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Demokratie
Kapitalismus
Ungleichheit

Viele Menschen wollen einen "Systemwechsel", wundert euch das wirklich?

Viele Menschen wollen einen
Immer mehr Menschen stellen das System infrage. Das wird oft als Ergebnis der Stärke der Rechtsextremen gedeutet. Warum das genau verkehrt gedacht ist, kommentiert Natascha Strobl.

August Wöginger feixt über seine Diversion, Manfred Juraczka bekommt Stadt-Wien-Job zugeschanzt, Wirtschaftskammer gönnt sich hohe Gehaltserhöhungen und fordert Zurückhaltung bei allen anderen, bei Lehrer:innen und Polizist:innen wird gekürzt, Familienleistungen werden nicht angepasst, die Inflation ist hoch und damit haben wir nur einen Teil der Vorkommnisse der jüngsten Monate beschrieben. 

Wundert es wirklich, dass Leute "das System" grundsätzlich in Frage stellen?

Eine Umfrage des Linzer Market Instituts im Auftrag des Standard ergibt nämlich, dass fast die Hälfte der Österreicher:innen genau das wollen - einen Systemwechsel. Was auch immer das genau heißt oder wie auch immer das genau verstanden wird: 53 Prozent wollen am bestehenden System festhalten, 47 Prozent wollen es grundsätzlich anders.

Das FPÖ-Gespenst

Sowohl der Leiter des Umfrageinstituts als auch die Medienberichterstattung tun der FPÖ aber einen Gefallen. Sie verkünden in Angstlust, dass das ein Indikator für die Stärke der FPÖ sei. 

Die Annahme ist, dass viele Menschen einen Systemwechsel wollen, weil die FPÖ das so sagt.

Ich denke, es ist umgekehrt richtige. Viele Menschen wählen FPÖ, weil sie einen Systemwechsel wollen - und die FPÖ diesen Systemwechsel scheinbar monopolisiert hat.

Es gibt nicht nur eine Art von Systemwechsel

Dabei bleibt “Systemwechsel” ja eine diffuse Forderung, unter der man sich sehr viele Dinge vorstellen kann. Im Sinne der FPÖ bedeutet es eine Abkehr von Demokratie und Minderheitenrechten hin zu einer bestenfalls “illiberalen Demokratie” bzw. einer Autokratie Marke Ungarn. Es würde bedeuten, die Menschenrechte und EU-Recht auszusetzen und den Rechtsstaat zu sabotieren. Das ist selbstverständlich auch der Markenkern des radikalisierten Konservatismus - wie er rund um Sebastian Kurz kreist. 

Systemwechsel könnte aber auch ganz etwas anderes bedeuten. Etwa, dass man sich aus den Fängen des Neoliberalismus lösen will, mehr Mitbestimmung möchte und eine Gesellschaft anstrebt, in der Menschen gleichwertiger behandelt werden und gleichere Chancen haben. 

Es funktioniert nicht mehr

Menschen sind nicht blöd. Sie merken schon, dass der Ist-Zustand aktuell nicht mehr funktioniert. Alle sollen mehr arbeiten, alles wird stressiger und überfordernder und trotzdem wird es nicht besser. Hier muss abgebaut werden, da gespart. Vermögen und Wohlstand und sogar Zeit werden immer ungleicher verteilt. Der Traum vom abgesicherten und geglückten Leben in mittlerem Wohlstand wirkt zunehmend unrealistisch. Wer den bescheidenen Traum noch leben kann, hat Angst, ihn zu verlieren.

Frust und Abstiegsängste sind die Folge. Daraus ergibt sich der diffuse Wunsch des “anders”.  

Die FPÖ monopolisiert diesen Wunsch. Und sie lenkt ihn in autoritäre Bahnen. Da sind Ausländer:innen oder eine globale Verschwörung schuld am immer bedrängteren Leben. An systematischen, wirtschaftlichen Machtverhältnissen wird unterdessen nicht gerüttelt.

Besser statt brutaler

Dass es auch anders geht, zeigen Erfolge der Green Party in Großbritannien (die mittlerweile auf dem Weg sind, in den Umfragen an Labour und Tories vorbei zu ziehen) oder von Zohran Mamdani in New York City. Auch sie fordern klipp und klar einen Systemwechsel - aber sie denken den eben auf ökonomischer Ebene durch. 

Dabei rückt einer der größten Tricks des Neoliberalismus wieder ins Scheinwerferlicht. Über 40 Jahre wurden Kapitalismus und Demokratie zu Synonymen gemacht. Das macht die gewaltvolle Durchsetzung des Neoliberalismus in allen Bereichen zu einer scheinbaren, demokratischen Notwendigkeit. Aber im Zweifel ist manchen der Kapitalismus dann wichtiger, als die Demokratie.

Es gibt mit der Autokratie noch schlechtere Systeme als dieses, aber es gibt eben auch bessere. Etwa eine andere, echtere, bessere und schönere Demokratie fernab dieser Logiken. Eine Demokratie ohne Postenschacher, Korruption, Recht des Stärkeren und permanenter Konkurrenz in allen Lebensbereichen. Mit mehr Teilhabe am Wohlstand.

Viele Menschen denken auch bei uns seit langem darüber nach und erarbeiten alternative Konzepte. Aber sie müssen aber als politisches Angebot formuliert und gezeigt werden. Dann hat die FPÖ auch kein Monopol mehr auf den Systemwechsel.

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