Religiöse Hardliner im Klassenzimmer: Regierung versäumt es weiterhin, TeenStar aus Schulen zu verbannen
“Ich habe erkannt, dass wir in diesem Bereich eine Baustelle haben” und “Ich werde empfehlen, TeenStar nicht mehr an Schulen unterrichten zu lassen”. Diese Aussagen von Ex-Bildungsminister Heinz Faßmann stammen aus einem Artikel des Standard. Datum: 1.4.2019. Ein schlechter Aprilscherz Faßmanns, wie sich später herausstellt: Denn im Jahre 2023 ist die Baustelle längst nicht geräumt und TeenStar ist nach wie vor an Schulen aktiv.
TeenStar: Sexualpädagogik aus dem Mittelalter
Warum das ein Problem ist, zeigten bereits im November 2018 Recherchen des Falters und der ZIB2. Interne Schulungsunterlagen von TeenStar offenbarten die ultrakonservative, diskriminierende und gefährliche Sexualmoral des Vereins. Homo-, oder Bisexualität wurde darin zur Phase abgewertet oder von Verhütungsmethoden abseits der “natürlichen Empfängnisverhütung” via Menstruationstabellen abgeraten.
Damit widersprach TeenStar mit seiner Lehre nicht nur dem “Grundsatzerlass Sexualpädagogik” in Österreich, sondern auch der UN-Kinderrechtskonvention und diversen Antidiskriminierungsgesetzen. Schnell wurden die Rufe nach einem Schulverbot laut. Dazu kam es aber bis heute nicht.
Langer Irrweg nach versprochener Verbesserung
Was stattdessen folgte, war ein bürokratischer Hürdenlauf: Zunächst verabschiedete die damals noch Schwarz-Blaue Regierung einen Gesetzesentwurf, der externe Vereine für Sexualpädagogik an Schulen grundsätzlich verbieten sollte. Ein Vorhaben, das mit dem Regierungssturz 2019 wieder in Vergessenheit geriet – zur Erleichterung auch vieler progressiver sexualpädagogischer Vereine, die damit ebenfalls ausgesperrt worden wären.
Im Anschluss wurden übergangsweise “Clearingstellen” eingerichtet. Sie sollten die Schulen bezüglich der Auswahl sexualpädagogischer Vereine beraten. Dem sollte eigentlich ein Akkreditierungsverfahren für diese Vereine folgen, das mangelhafte Sexualpädagogik nach modernen Standards endgültig von Schulen fernhalten sollte. Ein Gremium aus Expert:innen sollte darüber entscheiden, welcher Verein unterrichten darf. Faßmann versprach, dass dieses Verfahren bereits im Schuljahr 2020/2021 anlaufen werde.
Qualität der Sexualpädagogik sichern: Vom Bildungsministerium jahrelang verschlafen
Doch Recherchen von MOMENT.at zeigten im August 2022: Vom Akkreditierungsverfahren fehlte immer noch jede Spur. Bei der Beantwortung mehrerer parlamentarischer Anfragen, die die Verzögerung des Verfahrens angeklagt hatten, ließ sich das Bildungsministerium stets entschuldigen. Das Alibi: Aufgrund der Corona-Krise fehlte stets die Zeit, um das Verfahren in die Wege zu leiten.
Währenddessen nahm TeenStar im Schuljahr 2021/2022 wieder fleißig die Arbeit auf – und hielt laut eigenen Angaben Schulbesuche in drei Bundesländern ab.
Neue Geschäftsstelle zur Qualitätssicherung sexualpädagogischer Vereine lässt Fragen offen
Erst im November 2022 gab das Bildungsministerium – mittlerweile unter Martin Polaschek – schließlich ein Lebenszeichen: Mit einer Verordnung wurden neue, große Pläne für die externe Sexualpädagogik an Schulen kundgemacht. So soll statt einem Akkreditierungsverfahren nun eine Geschäftsstelle eingerichtet werden, die die externen Vereine in Zukunft nach „fachlichen und didaktischen internationalen wissenschaftlichen Standards auf dem Gebiet der Sexualpädagogik” begutachten und beurteilen soll. Die Stelle soll von einem “Board” aus fünf Expert:innen (vier davon werden vom Bildungsministerium selbst ernannt) koordiniert werden. Für ein Gutachten müssen sich die externen Vereine wie auch Einzelpersonen in einer Online-Datenbank anmelden und darin ihre Methoden, Zielgruppen und Positionen darlegen.
