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Demokratie

Sieger der Stichwahl in Brasilien: Wer ist Lula da Silva?

Sieger der Stichwahl in Brasilien: Wer ist Lula da Silva?

Brasilien hat einen neuen Präsidenten gewählt: Zwischen Brasilien hat einen neuen Präsidenten gewählt: Bei der Stichwahl am 30. Oktober setzte sich Herausforderer Lula da Silva gegen Amtsinhaber Jair Bolsonaro durch. Das Duell galt als Schicksalswahl. Das größte Land Lateinamerikas ist politisch tief gespalten zwischen dem extrem rechten Bolsonaro und dem Linken Lula. Die letzten Wochen des Wahlkampfs verkamen zur Schlammschlacht zwischen beiden Lagern. Ein Bolsonaro-Anhänger und Ex-Parlamentarier eröffnete sogar das Feuer auf Polizisten. Wohin Brasilien steuert, nachdem Luiz Inácio Lula da Silva, wie er mit vollem Namen heißt, die Wahl gewonnen hat und warum die Wahl für die ganze Welt wichtig ist.Jair Bolsonaro und Ex-Präsident Lula da Silva ging es auch um die Zukunft der Demokratie. Wer ist Luiz Inácio Lula da Silva und warum ist die Wahl so wichtig? 

Wer ist Luiz Inácio Lula da Silva?

Der 1945 geborene Lula stammt aus dem Nordosten des Landes und wuchs in armen Verhältnissen auf. Sein Vater verließ die Familie früh und brach den Kontakt ab. Von 1952 an lebte Lula, den Spitznamen gab ihm seine Mutter, in der Nähe von Sao Paulo. Weil das Geld fehlte, verließ Lula bereits im Alter von 12 Jahren die Schule. Er arbeitete unter anderem als Schuhputzer und in einer Wäscherei – auch, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Später machte er eine Ausbildung zum Metallfacharbeiter und bildete sich an einer Privatschule weiter. Im Jahr 1969 heiratete er Maria de Lourdes. Zwei Jahre später starb sie, während sie mit dem ersten gemeinsamen Sohn schwanger war, an Hepatitis. Die Familie konnte sich eine lebensrettende Behandlung nicht leisten. Mit seiner zweiten Frau Marisa Leticia Rocco hat Lula fünf Kinder. Sie verstarb im Jahr 2017. Im Mai 2022 heiratete Lula da Silva die 21 Jahre jüngere Rosangela Silva.

Wie machte Lula politische Karriere?

Am politischen Parkett Brasiliens ist Lula wahrlich kein Unbekannter: Vom 1. Jänner 2003 bis zum 1. Jänner 2011 war er Präsident des Landes. Ausgangspunkt seiner politischen Karriere war der Kontakt mit der Gewerkschaftsbewegung ab Ende der 1960er Jahre. Im Jahr 1975 wählten ihn die Mitglieder der Metallarbeiter-Gewerkschaft zu ihrem Vorsitzenden. Während der Militärdiktatur beteiligte er sich an großen Streiks. Im Jahre 1980 wurde er von der Polizei verhaftet, kam erst nach 31 Tagen wieder frei. Im selben Jahr wurde Lula Mitgründer der Partido dos Trabalhadores PT, die “Partei der Arbeiter”. Im Jahr 1986 wurde er als Vertreter des Bundesstaates Sao Paulo in die Abgeordnetenkammer von Brasiliens Nationalkongress gewählt. Seit 1989 trat er bei jeder Präsidentschaftswahl an und gewann sie beim vierten Versuch im Jahr 2002 erstmals. In der Stichwahl setzte er sich gegen den Kandidaten der Sozialdemokraten durch.

Wofür steht Lula da Silva?

Die Sozialpolitik steht ganz oben auf der Agenda von Lula da Silva. In seiner ersten Amtszeit führte er ein Programm ein, das dem Hunger der armen Bevölkerung ein Ende setzen sollte. “Fome Zero”, zu deutsch: Null Hunger, gilt als Erfolgsprojekt. Gleichzeitig setzte er ein Sozialhilfeprogramm um. Es unterstützte ärmere Familien, deren Einkommen pro Mitglied unter rund 46 Euro lag, mit Geld, um sie über die Armutsschwelle zu bringen.

Gleichzeitig legte seine Regierung ein Programm für den Bau von Wohnungen und Häusern auf. Gleichstellung von Männer und Frauen, der Schutz des Regenwaldes und der indigenen Bevölkerung waren weitere wichtige Themen in Lulas erster Amtszeit. Unter seiner Präsidentschaft wuchs die Wirtschaft Brasiliens. Der Anteil der in Armut lebenden Menschen konnte halbiert werden und sank auf 20 Prozent. Weniger als 5 Prozent der Bevölkerung waren nicht ausreichend ernährt. Die Abholzung des Regenwaldes wurde zumindest reduziert.

Warum war Lula im Gefängnis?

