Gewinne aus Umwidmungen: Billiger Grund wird plötzlich teuer – und die Allgemeinheit verliert
Sechs Jahre lang hat sich Hans Pichler (Name geändert) bemüht. Er wollte, dass ein Teil seines Ackers am Stadtrand von Klagenfurt in Bauland umgewandelt wird. Sein Sohn sollte sich dort ein Haus bauen können. Immer wieder sei er dabei an der zuständigen Abteilung gescheitert, sagt er. Das Grünland müsse für Wildtiere bleiben, hieß es einmal. Ein Haus an dieser Stelle passe nicht in die Stadtentwicklung, ein andermal. Da war nichts zu machen.
Schließlich verkaufte Pichler das Ackerland 2019. Ein Immobilienentwickler schlug zu. Weil Grünflächen billig sind und Bauland teuer wäre, war der Preis entsprechend günstig. Kurz darauf schienen sich die Bedürfnisse der Wildtiere und das Konzept der Stadtentwicklung geändert zu haben. Im nächsten Jahr sollen auf dem Grundstück Einfamilienhäuser und ein Wohnblock gebaut werden. Das Umwidmungsverfahren läuft zwar noch, aber laut Stadtplanung sollen die Pläne ins Stadtentwicklungskonzept passen.
Der Entwickler wollte gegenüber MOMENT keine Stellung nehmen. Die Frage, ob der Zeitpunkt der Umwidmung nur pures Pech von Pichler und Glück für den Investor war, ist für die Stadt heikel. Eine Umwidmung von Acker- in Bauland bedeutet, dass ein Grund plötzlich sehr viel mehr wert ist. Meist um ein Vielfaches. Viele haben dieses Glück nicht. Andere Menschen machen sehr viel Geld auf diese Weise. Sie haben das Glück wieder und wieder.
Lilihill City? Ein Investor kauft Klagenfurt auf
Der in Klagenfurt ansässige Immobilienentwickler Franz Peter Orasch hat mit Umwidmungen sogar Gewinne im Millionenbereich gemacht. Sein Unternehmen, die Lilihill-Gruppe, besitzt mittlerweile Immobilien und Grundstücke in Völkermarkt, Villach, am Klopeinersee und am Keutschachersee. In Klagenfurt hält Orasch bereits einige repräsentative Bauten in bester Innenstadtlage in seinen Händen, darunter das Grundstück des ehemaligen Gebäudes der Kärntner Tageszeitung am Viktringer Ring. Orasch sei “im Begriff die City aufzukaufen”, kritisierte eine Grünen-Politikerin bei einer Gemeinderatssitzung 2016.
Das Beispiel zeigt, dass der Wert von Grundstücken und Immobilien nicht nur bei Ackerland schnell wachsen kann. Orasch legte für das Gebäude ursprünglich einen Plan vor: Er werde dort Büros, Institute für die Universität und ein Studentenheim bauen. Die Stadt brauchte das. Deshalb erlaubte sie Orasch, das Gebäude um ein Stockwerk zu erhöhen. Ein Gemeinderat schätzt, es sei nun deshalb eine Million Euro mehr wert. Die Versprechen waren aber vertraglich nirgendwo abgesichert. Orasch errichtete schließlich jedenfalls keine Uni-Institute, sondern ein Hotel und er ließ ein Versicherungsbüro in den neuen Bau einziehen.
Flughafen Klagenfurt: Ein Projekt der Superlative
Update zum Beispiel Flughafen Klagenfurt von 16.12., 11:00: Am Tag unseres Artikels gab es neue Entwicklungen in der folgenden Causa. Am Donnerstag tagen Eigentümer und Aufsichtsrat der Flughafengesellschaften in Klagenfurt. Dort wird entschieden, ob Orasch grünes Licht für seine Pläne bekommt. Das Land will dem Verkauf der nicht-betriebsnotwendigen Grundstücke nun aber nicht zustimmen. Seit kurzem liegen auch Kaufangebote von anderen Investoren am Tisch. Diese würden für die Grundstücke mehr bezahlen. Land und Stadt bleiben aber „gesprächsbereit“ und wollen jedenfalls weiterhin mit Orasch verhandeln. Wir aktualisieren den Artikel in den folgenden Absätzen nach diesen Entscheidungen. Auch falls es nun doch anders kommen sollte, zeigt das Beispiel immer noch anschaulich, was bei Umwidmungen politisch und wirtschaftlich heikel sein kann.
