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Arbeitswelt
Kapitalismus

Erste Spitäler streiken – “Wir wollen nicht so behandelt werden”

Im Wiener Krankenhaus Göttlicher Heiland und weiteren Ordensspitälern streikten die Beschäftigten für mehr Gehalt. Sie arbeiten am Anschlag, seien müde und ausgelaugt. Warnstreiks im Gesundheitswesen galten bisher als ausgeschlossen. “Das zeigt, was los ist”, sagt ein Gewerkschafter. Die Seite der Arbeitgeber bietet wenig und machte bis zuletzt Druck, die Streiks abzublasen - auch mit seltsamen Methoden.

Drei Männer stehen hoch oben am Balkon des Ordensspitals Göttlicher Heiland in Wien Hernals. Sie tragen blaue Ganzkörperschutzanzüge und Schutzmasken mit Vollvisier, als wappneten sie sich vor einem tödlichen Virus. Doch die Spitals-Mitarbeiter kämpfen an einer anderen Front: Sie verlangen höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in Österreichs Ordensspitälern. In denen arbeiten österreichweit 10.000 Menschen – und das seit Jahren am Anschlag. Um kurz nach neun Uhr spannen die Drei ein Banner vom Balkon-Geländer. Darauf steht in großen Buchstaben: „Wir streiken!“

Kurz danach kommen Dutzende Mitarbeiter:innen des Krankenhauses aus dem Gebäude. Es sind alle dabei: Reinigungspersonal, Fachärzt:innen, Pfleger:innen, Sicherheitsdienst. Auch sie tragen ein Transparent, darauf fordern sie: 500 Euro mehr Gehalt im neuen Kollektivvertrag. Sie sei müde und ausgelaugt, sagt Verita zu MOMENT.at. Sie arbeitet in der Verwaltung des Krankenhauses. Jetzt hält sie hier das Transparent hoch. „Die Arbeitsbelastung ist seit Jahren sehr hoch.“ Und das nicht nur wegen Corona. „Es fehlt Personal. Die Arbeitspläne sind kaum zu schaffen“, sagt sie.

Warnstreik in Ordensspitälern, weil Gespräche auf Eis liegen

Von den Verhandlungen um höhere Gehälter spüre sie nichts. Das ist kein Wunder: Die Vertreter:innen der Belegschaft verhandeln seit Wochen mit den Ordensspitälern um bessere Bezahlung. Vor 13 Tagen redeten beide Seiten zuletzt miteinander. „Danach wurden nur noch Briefe geschickt“, sagt ein Gewerkschaftsmann zu MOMENT.at. Es herrscht offenbar Eiszeit. Was die Gegenseite bisher anbietet, das sei „völlig unzureichend. Das kann man nicht annehmen“, sagt er. Durchgerechnet würde eine Krankenpflegerin im 10. Dienstjahr nur 53 Euro mehr Gehalt bekommen.

 
Warnstreik im Ordensspital Göttlicher Heiland in Wien. Beschäftigte hängen Transparent von Balkon.

Warnstreik im Ordensspital Göttlicher Heiland Wien: In Schutzkleidung hängten Beschäftigte ein Transparent vom Balkon. // Foto: A. Bachmann

Vor dem Streik sei Druck auf die Belegschaft ausgeübt worden, nicht teilzunehmen. „Wir müssen sogar darum kämpfen, dass die Leute für die Betriebsversammlung frei bekommen“, sagt er. Die letzte Eskalationsstufe wurde am Tag vor dem Streik gezündet. Da sei ein Brief am Schreibtisch von ÖGB-Chef Wolfgang Katzian gelandet. Darin hätten ihn die Ordensspitäler gebeten oder vielmehr aufgefordert, den Streik kurz vor knapp abzusagen und die Beschäftigten zurückzupfeifen.

Auf Fragen von MOMENT.at dazu, antwortete Ordensspital-Sprecher Manfred Greher zunächst nicht. Tags darauf bestätigten die Ordensspitäler, einen solchen Brief versendet zu haben. „Darin wurde darum gebeten, von einer Streikfreigabe abzusehen.“

Diese etwas seltsame Bitte hatte jedenfalls keinen Erfolg. Rund 90 Prozent der Belegschaft sprachen sich dafür aus, an diesem Tag zu streiken: Ab halb acht an diesem Morgen versammelten sich die Mitarbeiter:innen in einem Saal im Krankenhaus. Danach ging es geschlossen vor die Tür. „Wir wollen mehr Geld!“, skandierten die Mitarbeiter:innen und klatschten rhythmisch. Ein Arzt der Neurologie sagt im Gespräch: „Wir wollen nicht nur ein Dankeschön, wir wollen Zeichen setzen und wir wollen nicht so behandelt werden.“

Streik? In Krankenhäusern galt das als ausgeschlossen

Streiks im Gesundheitswesen? Das galt bisher als fast ausgeschlossen. Anders als in einer Autofabrik können die Mitarbeiter:innen hier nicht einfach die Bänder anhalten. Die Patient:innen müssen rund um die Uhr versorgt werden, bei Notfällen muss immer jemand da sein. Die sieben Ordensspitäler in Wien stemmen ein Viertel der stationären Versorgung von Patient:innen. Insgesamt werden von ihnen rund 205.000 Menschen im Jahr ambulant, stationär oder in der Tagesklinik betreut. Die Beschäftigten können und wollen sie nicht im Stich lassen.

