein besseres und umweltgerechtes Leben ermöglichen. Ausbau der Bahn, strengere Tierhaltungsgesetze, Verbot von umweltgefährlicher Produktion, radikal transparente Lieferketten. Aber hören wir bitte auf, uns gegenseitig sinnlos für den Status Quo zu kritisieren. No Shame!

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