Wer ist Giorgia Meloni und was hat sie mit Italien vor?
Zeitenwende und Rechtsruck in Italien oder alles fast wie gehabt? Giorgia Meloni und ihre postfaschistischen Fratelli d’Italia haben die Parlamentswahlen in Italien gewonnen. Meloni und ihre Partei konnten mehr als ein Viertel aller Wähler:innen hinter sich bringen.
Mit Matteo Salvinis Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia hat sie ein Wahlbündnis geschmiedet. Laut vorläufigem Wahlergebnis kommen sie gemeinsam auf rund 44 Prozent der Stimmen in Roms Abgeordnetenkammer. Das reicht dem sogenannten Mitte-Rechts-Block, der in Wahrheit ein Rechts-Rechts-Block ist, für die Regierungsmehrheit.
In wenigen Wochen könnte Italien nicht nur zum ersten Mal von einer Frau regiert werden. Das Land würde von einer Partei geführt, die als „ideologische Erbin der Mussolini-Faschisten“ gilt. Schon äußerlich: Die in dieser Form erst 2012 gegründete Partei trägt eine Flamme in Italiens Nationalfarben im Logo.
Sie soll den weiter lodernden Geist Benito Mussolinis symbolisieren und war schon ab 1946 Kennzeichen der Movimento Sociale Italiano (MSI), einem Sammelbecken ehemaliger Mitsteriter:innen des faschistischen Diktators. Dieser neofaschistische MSI war erste politische Station von Giorgia Meloni. Mit 15 Jahren trat die 1977 geborene Römerin deren Jugendfront bei.
Bei deren Nachfolgepartei Alleanza Nazionale (AN) leitete Meloni ab 2004 die Jugendorganisation. Im Jahr 2006 wurde Meloni in die Abgeordnetenkammer des Parlaments gewählt. Und 2008 machte der damalige Premierminister Silvio Berlusconi sie zur Jugendministerin. Meloni begründete vor zehn Jahren die Fratelli d’Italia mit.
Die Partei ist faktisch die Nachfolgerin der 2009 aufgelösten AN. Meloni behielt als Parteichefin das Flammenlogo stets bei. Sie bestand darauf, dass die Fratelli d’Italia ihren Hauptsitz in Roms Villa della Scorfa 39 aufschlagen – dort, wo vorher schon MSI und AN quartierten.
Wie steht Giorgia Meloni zum Faschismus?
Meloni distanzierte sich nie von Faschismus des Benito Mussolini. Sie verharmlost Italiens Geschichte lieber. Man müsse „den Faschismus im Kontext seiner Zeit beurteilen“, sagte sie. Und Mussolini sei eben „eine komplexe Persönlichkeit“ gewesen.
Es gibt einen Interviewausschnitt mit Meloni aus dem Jahr 1996. Darin lobt die damals 19-jährige den Diktator gegenüber einem französisischem Fernsehsender. „Mussolini war ein guter Politiker. Alles, was er getan hat, hat er für Italien getan. Anders als all die anderen Politiker der letzten 50 Jahre“, sagt sie.
Einige Jahre später antwortete sie auf die Frage, ob denn nun sie oder Matteo Salvini weiter rechts stünde: „Ich bin die Rechte, ich bin schon rechts geboren.“ Viele Italiener:innen teilen möglicherweise Melonis Ansichten und Aussagen. Ihren Weg zum Wahlsieg verhinderten sie jedenfalls nicht.
Viele Kommentator:innen sehen Italien aber nicht auf dem Weg nach ganz Rechtsaußen. Der rasante Aufstieg von Meloni sei Ausdruck des Protests gegen die alte Regierung. Der gehörten die Fratelli d’Italia als einzige der Parlamentsparteien nicht an.
Und was Meloni an Stimmen gewann, das habe sie sich vor allem von Matteo Salvinis rechter Lega geholt. Die Partei des früheren Innenministers stürzte ab. Unterm Strich sei das rechte Lager genauso stark wie vorher. Die neue italienische Regierung werde kaum Spielraum haben, eine EU-feindliche Politik à la Viktor Orbán zu machen.
