Was Rechtsextreme und Islamisten gemeinsam haben
Auf Aufruf einer radikalen Gruppierung haben etwa 1.000 Islamist:innen in Deutschland kürzlich demonstriert – dabei wurde auch nach einem Kalifat gerufen. Die beunruhigenden Bilder der Demo gehen gerade durch die Medien.
Die extreme Rechte jubelt, schließlich behauptet sie, sie hätte ja als einzige immer schon davor gewarnt. Es bestätige all ihre Thesen. Das stimmt natürlich nicht. Im Gegenteil: Die beiden Ideologien haben überraschend viele Gemeinsamkeiten.
Die Ehre des Mannes ist das Recht
Ideologisch eint sie, dass sie ein Wertesystem vertreten, das auf Ehre beruht. Die Ehre des Individuums, des Mannes, der Gemeinschaft steht als absoluter Wert über allem. Der große gesellschaftliche Fortschritt der Demokratie ist, dass wir allgemeingültige Normen haben, die auf universellen Werten (die sich in Menschenrechten ausdrücken) aufbauen – und nicht auf individueller Ehre.
Wer hingegen eine Ehrverletzung gegen die Vorstellung von rechten und religiösen Extremist:innen begeht, muss ausgeschlossen und bestraft werden. Die Verstöße müssen nicht unbedingt ein gesetzliches Recht brechen, um eine Strafe wert zu sein – sondern eine gesellschaftliche Moral.
Wer darf wen heiraten? Wer darf mit wem Kinder bekommen? Wie dürfen Frauen generell über ihr Leben bestimmen? Verbindungen außerhalb der eigenen Gemeinschaft werden z.B. als Verstoß gegen diese Normen gesehen. Diese Normen werden oft, wenig überraschend, auf Frauenkörpern ausgetragen. Frauen sind dazu da, möglichst viele “reine” Babies zu bekommen. (So nebenbei bemerkt haben Kinder hier auch keinen eigenen Wert, sondern sind Mittel zu Zweck.)
Rechtsextreme und Islamisten gegen den modernen Firlefanz
Die zweite Gemeinsamkeit ist die Ablehnung der (Post)Moderne mit all ihren Unwegsamkeiten und Vereinzelungen. Der Wunsch ist eine traditionelle, vermeintlich “einfache” Form der Gemeinschaft mit klar vergebenen Rollen. Dieser „Traditionalismus“ ist im modernen Rechtsextremismus die bestimmende Strömung geworden. Sie bewundern mitunter sogar traditionalistische Gesellschaften, die modernen Firlefanz – etwa den Feminismus – abgelegt oder nie zugelassen haben. Dazu zählen sie Russland, Ungarn, aber auch Indien oder arabische Staaten. Viele sehen auch in Ländern wie dem Iran einen potenziellen Verbündeten.
Dahinter steckt ein anti-universalistisches Weltbild – Menschen sind darin nicht überall gleich und gleich viel wert. Jedes “Volk” soll nach seinen eigenen, starren Konventionen leben, niemand sonst hat sich irgendwie einzumischen und sich nichts zu ändern. Im Endeffekt wird so den Herrschenden das Wort geredet und Fortschritt verhindert. Die vielen Demokratiebewegungen in diesen Ländern werden zum Beispiel nicht als Ausdruck der dortigen Kultur und Gesellschaft, sondern als westlicher Störfaktor dargestellt. Frauenunterdrückung und Diktatur werden so zu einer unverzichtbaren Komponente. Dabei sind sie natürlich selbst das Ergebnis politischer Kämpfe, historischer Verläufe und internen Auseinandersetzungen.
Die rasante Radikalisierung
Drittens gibt es soziologische Gemeinsamkeiten in der Zusammensetzung der Gruppen. Nach wie vor bestehen diese Gruppen (innerhalb demokratischer Staaten) vor allem aus jungen Männern. Viele haben sich oft rasend schnell über Soziale Medien radikalisiert. Der Islamismus-Experte Kenan Güngor nennt es “Turbo-Radikalisierung”. Das können wir genau so auch im Bereich Rechtsextremismus beobachten.
Staatliche Institutionen hinken oft hinterher, weil die Radikalisierung die Grenzen des Staates überschreitet. Es ist egal, ob man sich die Inspiration und die Versatzstücke fürs eigene Weltbild aus Österreich, Russland, Qatar oder den USA holt. Diese Grenzen gibt es online nicht.
„Notwehr“ als Rechtfertigung für Gewalt
Viertens sind es Weltbilder, die auf Krieg und Gewalt basieren. Es gibt eine Faszination mit Untergang und Apokalypse und so schwingt man sich deswegen zum eigenen Heldentum auf. Es sind Weltbilder, die einen über andere erheben und so dem eigenen Leben einen übergeordneten Sinn geben. Das ist besonders für Leute faszinierend, die noch in einer Findungsphase sind oder die (das Gefühl haben, dass sie) keinen Platz in der Gesellschaft haben.
In jedem Fall wird Gewalt als legitimes Mittel gesehen, um seine Interessen durchzusetzen. Beide Seiten rechtfertigen das, weil sie sich in einer Notwehr-Situation sehen. Die Anderen sind oder werden mehr. Wenn man die eigene Existenz behaupten möchte, darf man da nicht zimperlich sein.
Da nützen die beiden extremistischen Gruppen einander auch. Die extreme Rechte verbreitet eine feindliche Stimmung gegen den Islam, die dem extremen Islamismus eine Bedrohung liefert, die er für die Rekrutierung von Nachwuchs nutzen kann (die deutsche Demo richtete sich vordergründig gegen eine „islamfeindliche Stimmung“). Und das wiederum dient dem Rechtsextremismus als eine Bedrohung, gegen die er mobil machen kann.
Was Rechtsextremismus und Islamismus unterscheidet
Es gibt aber auch einige trennende Momente. Die Stellung in der Gesellschaft ist eine andere. Islamistische Strömungen sind bei uns nicht ins formale politische System integriert. Sie sind nicht im Parlament, können nicht auf die Unterstützung gesellschaftlicher Eliten zählen. Ihre Thesen werden nicht als bedenkenswert offen diskutiert und es ist auch kein gutes Geschäftsmodell, möglichst krasse Bücher mit immer schrilleren These dazu zu verfassen. Sehr wohl sind diese Vereine untereinander, europaweit und international gut vernetzt und bekommen auch Finanzierung. Die gesellschaftliche Verankerung ist aber eine andere.
Religiöse Weltbilder sind in ihrem Wesen auch per se anders als völkische Weltbilder. Es ist einfacher, einer religiösen Gruppe beizutreten und ihrem Weltbild zu entsprechen als einem völkischen. Zu einem völkischen Weltbild gehören viele Menschen von Geburt an aus biologistischen Gründen nicht dazu. Egal was du machst oder glaubst. Das kann an Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, aber auch an Krankheiten oder Behinderung liegen.
All das ist natürlich keine vollständige Aufzählung. Aber es zeigt, dass die Gefahr für eine demokratische, solidarische Gesellschaft von vielen Seiten kommt, die einander gar nicht so unähnlich sind.