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Gesundheit

Von Lebensgefährdern und sozialer Distanz: Wie sollen wir über Corona sprechen?

Corona verändert vieles - auch unsere Sprache. Eine Sprachwissenschaftlerin über Sündenböcke, physische Distanz und anti-europäisches Denken.

Neue Normalität? Corona verändert vieles – auch unsere Sprache. Wir haben mit der Sprachforscherin Ruth Wodak über die Auswirkungen der Corona-Rhetorik gesprochen. Warum Sündenböcke bedenklich sind, wir wie kleine Kinder behandelt werden und die Wortwahl zum neuen Nationalismus beiträgt.  

MOMENT: Woher kommen die „neuen“ Worte wie „Lebensgefährder“ oder „Social Distancing“?

Wodak: Neue Worte werden immer wieder geschaffen, um neue Phänomene zu bezeichnen. Das ist auch jetzt der Fall, etwa bei Zusammensetzungen mit Corona. Die Corona-Party zum Beispiel, Corona-Baby oder Coronial. Letzteres bezeichnet die junge Generation, die jetzt mit Corona aufwächst.

Gleichzeitig wurde viel aus dem Englischen übernommen, etwa Home Schooling und Distance Learning. Das sind keine neuen Begriffe, die gab’s schon immer: Fernstudien; Kinder, die zuhause unterrichtet werden. Aber durch diese englische Bezeichnung scheint das etwas Neues zu sein.

 

Es hat viel Angst gegeben und Kriegsmetaphorik, zum Beispiel den „Kampf gegen das Virus“.

MOMENT: Was halten Sie von dem Begriff „Neue Normalität“?

Wodak: Ich mag die Bezeichnung „Neue Normalität“ nicht. Unser aller Leben verändert sich durch die Erfahrungen, die wir früher und auch jetzt gemacht haben. Die Frage bleibt aber: Was ist „normal“? Ist es normal, die Grenzen zu schließen oder sie zu öffnen? Wir sollten eher von Veränderungen sprechen und nicht von etwas Normalem oder etwas Neuem, das scheinbar statisch und damit unveränderlich ist.

MOMENT: Im Vergleich zu anderen Ländern: Wie ist unsere Regierung sprachlich an Corona herangegangen?

Wodak: Wir wurden wie Kinder behandelt, die „brav“ sein müssen. Das hat im ersten Monat auch gut funktioniert, dann weniger gut. Weil es schwer ist, aus einer hierarchischen Dynamik in eine gleichberechtigte Kommunikation überzugehen. In manch anderen Ländern wurde mehr auf Augenhöhe kommuniziert.
Bei uns wurde viel mit Angst und Schwarz-Weiß-Malerei gearbeitet: „Schauen Sie sich die Bilder aus Italien an, so darf es bei uns nicht werden.“ Man hätte auch sagen können: „Schauen Sie sich an, wie toll das in der Slowakei gemacht wird.“ Da hat es viel Angst gegeben und Kriegsmetaphorik, zum Beispiel den „Kampf gegen das Virus“.

 

Wir sehen durch Corona eine neue Kategorisierung von Menschen: Da gibt es etwa die HeldInnen und die LebensgefährderInnen.

MOMENT: Wird die Regierung in der Krise von SprachwissenschaftlerInnen wie Ihnen darüber beraten, wie sie sich in der Krise darstellen soll?

Wodak: Das ist mir nicht bekannt. Es gibt in der Regierung jede Menge Menschen, die diesen Kommunikationsapparat aufbauen – ich weiß aber nichts von LinguistInnen. Es wäre hilfreich, ExpertInnen zu haben, die die kurz- und langfristigen Folgen von bedrohlichen Metaphern und Szenarien abschätzen können.

MOMENT: Welche Worte und Sätze sind Ihrer Meinung nach bedenklich?

Wodak: Ein Problem habe ich mit Social Distancing, weil das so klingt, als ob wir uns sozial voneinander entfremden. Das tun wir nicht. Wir bleiben in Kontakt mit Menschen, die wir mögen – wir halten nur physischen Abstand. Der Soziologe Bernd Marin sagt, dass es eigentlich Physical Distancing heißen sollte. Wenn wir uns tatsächlich sozial voneinander entfernen würden, dann wäre der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet.
Noch so ein Wort ist Lebensgefährder – es wirkt sehr bedrohlich. Es heißt, dass jemand tatsächlich das Leben anderer gefährdet, wenn er die physische Distanz nicht einhält. Wir sehen eine neue Kategorisierung von Menschen: Da gibt es zum Beispiel Risikogruppen, SystemerhalterInnen, HeldInnen oder LebensgefährderInnen.

 

Lesetipp: Die Gefahren von Menschenkategorien und diskriminierender Sprache.

MOMENT: Besonders aufgefallen ist mir der Satz „Die Krankheit wird eingeschleppt“ – etwa aus dem Balkan.

Wodak: Das ist meines Erachtens der Versuch, einen Sündenbock zu konstruieren. Diese Schuldzuschreibung ist eine bedenkliche Entwicklung: Sie könnte eine fremdenfeindliche Stimmung auslösen. Erst wurde gesagt, die Krankheit sei aus China eingeschleppt worden. „The Chinese Virus“ – wenn ich an Trumps Worte denke – war ja in aller Munde.
Dann hat man gesagt, die Krankheit sei aus Italien nach Österreich gekommen. Bis sich herausgestellt hat, dass die Krankheit von Ischgl aus in andere Länder gebracht wurde.

 

Behauptungen wie „Wir machen alles richtig, wir sind die Besten“ fördern eine anti-europäische Denkweise.

MOMENT: Was können wir gegen diesen negativen Einfluss tun?

Wodak: Es müssen Fakten auf den Tisch. Es gibt Studien, die genau nachvollziehen, wo und wie sich das Virus ausgebreitet hat und auf welche Weise es verbreitet wurde.
Da appelliere ich auch an die Medien, differenziert zu recherchieren. Die Studien gibt es.

MOMENT: Wie verändert sich unsere Gesellschaft durch Corona?

Wodak: Behauptungen wie „Wir machen alles richtig, wir sind die Besten“ haben ein Erstarken des Nationalismus zur Folge und fördern außerdem eine anti-europäische Denkweise. Da bleibt die Frage, ob sich das wieder ändern wird und wir wieder auf europäischer Ebene zu denken beginnen. Vor allem, weil weder die Wirtschafts- noch die Klimakrise national gestemmt werden können.

 

Ruth Wodak ist eine österreichische Sprachwissenschaftlerin und ehemalige Professorin an der Uni Wien. Sie hat ein Buch geschrieben: Politik mit der Angst. Die Wirkung rechtspopulistischer Diskurse.

 
Ruth Wodak beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Sprache. Sie sitzt vor einem Bücherregal und blickt lachend in die Kamera.

Ruth Wodak beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Sprache. Foto: Privat

 
 

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