Im Jahr 2015 begann die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bestechlichkeit gegen Lula zu ermitteln. Der Vorwurf: Er solle sich dafür eingesetzt haben, der Baufirma Odebrecht lukrative öffentliche Aufträge in anderen Ländern zu verschaffen. Dafür soll er Geld von Odebrecht erhalten haben. Der weltweit tätige Bauriese soll in dieser Zeit rund 230 Millionen US-Dollar ausgegeben haben, um zahlreiche Politiker zu bestechen. Im Juli 2017 wurde Lula wegen Korruption zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das Gericht befand ihn für schuldig, er habe Odebrecht Bauarbeiten an seinem Appartement im Volumen von 1,1 Millionen US-Dollar ausführen lassen. Dafür vermittelte er Geschäftskontakte.

Höhere Instanzen bestätigten das Urteil, die Haftstrafe wurde sogar auf 12 Jahre erhöht. Ab Juli 2018 saß Lula in Haft. Damit konnte er nicht zur Präsidentschaftswahl im selben Jahr antreten. Das Investigativmedium The Intercept enthüllte 2019, dass sich der damalige Richter Sérgio Moro mit der Staatsanwaltschaft für eine Verurteilung Lulas abgesprochen hatte. Ziel sei es gewesen, Lula daran zu hindern, bei den Wahlen 2018 anzutreten. Pikant: Moro war unter Präsident Bolsonaro von 2019 bis April 2020 Justizminister Brasiliens. Infolge der Enthüllungen wurde Lula am 7. November 2019 nach 580 Tagen aus der Haft entlassen. Im März 2021 hob der Oberste Gerichtshof alle Urteile gegen Lula da Silva auf. Das ermöglichte ihm, bei der diesjährigen Wahl erneut anzutreten.

Warum ist die Wahl in Brasilien so wichtig?

Brasilien ist das weitaus größte Land Südamerikas. Es macht fast 50 Prozent der Fläche des Kontinents aus. Knapp 215 Millionen Menschen leben hier. Brasilien beherbergt den größten Teil des südamerikanischen Amazonas-Regenwaldes. Der spielt im Kampf gegen die Klimakrise eine enorm wichtige Rolle. Doch sein Bestand ist massiv gefährdet und geht seit Jahrzehnten zurück. Durch Brandrodungen und Holzeinschlag schrumpft die für das Weltklima so wichtige “grüne Lunge” immer weiter. Präsident Jair Bolsonaro hat in seiner Amtszeit die weitere Abholzung des Regenwaldes befördert – trotz massiver internationaler Proteste.

 

Bliebe Bolsonaro im Amt, wird sich daran kaum etwas ändern. Wahlbeobachter fürchteten vor der Wahl, dass Bolsonaro die demokratischen Stützpfeiler weiter aushöhlen will, sollte er gewinnen. Vor allem auf die unabhängigen Gerichte machte er immer wieder Druck. Manche fürchteten gar das Ende der Demokratie. Die Armut im Land ist weiter groß, die Ungleichheit ist riesig. Während Bolsonaros Amtszeit stieg die Zahl der Menschen, die Hunger leiden. Die Corona-Pandemie kostete fast 700.000 Menschen das Leben, auch wegen der Untätigkeit der Regierung.

Was passiert nach Lulas Wahlsieg?

Lula da Silva gewann die Stichwahl gegen Jair Bolsonaro. Allerdings war sein Sieg knapper als erwartet. Für Lula stimmten 50,9 Prozent der Wählenden, Bolsonara kam auf 49,1 Prozent. Nur rund zwei Millionen Stimmen holte Lula mehr als der Amtsinhaber – und das bei 156 Millionen Wahlberechtigten. Schon vor der ersten Runde der Wahl drei Wochen zuvor lagen die Meinungsforscher:innen daneben: Bolsonaro holte deutlich mehr Stimmen, als ihm zugetraut wurde.

Bolsonaro beherrscht den Stimmenfang über soziale Medien, die in Brasilien exzessiv genutzt werden. Die ultrakonservativen evangelikalen Freikirchen stehen fest hinter Bolsonaro. Sie erhalten im größten katholischen Land der Welt immer mehr Zulauf – und damit Bolsonaro. Das Ergebnis zeigt auch, wie gespalten das Land ist. Was niemand weiß: Wie verhält sich Bolsonaro nach einer möglichen Niederlage am Sonntag? „Nur Gott holt mich aus diesem Amt“, hatte Bolsonaro zuletzt häufig gesagt.

Befürchtet wurde auch, dass enttäuschte Anhänger Bolsonaros zu Gewalt greifen. Zwei Tage nach der Wahl äußerte sich Bolsonaro erstmals zu seiner Niederlage. Er kündigte an, die Regierungsgeschäfte gemäß der Verfassung an seinen Nachfolger zu übergeben. Gleichzeitig lud er zum Protest gegen das Ergebnis ein: „Friedliche Demonstrationen sind dazu immer willkommen“, sagte er.

Luiz Inácio Lula da Silva steht eine heikle Präsidentschaft bevor. Ob er es schafft, die Spaltung des Landes zu überwinden? „Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren“, sagte Lula in seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg. „Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk.“

Hinweis: Der Artikel wurde erstmals am 28.10.2022 veröffentlicht und am 31.10. und 2.11.2022 mit aktuellen informationen zum Wahlergebnis ergänzt.

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