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Gesundheit

Analyse zum Welthurentag: Wie geht es Sexarbeiter:innen in Österreich?

Sexarbeit ist in Österreich legal. Aber durch ein undurchsichtiges Prostitutionsgesetz geregelt. Gesellschaftlich akzeptiert ist Sexarbeit hierzulande noch lange nicht. Die Betroffenen selbst haben in der öffentlichen Debatte sowie in der Gesetzgebung keinen Platz. Zum Welthurentag haben wir gefragt: Geht das auch besser?
*Sexarbeit ist nicht auf Frauen beschränkt. Es gibt auch queere Sexarbeiter:innen und Männer, die Sexdienstleistungen anbieten. Wenn im Text nur die weibliche Form verwendet wird, geht es in diesem speziellen Statement oder in dieser Situation um DIE Sexarbeiterin und DEN Kunden.

In der Debatte um die Sexarbeit gibt es unterschiedlichste Positionen und Meinungen. Sichtweisen auf Sexarbeit folgen aber nicht immer rational der Praxis und den Entwicklungen der Situation. Oft sind sie vom eigenen Weltbild, sowie von Vorstellungen von Moral und Sexualität geprägt. Die Debatte definieren politische, rechtliche, gesellschaftliche und oft auch religiöse Argumente. Grundsätzlich lassen sich daraus zwei entgegengesetzte Positionen erkennen.

Ein Lager will den Sexkauf komplett verbieten. Sexarbeit wird unter dieser Position mit Menschenhandel gleichgesetzt. Prostitution wird als bezahlte Vergewaltigung betrachtet. Von dieser Perspektive aus sind Kund:innen Täter:innen, die für den Sexkauf bestraft werden sollen. Die andere Position ist die Legalisierung der Sexarbeit mit möglichst wenig Einschränkung durchs Gesetz. Auch innerhalb Europas wird das unterschiedlich geregelt.

Sexarbeit: Das nordische Modell

Vor allem Schweden ist dafür bekannt, die Sexarbeit mit diesem Modell zu regeln. Bereits 1999 wurden die rechtlichen Grundlagen geschaffen, um den Sexkauf illegal zu machen und Freier zu bestrafen. Diesem Modell sind zahlreiche europäische Länder gefolgt. Doch wissenschaftlich belegen lässt sich der Erfolg des Modells nicht. Weder die Abschreckung der Kundschaft, noch ein geringeres Angebot lassen sich statistisch beweisen. Im Gegenteil: 96 Prozent der Befragten einer Studie gaben an, sich durch das nordische Modell unsicherer und eher ausgebeutet zu fühlen.

Das hat unterschiedliche Gründe. Durch die Illegalisierung entsteht eine größere Abhängigkeit von Dritten, wie zum Beispiel von Vermieter:innen. Da keine Wohnungen mehr an Sexarbeiter:innen vermietet werden dürfen, können sie nur mehr an prekären Orten arbeiten. Das kann zu Obdachlosigkeit und Existenzängsten führen.

„Sexarbeitende brauchen keine Kriminalisierung ihrer Kund:innen, sie brauchen eine Wohnung, sie brauchen Schutz, sie brauchen die Dinge, die wir alle brauchen“, sagt Linda Kavanagh von Sexwork Alliance of Ireland.

Außerdem bedeutet das Verbot der Sexarbeit eine schlechtere Gesundheitsvorsorge für die Betroffenen. Auch das Gewaltrisiko für Sexarbeitende vergrößert sich durch ein Verbot. Sexarbeitende sind dann nämlich oft gezwungen, gefährliche Kunden anzunehmen. Um genug Geld verdienen zu können.

2015 wurde das Sexkauf-Verbot nach dem schwedischen Vorbild auch in Irland eingeführt. Drei Jahre später wurde das Modell evaluiert. Das Ergebnis: Angebot und Nachfrage sexueller Dienstleistungen sind nicht weniger geworden. Auch hier berichten Sexdienstleisterinnen, nun von noch mehr Diskriminierung und Marginalisierung betroffen zu sein. Der Umgang mit ihnen sei noch respektloser und belästigender geworden. Weniger Menschenhandel konnte durch die Einführung des Sexkaufverbots auch nicht erzielt werden.

Ein Sexverbot nach dem nordischen Modell rückt die Frauen erst recht wieder ins Dunkelfeld. Wenn die Dienstleistungen in der Illegalität angeboten werden, ist es für die Polizei besonders schwer zu ermitteln. Was also theoretisch nach einem Gesetz klingt, das die Frauen schützt, erschwert in Wirklichkeit ihre Arbeit.

Aber wie stattdessen?

„Anstatt die Sexarbeit zu kriminalisieren, müsste man sie komplett entkriminalisieren. Die Gesetze sind nur dazu da, um die Gesellschaft vor Sexarbeiterinnen zu schützen und nicht die Sexarbeiterinnen selbst“, sagt Christine Nagl zum Thema.

