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Ungleichheit

Vom Gemeindebau an die Uni

Durch Zufall bin ich an einer katholischen Privatschule gelandet. Als eine der wenigen ohne Marken-Klamotten und Skiurlauben war das nicht immer lustig. Aber ohne diese Schule wäre ich heute nicht hier.

Kurz bevor ich ins Gymnasium kam, zogen meine Mutter, meine zwei Geschwister und ich zu ihrem neuen Freund. Die Gemeindewohnung in Oberdöbling war nur ein paar Meter entfernt von einer kleinen Einkaufsstraße mit sündteuren Boutiquen und Herrenausstattern.

Statt auf eine öffentliche Schule schickte meine Mutter uns an die katholische Privatschule, die nur zwei Straßenbahnstationen entfernt war. Meine Familie ist nicht religiös, schon gar nicht katholisch, aber Privatschule, das hörte sich gut an.

Ich glaube, dieser Moment, diese zufällige Entscheidung hat mein restliches Leben bestimmt. Zum Glück.

Ist das alles?

Es war nicht immer lustig, eine der wenigen zu sein, die die Kosten für die Schullandwochen nicht so einfach wegstecken kann. Ohne Moncler-Jacke und Longchamp-Handtasche. Kein Pool im Garten. Keine Skiurlaube, keine Sprachreisen in den Ferien. Klar war es komisch, als ein Schulkollege in meiner Wohnung stand und fragte: „Ist das alles?“

„Die Einzigen, die von einer Privatschule profitieren könnten, wären Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern, da höhere Leistungen der Klassenkolleginnen und -kollegen quasi ansteckend wirken.“ Das hat die Journalistin und ehemalige Lehrerin Melisa Erkurt in ihrer Kolumne im vergangenen Jahr geschrieben.

Über die Definition von „bildungsfern“ lässt sich streiten. Meine Mutter ist in die Hauptschule gegangen, weil das damals eben so war. Ihre Eltern haben beide ebenfalls keine Matura. Jahrzehnte nach ihrem Pflichtschulabschluss hat sie eine Ausbildung zur diplomierten Krankenpflegerin gemacht, nebenbei drei Kinder alleine erzogen. Ziemlich badass, wie ich finde. Aber Hilfe bei der Hausübung, Belohnungen für gute Noten oder gar ein Ferialpraktikum beim befreundeten Unternehmer, das gab es bei uns nicht.

Ich habe Glück gehabt

In meiner Klasse gab es drei SchülerInnen, die mir über die Jahre immer wieder in meinem Problemfach Mathe geholfen haben. Die Mutter einer Klassenkollegin ist Journalistin bei einer Tageszeitung, dort konnte ich meine berufspraktischen Tage verbringen und meine zusammengestoppelten Texte wurden samt Tippfehlern sogar veröffentlicht. In diesen drei Tagen habe ich mir zum ersten Mal ernsthaft überlegt, Journalistin zu werden.

In meiner Schulzeit war ohne Zweifel klar, dass ich studieren werde. Wahrscheinlich, weil es eben alle anderen auch vorhatten. So war es dann auch. Meine Schwester – ich würde sie Streberin nennen, aber sie ist vor allem sehr, sehr schlau – war die erste in meiner Familie mütterlicherseits, die an die Uni ging. Ich hatte es zwei Jahre nach ihr schon leichter. Sie kannte sich aus.

Wer weiß, wo ich jetzt stehen würde, wenn ich auf eine andere Schule gegangen wäre. Ich würde behaupten, auch an der öffentlichen Schule ein paar Straßenbahnminuten weiter wäre es ähnlich gelaufen. Döbling ist eben Döbling. In einem anderen Bezirk hätte ich vielleicht eine Lehre zur Tischlerin gemacht. Das wäre cool geworden, glaube ich. Vielleicht hätte ich aber auch in der Corona-Krise einen schlechter bezahlten Job verloren und müsste mir Gedanken darüber machen, wie ich die Miete bezahlen soll. Stattdessen sitze ich gerade in einem ziemlich schönen Büro und mache das, was ich am liebsten tue: Mit Menschen reden, ihnen persönliche Fragen stellen, im Internet rumhängen. Meine Schwester macht gerade ihren Master und veröffentlicht im Herbst ihren ersten Roman.

Ich glaube keine Sekunde lang, dass ich heute hier bin, weil ich besonders talentiert oder ehrgeizig war. Ich habe ganz einfach Glück gehabt. Meine zukünftigen Kinder werden dieses Glück nicht mehr brauchen. Mit Akademikerin als Mutter werden sie sehr wahrscheinlich auch studieren. Von einer Welt, in der bei der Bildung Glück keine Rolle mehr spielt, sind wir noch weit entfernt.

 

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