Für die meisten Schlagzeilen sorgen allerdings die Pläne des Investors für den Flughafen Klagenfurt. 2018 wurde der Flughafen privatisiert. Ein Unternehmen von Orasch hält seither 74,9 Prozent der Anteile. Das Land Kärnten und die Stadt Klagenfurt sind Minderheitsgesellschafter. Auch hier hat Orasch große Pläne: Auf dem Flughafengelände soll unter anderem ein Flughafenhotel, ein Logistikzentrum und ein Technologiepark entstehen. Dafür will Orasch 450 Mio. Euro in die Hand nehmen.
Im Gegenzug möchte er allerdings, dass die „nicht betriebsnotwendigen Grundstücke“ verkauft werden. Das sind 486.000 Quadratmeter an Grünland. Der Preis soll sehr attraktiv sein: 17,8 Mio. Euro. Das ergibt ein neues Gutachten, das die Flughafen-Beteiligungsgesellschaft von Orasch in Auftrag gegeben hat. Erst vor 6 Jahren schätzte ein anderes Gutachten den Wert auf 28 Mio. Euro. Dass Gründe in der Nähe der Stadt in wenigen Jahren 10 Millionen Euro an Wert verlieren, verwundert Beobachter:innen.
Der Käufer soll, wenn es nach Orasch geht, übrigens eine andere Gesellschaft von ihm selbst sein.
Werden öffentliche Gründe zu privaten Gewinnen?
Auch hier könnten Umwidmungen später zu großen Gewinnen führen. Orasch will nur 37 Euro pro Quadratmeter zahlen. Vergleichbare Bau-Grundstücke in dieser Lage kosten aber zwischen 200 und 400 Euro pro Quadratmeter. Würde die Fläche umgewidmet, würde sie um einen mehrstelligen Millionenbereich wertvoller. Das wäre ein Megadeal für den Investor. Das Büro des Immobilienentwicklers war zu einer Stellungnahme nicht bereit, weil es sich aktuell in einer „Abstimmungs- bzw. Verhandlungsphase“ befinde.
Noch brisanter wäre der Verkauf, wenn Orasch den Flughafen selbst auch wieder abgibt. Das könnte passieren. Erreicht der Flughafen die Passagier-Ziele nicht, könnten Stadt und Land ihre Option auf die Rückabwicklung ziehen. Dann bekommt Orasch zwar nur einen Teil seines ursprünglichen Kapitals zurück, erklärt Wirtschaftsprüfer Johann Neuner. Nimmt er aber vorher die “nicht betriebsnotwendigen Grundstücke” günstig an sich, könnte sich der Deal für ihn trotzdem bereits gelohnt haben. Im Falle einer Umwidmung ganz sicher. Für die öffentliche Hand wäre es alles in allem ein großer Verlust.
Bürgerinitiative wehrt sich
“Die Umwidmung ist wie eine Gelddruckmaschine”, bekrittelt der Klagenfurter Investigativjournalist Franz Miklautz. In der Stadt haben sich eine Handvoll engagierter Bürger:innen in der „Plattform Stadtentwicklung“ organisiert. Sie setzen sich für eine Stadtentwicklung ein, die den Bewohner:innen statt den Investor:innen nützt. Dafür fordern sie ein Mitspracherecht bei der Raumplanung, Innenstadtförderung und Baukultur.
Der Architekt Ed Hoke, ein Mitglied der Plattform, bekräftigt im Interview: „Widmungsgewinne sind eine Errungenschaft der Allgemeinheit. Dieses Geld, das bei der Widmung entsteht, soll dem Gemeinwohl zur Verfügung stehen und nicht den privaten Investoren.“
Wie entstehen eigentlich Widmungsgewinne?