Für Sabine Ziegelwanger, Sexualpädagogin und Vorstandsmitglied der “Plattform Sexuelle Bildung” eine prinzipiell erfreuliche Maßnahme. Die Plattform ist ein Bündnis zahlreicher Sexualpädagog:innen und Expert:innen, das sich seit 2006 für die Professionalisierung der sexuellen Bildung an Schulen einsetzt. “Das Bildungsministerium versucht, die internationalen Standards für Sexualpädagogik mit einzubeziehen, das befürworten wir”, so Ziegelwanger. Dennoch hat Ziegelwanger große Bedenken, ob diese Standards auch in der Praxis umgesetzt werden – vor allem, wenn es um TeenStar geht.
Aussperren unmöglich?
Denn das geplante Board besitzt laut der Verordnung nicht die Macht, Vereine aus Schulen zu werfen. Sie spricht lediglich Empfehlungen aus und soll damit die Schulen und Schulbehörden bei der Beurteilung externer Angebote laut Verordnung „unterstützen“. Dass das Urteil für die Schulen bindend ist, steht dort nirgends. Ein Ausschluss erfolgt zumindest gemäß dem Wortlaut der Beantwortung der Anfrage nur dann, wenn keine Empfehlung, egal ob positiv oder negativ, vorliegt. Gibt es eine Empfehlung, bleibt es Lehrpersonen dementsprechend aber anscheinend erst wieder selbst überlassen, welche Vereine sie an die Schulen holen. “Die können aber die gleiche Sexualmoral vertreten wie TeenStar”, sagt Ziegelwanger.
Warum dieses Prozedere nicht zum Ausschluss von Vereinen führen kann, lässt das Bildungsministerium unter Polaschek als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage offen. Auch eine Anfrage von MOMENT.at blieb schlicht unbeantwortet. Das macht die Geschäftsstelle für die Plattform sexuelle Bildung zum mutmaßlich “zahnlosen Instrument”. “Wir hätten uns gewünscht, dass das Bildungsministerium von vornherein Stellung bezieht und TeenStar an Schulen verhindert.“ Jetzt drohe für alle sexualpädagogischen Vereine ein großes bürokratisches Prozedere, das laut Ziegelwanger derzeit noch sehr undurchsichtig sei.
TeenStar könnte durch das Gutachten rutschen
Ziegelwanger befürchtet, dass die Tür zum Klassenzimmer für TeenStar offen bleibt. Dem Verein bleibe nun Zeit, die Darstellung der eigenen Inhalte zu entschärfen, um das Gutachten des Boards zu bestehen. “Auf der Website kann man bereits lesen, wie bestimmte Inhalte dem Whitewashing unterzogen wurden”. So steht jetzt in den Leitlinien des Vereins, dass zumindest “eine pädagogische Beeinflussung der Entscheidung für eine bestimmte sexuelle Orientierung aus Respekt vor der persönlichen Entscheidung unterlassen werden” – ist TeenStar etwa im 21. Jahrhundert angekommen?
Wer ein wenig tiefer gräbt, merkt, dass sich beim Verein wenig geändert hat. Wer TeenStar-Ausbildner:in werden will, muss im Anmeldeformular für den Lehrgang zum Beispiel angeben, ob er oder sie bereits einen Kurs für “natürliche Empfängnisverhütung” belegt hat. Eine pseudowissenschaftliche Methode, die von TeenStar-Chefin Helga Sebernik nach wie vor öffentlich befürwortet wird. TeenStar-PR-Mann David Postolache wettert ebenfalls nach wie vor in sozialen Medien gegen Abtreibung oder Pride-Events, die er als “Hochmut-Paraden” bezeichnet. Ob die zukünftigen Gutachter:innen solche Fakten in ihre Bewertung mit einbeziehen, bleibt abzuwarten. Ob sich Lehrpersonen auch an ein negatives Gutachten halten, ebenfalls.
Generell fehle Lehrkräften auch die Sensibilisierung für das Thema, so Ziegelwanger. “Es gibt an der Uni lediglich ein Wahlfach für Sexualpädagogik.” Ergänzend zum Aufwand, den die neue Geschäftsstelle mit sich bringt, hätte Ziegelwanger die Zeit und das Geld ebenso in die Ausbildung der Lehrkräfte gesteckt. Der Forschungsbericht “Qualitätssicherung der schulischen Sexualpädagogik in Österreich”, der im Zuge des einst geplanten Akkreditierungsverfahrens von Expert:innen erstellt wurde, empfiehlt genau diese Maßnahme. Die neue Verordnung ignoriert das, genau wie die Empfehlung, dass endlich ein ganzheitliches sexualpädagogisches Konzept für jede Schule entwickelt wird.