Christine ist Sozialarbeiterin und setzt sich seit Jahrzehnten für die Rechte von Sexarbeiterinnen in Österreich ein. In Salzburg hat sie PiA mitgegründet – die erste Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen landesweit. Danach die Beratungsstelle iBUS in Tirol.

Die Frauen kommen mit den unterschiedlichsten Anliegen zu ihr. Zum Beispiel, um sich bezüglich der Steuerabgaben zu informieren. Oder mit Fragen zu rechtlichen Bestimmungen. Christine besucht die Sexarbeiterinnen auch regelmäßig in den Laufhäusern. Sie nimmt uns auf einen dieser Besuche mit.

Das erste Ziel ist ein Laufhaus außerhalb des Stadtzentrums in Salzburg. Von außen deutet nichts am Haus darauf hin, dass hier Sex gegen Geld angeboten wird. Christine betritt das Haus, ohne anzuläuten. Als Erstes fallen die großen Fotos von quasi nackten Frauen an der Wand auf. Darunter stehen Namen. 

An der Rezeption empfängt uns eine junge Frau. Sie wirkt angestrengt. Sie klagt über das aktuelle Preisdumping und die komplizierten bürokratischen Hürden bei der Anmeldung und der Selbstversicherung von Sexarbeiterinnen. Währenddessen kommt ein junger Mann vorbei, schaut sich die Preislisten an den Zimmertüren an und geht wieder.

Dann kommt eine andere junge Frau zur Rezeption. Christine Nagl fragt nach dem Stand ihres Versicherungsprozesses. Sehr gut auszukennen scheint sich die Frau nicht, aber angemeldet ist sie anscheinend. „Bitte bring uns nächstes Mal wieder die guten Kondome“ wird Christine zum Abschied gebeten. Sie nickt und verabschiedet sich. Sie kennt die Namen der beiden Frauen. Die meisten Frauen kennt sie von ihren Besuchen persönlich.

„Das Problem ist, dass die Gesetze von Personen gemacht werden, die nicht im Thema drinnen sind. Nie werden Betroffene herangezogen. Frauen, die die Praxis kennen. Wie realitätsfremd ist das?“ erklärt Christine Nagl im Anschluss an den Besuch.

Mit ihrer Arbeit versucht Christine Nagl auszugleichen, was die Politik versäumt. Sie kümmert sich um die Ängste und Anliegen der Sexarbeiterinnen. Die Frauen selbst haben in ihrer Arbeit Priorität.

An diesem Tag besuchen wir noch ein Laufhaus. Das Stiegenhaus ist weitläufig, mit roten Teppichen, die ihre besten Zeiten hinter sich haben. Auch hier kennt sie viele der Frauen. In der Bar treffen wir Gerhard* (Namen von der Redaktion geändert). Gerhard ist Betreiber des Laufhauses. Ihm bezahlen die Frauen wöchentlich Miete, den Rest ihrer Einkünfte können sie behalten. Ca. 1.000 Euro kostet die Miete für eine Woche. In Salzburg sind die Frauen von einem Betreiber (in der Regel ein Mann) abhängig. Selbstständige Haus- oder Hotelbesuche sind nicht erlaubt.

Gerhard erzählt von weniger Kundschaft, weil die Leute immer weniger Geld zur Verfügung haben. Dann besuchen wir eine Frau in ihrem Zimmer im zweiten Stock. Sie ist um die 50 und aus München. Sie bittet uns herein, bietet uns Cola an. Dann erzählt Maria* (Name von der Redaktion geändert) von ihrem Leben. Sie ist schon jahrelang im Geschäft. Zur Arbeit gezwungen wurde sie nie. Das gilt aber natürlich nicht für alle Frauen in der Branche. Sie erzählt von verheirateten Kunden und von denen, die sonst vereinsamen. Wenn man Maria zuhört, vergisst man beinahe, über welch prekäres Arbeitsfeld wir sprechen. Dann erzählt sie aber auch von den jungen Frauen: “Die sind hier aus Liebe.” Aus Liebe zu einem Mann, von dem sie dann oft ausgebeutet werden. In einem System, in dem sie nur wenig Informationen oder Unterstützung bekommen. 

In der Branche läuft einiges grundlegend falsch. Zum Beispiel, dass die Frauen nur abhängig von einem Betreiber arbeiten dürfen. Und dass viele der Frauen sich in schwierigen Abhängigkeitsverhältnissen befinden. Die Sexarbeit gesetzlich zu verbieten, würde aber weder Maria noch den anderen Frauen helfen. 

