Ukraine-Krieg: Warum spricht Putin von „Entnazifizierung“? Man sieht die Politologin Natascha Strobl und Wladimir Putin. Sie sind im geben #NatsAnalyseSujet. Der Hintergrund ist dunkel.
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Natascha Strobl
/ 16. März 2022

Wladimir Putin rechtfertigt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit „Entnazifizierung“. Diese Behauptung ist auf mehreren Ebenen absurd. Warum spricht Putin von „Entnazifizierung“? Politologin Natascha Strobl hat das für uns analysiert.

Wladimir Putin versucht seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine wiederholt mit „Entnazifizierung“ zu rechtfertigen. Russland befinde sich auf einer Entnazifizierungsmission und muss deswegen in der Ukraine eingreifen. Eine Behauptung, die auf mehreren Ebenen abstrus ist. Warum macht er das?

Ukraine-Krieg: Warum spricht Putin von „Entnazifizierung“?

  • Erstens: Putin stellt damit das gegenwärtige Russland in eine historische Linie mit der Sowjetunion, die gegen die Nazis gekämpft hat. Sowie es damals war, so ist es heute auch. Es gleicht quasi einem historischen Auftrag. Die Täterländer von damals können das gar nicht beurteilen und tun sich sachgemäß schwer, einen „Nazivorwurf“ nicht ernst zu nehmen. Putin versucht also sich ein historisches Mäntelchen umzuhängen und setzt Situationen gleich, die nicht gleich sind.
     
  • Zweitens: Er versucht Nazis einseitig im Westen oder eben in der Ukraine zu verorten. Selbstverständlich gibt es Nazis in der Ukraine. Sie spielen zuweilen auch eine Rolle, die mehr als bedenklich ist. Auch der Austausch mit der restlichen europäischen Naziszene ist groß. So diente die Ukraine immer wieder als Örtlichkeit für Nazikonzerte und -festivals, die Besucher:innen aus ganz Europa anzogen. Es gibt auch einen stark organisierten, militanten und parlamentarischen Nazismus. Das ist nicht zu leugnen. Es ist allerdings falsch und heuchlerisch, wenn das als singuläres Phänomen dargestellt wird. Denn in Russland gibt es ebenso eine große und umtriebige Nazi-Szene. Ein Fakt, dem Putin bis jetzt nicht mit derselben Entschlossenheit zur „Entnazifizierung“ begegnet ist.
     
  • Drittens: Stellt Putin die Ukraine als solche als „Nazi-Staat“ dar. Als seien alle Institutionen des Staates nationalsozialistisch durchsetzt. Denn die Bedrohung durch einen waschechten Nazi-Staat würde einen Krieg rechtfertigen. Das ist Unfug. Der Vorwurf ist auch der Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr auf persönlicher Ebene. Der ukrainische Präsident Selesnky wird zum Präsidenten eines Nazi-Staats, während Putin der Entnazifizierer ist. Das verdeckt die Tatsache, dass Selensky der Nachkomme von Shoah-Überlebenden ist. Es verdeckt auch die Tatsache, dass Putin und sein Umfeld den europäischen und amerikanischen Rechtsextremismus gefördert haben und dass Putin nach wie vor deren Held ist.

Die Erzählung von der „Entnazifizierung“ ist ein historischer Maximalismus und eine Immunisierungsstrategie. Opfer und Täter werden verdreht, um einen Krieg zu rechtfertigen, der nicht zu rechtfertigen ist.

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