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Ungleichheit
Arbeitswelt
Kapitalismus

Über die echten Leistungsträgerinnen spricht niemand

Ein Dank und feuchter Händedruck für die wahren Leistungsträgerinnen. Im Bild: Ein Mann im Anzug streckt der Kamera eine Hand zum Händeschütteln entgegen.
Wenn in der Politik über Leistungsträger:innen gesprochen wird, wird ein Großteil der gesellschaftlichen Leistung einfach ignoriert. Natascha Strobl analysiert.

Oft wird von konservativer und neoliberaler Seite über Politik für Leistungsträger geredet. Etwa, wenn es um Steuererleichterungen geht. Oder wenn das Pensionsantrittsalter erhöht und die Pension gekürzt werden soll. 

Mit “Leistungsträger” sind in diesem Denken Menschen mit hohen Einkommen (meistens Männer) gemeint. Die Nicht-Leistungsträger:innen sind die, die schlecht entlohnt werden oder nicht Vollzeit arbeiten. Das ist ein zynischer Fehlschluss.

Wenn man nicht nur einen Teil, sondern die ganze Realität betrachtet, dann zeigt sich, dass Frauen eigentlich mehr arbeiten. Sie werden aber nur für einen Teil dieser Arbeit bezahlt. Die aufgewandte Zeit für unbezahlte Arbeit ist bei Frauen 58% höher als bei Männern. Umgekehrt ist der Zeitaufwand für Lohnarbeit bei Männern 33% höher als bei Frauen. Diese Tendenz trifft auf Österreich genauso wie auf Deutschland zu. In Summe ergibt sich eine insgesamt höhere Arbeitsbelastung bei Frauen als bei Männern. 

Nicht einmal, wenn Frauen länger erwerbstätig sind als Männer, ergibt sich eine Verlagerung der unbezahlten Arbeit zu Männern, sondern nur annähernd eine Gleichverteilung. Bei gleichem Erwerbsausmaß ist die Verteilung der unbezahlten Arbeit ungefähr gleich hoch, wie wenn der Mann mehr erwerbstätig ist. Besonders die Erziehung und Betreuung von Kindern ist nach wie vor Frauensache.

Leistungsträger:innen neu verstehen

Allein an diesen Beispielen zeigt sich, dass der Leistungsbegriff in der neoliberalen und konservativen Verwendung keinerlei Bedeutung hat. Denn die Menschen, die am meisten leisten, werden dafür nicht entsprechend entlohnt – oder gar nicht entlohnt. 

Leistung bedeutet eben nicht nur an einem Bürotisch zu sitzen und Zahlen hin und her zu schieben, sondern auch durchwachte Nächte am Krankenbett des Kindes und stundenlange Unterstützung bei Hausübungen. Diese Art der Leistung hat aber keinen monetären Gegenwert. Sie bekommt dementsprechend auch nicht die gesellschaftliche Anerkennung. 

Der Fehlschluss ist, dass das Gehalt ein adäquater Gradmesser für den Wert einer Tätigkeit ist. Etwas, das kein Gehalt nach sich zieht, ist in diesem Denken auch nichts wert. Dementsprechend sind die Leistungen, die ein Großteil der Frauen in dieser Gesellschaft erbringt, nichts wert. 

Eh auch im Beruf

Das gilt übrigens auch fürs Berufsleben, wo klassische Frauenberufe zu den schlechtest entlohnten gehören, obwohl sie Qualifikation, Verantwortung und (körperliche) Anstrengung abverlangen. Eine Kindergartenpädagogin oder eine Krankenpflegerin sind nicht weniger gefordert, als ein Bauarbeiter oder Spitzenmanager. Die Tätigkeiten sind unterschiedlich, der Wert und die Verantwortung für die Gesellschaft ist in einem Bereich nicht weniger als in einem anderen (wobei sich beim Spitzenmanager trefflich streiten lässt).

Wer also Pensionen oder Unterstützung just für diese Gruppe kürzen will oder sie als faul bezeichnet, der möchte die wahren Leistungsträgerinnen in dieser Gesellschaft doppelt bestrafen. Es wird Zeit nicht nur Arbeit, sondern auch Leistung neu zu denken und entsprechend zu honorieren. 

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • Werner Lang
    06.03.2024
    Das Leistungsprinzip regelt die menschlichen Beziehungen nach der Leistung und dem Können der einzelnen. Die Polarität Können-Nichtkönnen wird zum vorrangigen Urteilsschema in fast allen Lebensfragen, das Leben zu einem Ablauf von angsterregenden Bewährungssituationen. Wo es gilt, eine Leistung zu vollbringen, da besteht die Gefahr zu versagen, weil man zu dumm ist oder zu schwach oder zu empfindlich oder zu feig. Das Leistungsprinzip führt unweigerlich zur Versagensangst, und je tiefer sich das Leistungsprinzip einnistet in alle unsere Tätigkeiten und Beziehungen, desto mehr wird die Versagensangst zu einem Grundbestandteil unseres ganzen Lebens.
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