Rechtliche Lage in Österreich 

Bundesweit gilt, dass sich Sexarbeiter:innen anmelden, krankenversichern und Steuern zahlen müssen. Außerdem müssen sie sich alle sechs Wochen untersuchen lassen. Das Mindestalter ist 18 (Tirol, Vorarlberg, Salzburg, Oberösterreich, Wien) beziehungsweise 19 (Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Steiermark) Jahre. Die rechtlichen Regelungen sind aber in jedem Bundesland anders. Alleine diese Tatsache macht die Rechte und Pflichten der Sexarbeitenden undurchsichtiger. Klares Ziel wäre, laut Christine Nagl, Prostitutionsgesetze ganz abzuschaffen.

Wie könnte es besser funktionieren?

Ein Gegenmodell zum nordischen Modell wurde in Neuseeland 2003 eingeführt. Sexarbeit wurde hier komplett legalisiert, ein weltweit einzigartiges Modell wurde geschaffen. Für Sexarbeiter:innen gelten dieselben Arbeits-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards wie für andere Berufsgruppen.

Das Anbieten von sexuellen Diensten wurde sowohl in Bordellen als auch auf der Straße erlaubt. Der Gesetzesentwurf dazu sollte vor allem den Bedürfnissen den Sexarbeitenden gerecht werden. Dadurch wurde die Sexarbeit für die Frauen nicht nur sicherer, sondern auch gesellschaftlich anerkannter. 

Durch die Entkriminalisierung und die gesellschaftliche Legitimation hat sich vor allem auch das Verhältnis zwischen der Polizei und den Sexarbeiter:innen verbessert. Das zeigt eine Studie, die in Neuseeland nach der Einführung des Gesetzes durchgeführt wurde. Die Arbeiter:innen fühlen sich sicherer und melden der Polizei eher Gewaltvorfälle, wenn ihnen diese widerfahren.

Ein wesentlicher Vorteil der vollständigen Legalisierung: die Sexarbeitenden können sich ihre Kund:innen aussuchen. Eventuell gefährliche Kundschaft kann abgelehnt werden. Dass die Frauen das Gesetz auf ihrer Seite haben, macht sie selbstbewusster in den Verhandlungen mit den Kunden.

Sexarbeiterinnen haben in Neuseeland mehr Vertrauen, Gewaltvorfälle bei der Polizei anzuzeigen. Das passiert natürlich längst nicht bei allen Vorfällen, aber die Tendenz geht in die richtige Richtung. 

“Die komplette Entkriminalisierung ist anzustreben und es ist sehr wichtig, dass das durchgesetzt wird. Dank Entkriminalisierung können wir offen arbeiten, uns vor Polizeigewalt schützen und sogar Hilfe von der Polizei suchen, wenn wir sie brauchen. Es gibt Fälle, in denen Sexarbeitende Kunden geklagt haben, weil sie gegen die Bedingungen ihrer Dienstleistungen verstoßen haben.”

Amnesty International und die Weltgesundheitsorganisation befürworten diesen Umgang mit Sexarbeit und Sexarbeitenden. Modellstudien zeigen, dass die Entkriminalisierung der Sexarbeit innerhalb von 10 Jahren zu einem Rückgang der HIV-Neuinfektionen bei Sexarbeitern um 46 % führen könnte, erklärt die WHO.

Weltweit fordern Sexarbeitende Entkriminalisierung. Sie sehen es als das bestmögliche Modell. Entkriminalisierung ermöglicht Sexarbeitenden, über ihren eigenen Beruf zu entscheiden und das Rechtssystem zu ihrem Vorteil zu nutzen. Menschenhandel, Missbrauch und Vergewaltigung bleiben dabei natürlich weiterhin strafbar.

Sinnvolle Politik für Frauen nötig

Sexarbeit ist von Prostitution, die unter Zwang und Kriminalität passiert, klar zu differenzieren. Sexarbeit wird oft mit Menschenhandel und Kriminalität gleichgesetzt. Es gibt aber die unterschiedlichsten Gründe, die Menschen in diesen Job bringen. 

Um Gesetze einzuführen, die tatsächlich die Situation der Sexarbeitenden verbessern, müssen die Betroffenen in den Aushandlungsprozess miteinbezogen werden. Eine Diskussion über Sexarbeiter:innen kann nicht ohne diese stattfinden. Gefühle, Moralvorstellungen und persönliche Meinungen von Außenstehenden haben in der Debatte nichts verloren. Zumindest nicht, wenn es eine Sinnvolle sein soll. 

Sexarbeit gesetzlich zu verbieten, verbessert die Situation für die betroffenen Frauen erwiesenermaßen nicht. Das neuseeländische Model der völligen Entkriminalisierung löst die Probleme und die Prekarität des Feldes ebenfalls nicht. Es löst auch nicht die Armut, die viele Menschen dazu bringt, Sexdienstleistungen anzubieten.

Aber dieses Modell macht die Arbeit der Frauen am sichersten. Es trägt dazu bei, die Arbeitenden gegen die vielen Gefahren ihrer Arbeit zu schützen und Stigma sowie Diskriminierung zu verringern. 

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