„Menschen im Gesundheitswesen haben einen besonderen Arbeitsethos“, sagt Gerald Mjka, Leiter des Fachbereichs Gesundheit bei der Gewerkschaft vida, zu MOMENT.at. „Sie sind sehr leidensfähig. Wenn sogar sie streiken, dann weiß man, was los ist.“ Er berichtet von enormer Zustimmung zum Warnstreik. „Sogar die Leute, die jetzt den Notbetrieb leisten, wollten mitmachen“, sagt er. Das ging aber nicht, denn ganz oben steht: Die Patient:innen sollen durch den Arbeitskampf nicht gefährdet werden. „Das haben sie eingesehen. Einige von ihnen haben sich aber die Streik-Warnwesten angezogen, während sie arbeiten.“

Der Hut brennt im Gesundheitswesen. Dazu wird alles teurer. Menschen mit niedrigeren Einkommen leiden besonders darunter. Deshalb will die Gewerkschaft einen Mindestlohn von 2.000 Euro. Deshalb auch die Forderung nach pauschal 500 Euro mehr Gehalt. Denn das kommt vor allem weniger gut verdienenden Beschäftigten zugute. Um bis zu 17 Prozent würden ihre Gehälter steigen. Mitarbeiter:innen, die besser verdienen, bekämen hingegen prozentual nicht so viel mehr Lohn. Weil viele die Teuerung schon jetzt im Geldbörserl spüren, wurden die Gehaltsverhandlungen beim Kollektivvertrag der Ordensspitäler vorgezogen. Eigentlich sollte erst im Februar darüber gesprochen werden.

Ordensspitäler bestreiten, Druck gemacht zu haben

Die Ordensspitäler sagen deshalb, ihnen seien die Hände gebunden. Für große Gehaltserhöhungen gäbe es keinen Spielraum. Die Spitäler werden von Ordensgemeinschaften und Stiftungen getragen. Sie erwirtschaften keine Gewinne, sind vielmehr abhängig von Steuergeld, etwa von der Stadt Wien. Wie viel Geld sie von dort bekommen „ergibt sich aus den parallel stattfindenden Finanzierungsgesprächen mit der Stadt Wien. Wir können diesen nicht vorgreifen“, ließ Ordensspital-Sprecher Greher vorher wissen.

Wiens Stadtrat für Gesundheit schob am Mittwoch die Verantwortung für bessere Bedingungen in den Spitälern mehr oder weniger von sich: Nicht nur die Länder, auch der Bund, die Ärztekammer und Sozialversicherungen seien gefordert. „Es braucht mehr Geld im System, dafür braucht es eine gemeinsame Lösung“, sagte er im Ö1-Morgenjournal. Die Ordensspitäler hielten die Streiks für „nicht verhältnismäßig“, so Greher. Sie taten offenbar bis zuletzt viel, um sie zu verhindern – mit dem Brief an ÖGB-Chef Katzian, die Streikfreigabe zurückzuziehen, als Höhepunkt.

„Das war ein hilfloser Versuch“, sagt vida-Mann Mjka. „Sie steckten viel mehr Energie hinein, die Streiks zu bekämpfen, anstatt die Situation in den Spitälern zu verbessern.“ Ordensspital-Sprecher Greher bestreitet am Tag nach dem Streik, sie hätten Druck auf die Mitarbeiter:innen gemacht, nicht teilzunehmen. „Von den Arbeitgebern ist den Wiener Ordensspitälern nichts Derartiges bekannt. Ganz im Gegenteil“, sagt Greher. Die Spitäler „haben mit ihren „Mitarbeiter*innen permanent einen guten Austausch“. Nachdem die Beschäftigten bei nasskaltem Wetter vor die Tür des Spitals traten, um mit Nachdruck mehr Gehalt zu fordern, ging es zurück ins Gebäude. Um 11 Uhr nahmen sie ihre Arbeit für die Gesundheit ihrer Patient:innen wieder auf.

Update 24.11.: Der Artikel wurde um Aussagen der Ordensspitäler ergänzt.

 

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