„Da kommen Milliarden aus Brüssel. Man wird nicht so dumm sein, die zu vergeigen“, sagte Ö1-Korrespondetin Cornelia Vospernik in einer ersten Einschätzung. „Sie wird die Politik machen müssen, die zu tun ist.“ Die Italiener:innen hätten Meloni „nicht deshalb gewählt, weil sie Wahlkampf mit Faschismus gemacht hat“.
Aber ist das eine beschwichtigende Hoffnung oder stimmt das? Tatsächlich bemühte sich die 45-Jährige im Wahlkampf, gemäßigt aufzutreten. Intern habe sie aber schon vergangenen Herbst ihre Partei angewiesen, extreme Aussagen sein zu lassen, berichtete die Deutsche Welle. Die „Brüder Italiens“ sollten sich demnach nicht auf den Faschismus beziehen und den „römischen Gruß“ unterlassen.
Die Italien-Ausgabe von Vice listet zahlreiche „Einzelfälle“ auf, in denen das bis zuletzt nicht gelang. Öffentlich beteuerte Meloni, in der Fratelli d’Italia gebe es „keinen Platz für faschismusnostalgische Haltungen, für Hypothesenen von Rassismus und Antisemitismus, die Lichtjahre von unserer DNA entfernt sind“.
Von einem EU-Austritt ist schon lange nicht mehr die Rede. Meloni und ihr rechtes Wahlbündnis von Berlusconi und Salvini betonen, solidarisch mit der Ukraine zu sein im Kampf gegen Russland. In den Tagen vor der Wahl beobachteten Medien allerdings eine Giorgia Meloni, die in Reden wieder härter gegen die EU austeilt.
Die sei unfähig und wolle das Leben der Europäer:innen ins Kleinste kontrollieren. Einwanderung wolle Meloni stoppen. Für die rechte Spitzenkandidatin ist die heterosexuelle Familie die einzig akzeptable. Die Ehe für alle lehnt sie ab und das Recht auf Abtreibung möchte sie einschränken. Meloni zeigte auch Schwäche für Verschwörungserzählungen, nach denen nicht näher benannte Eliten zu verantworten hätten, was in Italien alles schieflaufe.
Viele haben Meloni wohl unterschätzt
„Das stolze Italien fürchtet sich nicht. Das stolze Italien ist bereit“, sagte sie zuletzt. Und: Die Zeit sei gekommen, dass sie ihre Köpfe nicht mehr einzuziehen bräuchten, rief sie Anhänger:innen zu. Sie könnten nun offen zu ihren Meinungen stehen.
Von der Splitterpartei mit nur 4,3 Prozent der Stimmen im Jahr 2018 führte Meloni die Fratelli d’Italia zur stärksten Kraft. Sie selbst ist nun die logische Kandidatin fürs Amt der Premierministerin. Dass die gelernte Fremdsprachensekretärin es so weit brachte, „liegt an all denen, die sie schönfärben“, sagte die spanische Journalistin Alba Sidera der Deutschen Welle.
Etwa indem Medien sie und ihr Wahlbündnis fälschlicherweise immer wieder als Mitte-Rechts bezeichnen. Berlusconi, der Meloni erstmals an die Macht brachte, habe sie ebenso unterschätzt und in der Folge legitimiert wie die linken Parteien. „Meloni ist nicht aus dem Nichts aufgetaucht. Seit Jahren bereitet sie sich darauf vor, Premierministerin zu werden“, so Journalistin Sidera. Sie befasst schon lange mit Italiens Rechten und hat darüber ein Buch geschrieben.
„Unsere Reise hat erst begonnen“, sagte Giorgio Meloni in der Nacht auf Montag, als klar war, dass das von ihr angeführte Wahlbündnis stark genug werden würde, die neue Regierung zu bilden.