Der Wert eines Grundstücks kann durch Umwidmungen steigen, wenn von der Raumordnung neue Nutzungsmöglichkeiten vergeben werden: wenn brachliegendes Land erstmalig als Bauland ausgewiesen wird, wenn eine Fläche einer anderen Baulandkategorie zugewiesen wird (etwa Wohnnutzung statt Industrienutzung) oder wenn eine Bebauungsplanänderung höheres oder dichteres Bauen erlaubt. Ein typisches Beispiel ist die Umwidmung einer bisher landwirtschaftlich genutzten Fläche in Bauland.
Wenn ein Investor einen Quadratmeter Wiese um 10 Euro kauft, kann das Stück Grün ohne eigenes Zutun nach der Umwidmung in Bauland schon mal 300 Euro wert sein. Zwischen 2007 und 2011 wurden in Österreich pro Tag etwa 15 ha von Grünland in Bauland umgewidmet. Das entspricht laut einer Berechnung des Momentum Instituts einer Wertsteigerung von 2,7 Mrd. Euro pro Jahr – eine enorme Summe, die in den Taschen der Eigentümer:innen landet.
Öffentliche Hand zahlt, aber hat nichts von Gewinn aus Umwidmung
In Österreich wird dieser Gewinn nicht direkt besteuert. Erst, wenn das umgewidmete Grundstück weiterverkauft wird, bekommt das Finanzamt etwas ab. Die Körperschaftsteuer beträgt 25 Prozent im gewerblichen Bereich, die Immobilienertragsteuer im privaten Bereich 30 Prozent. Für Investoren ein toller Deal, der Allgemeinheit entgehen mit dieser verzögerten und niedrigen Besteuerung aber jährlich Milliarden. Besonders heikel ist das, wenn die Grundstücke vorher eigentlich der öffentlichen Hand selbst gehört haben.
Gleichzeitig kommt die Allgemeinheit aber dafür auf, dass diese Gebiete dann mit Infrastruktur wie Straßen, Beleuchtung, Strom, Energie und Kanalisation erschlossen werden. Dortige Bewohner:innen müssen dann auch mit Schulen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Krankenhäusern versorgt werden. Und die wiederum steigern die Attraktivität und den Wert der privaten Grundstücke und Immobilien.
Das Problem mit den Widmungen
Folgekosten betreffen auch die Umwelt. Während private Gewinne gemacht werden, verschwinden durch die Zersiedelung immer mehr Grünflächen und die Bodenversiegelung nimmt zu – und das, obwohl ausreichend „Baulandreserven“ vorhanden sind: Etwa ein Viertel des Baulandes in Kärnten ist noch gar nicht bebaut.
Gebaut wird also oft nicht, weil neuer Wohnraum benötigt wird. In Klagenfurt wurden in den letzten Jahren doppelt so viele Wohnungen gebaut, wie aufgrund des Bevölkerungszuwachses notwendig wären. Auf vielen Grundstücken entstehen Gebäude und Wohnungen, die als Zweitwohnsitz den Großteil des Jahres leer stehen. Die Bebauung der umgewidmeten Grundstücke dient also häufig als reine Geldanlage und erhöht den Leerstand.
Man kann Gewinne aus Umwidmungen besteuern
Städte wie München, Berlin, Bern und Basel besteuern Widmungsgewinne. Sie müssen zumindest teilweise der Allgemeinheit zugutekommen. Die bayerische Landesverfassung sagt etwa: „Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“
Auch hierzulande könnte die Politik tätig werden und das Wertsteigerungspotenzial nutzen. Die „Mehrwertabgabe“ ist ein geeignetes Ausgleichsinstrument zur Besteuerung von Widmungsgewinnen. Der jeweilige Anteil des abgeschöpften Gewinns kann zweckgewidmet für öffentliche Anliegen eingesetzt werden – etwa für den sozialen Wohnbau, den Rückkauf von Seegrundstücken oder Entschädigungen für Rückwidmungen. Damit kann eine Umverteilung zugunsten der Allgemeinheit erreicht werden.