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Arbeitswelt

Wie arbeiten Fiaker? "Das geht Sie nichts an"

Fiaker fährt durch Wien.

Für die einen Tradition, für die anderen Tierquälerei: Zu Wiens Fiakern haben fast alle eine Meinung. Aber wer sind die Menschen, die die Kutschen lenken – und unter welchen Bedingungen arbeiten sie? Wir haben nachgefragt.

Für die einen Tradition, für die anderen Tierquälerei: Zu Wiens Fiakern haben fast alle eine Meinung. Aber wer sind die Menschen, die die Kutschen lenken – und unter welchen Bedingungen arbeiten sie? Wir haben nachgefragt.

Das Thermometer zeigt über 30 Grad Celsius, am Stephansplatz weht ein leichter Wind. Die Fiaker-FahrerInnen sind misstrauisch, als ich mich als Journalistin vorstelle. Kaum jemand will mit mir sprechen – die Damen und Herren wissen um ihr negatives Image Bescheid. Mit Anton (Name von der Redaktion geändert) finde ich aber trotzdem einen Willigen, der aus dem Nähkästchen plaudert.

„Wenn ich könnte, würde ich was anderes machen“

Während der Stunde, die ich am Stephansplatz verbringe, steigt eine einzige Familie in einen der unzähligen Pferdewagen. Der Rest bleibt leer. Corona ist schuld. Die Fiaker sitzen im Schatten des Stephansdoms.

„Manche machen die Arbeit richtig gerne, andere machen sie wegen des Geldes“, sagt Anton. Ob sie Taxis oder Kutschen fahren, ist vielen von ihnen egal. „Wenn ich könnte, würde ich was anderes machen“, sagt Anton. Er ist invalide und hat Schwierigkeiten damit, eine andere Arbeitsstelle zu finden.

Das ist doch blödsinnig: Die Pferde stehen in der Sonne, der Schattenplatz ist gesperrt.

Zwischen 11 und 22 Uhr darf Anton Gäste kutschieren, das ist von der Stadt Wien so festgelegt. Mit An- und Abfahrt vom und zum Stephansplatz kommt sein Arbeitstag auf etwa 12 Stunden. Jetzt ist das anders. „Es kommen ja keine Touristen“, sagt Anton. „Da hören wir manchmal schon um 18 Uhr auf.“

Die Arbeitszeiten werden stets aufgezeichnet – automatisch von Chips am Pferdegespann und händisch in Antons Fahrtenbuch. „Lügen ist nicht möglich“, sagt Anton. „Weder vor der Chefin noch vor der Amtstierärztin“.

Kein KV, kein Betriebsrat

In Wien gibt es derzeit 24 Fiaker-Unternehmen, die um die TouristInnen konkurrieren. Jedes Unternehmen hat eigene Kutschen und Pferde und muss bei der Stadt Wien um Konzessionen – also Zulassungen – für seine Wagengespanne ansuchen. Pro Konzession müssen zumindest zwei Pferde und eine Kutsche vorhanden sein; insgesamt sind in Wien 146 Fiaker-Gespanne zugelassen. (Wie genau das mit der Vergabe von Konzessionen funktioniert, könnt ihr hier nachlesen.)

Allein im ersten Bezirk existieren 58 Fiaker-Stellplätze, aufgeteilt auf fünf Standorte. Für Anton sind das zu viele. „Die Hälfte würde genügen. Dann gäbe es weniger Konkurrenz um die Kundschaft und die Tiere müssten nicht so viel herumstehen“, sagt er. Auf Nachfrage bei der zuständigen MA 65 heißt es: „Der Behörde sind aktuell keine Bestrebungen bekannt, die Anzahl der Konzessionen zu reduzieren.“

Die Unternehmen stellen Fiaker-FahrerInnen an, und die bekommen ein fixes monatliches Gehalt – zwischen 1.200 und 1.600 Euro brutto bei Vollzeitbeschäftigung. Aber: Einen Kollektivvertrag gibt es für Fiaker nicht. Und zumindest in den wenigen Antwort-freudigen Betrieben auch keinen Betriebsrat.

Wenn ich Geld machen will, tu ich mir keinen 365-Tage-Job mit 12-Stunden-Tagen und kaum einer Rendite an.

Hitzefrei bei 35 Grad

Auch die Arbeitsbedingungen für die Pferde sind umstritten. Zu viel Lärm, zu viel Verkehr, zu viele Baustellen, zu viel Hitze und Sonne, zu wenig Futter und Wasser – so lautet die Kritik der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ an der Fiakerei. Sie fordert, dass Fiaker zumindest aus der Wiener Innenstadt verbannt werden.

Derzeit haben FahrerInnen und Pferde bei 35 Grad Celsius hitzefrei. „Bei 35 Grad will eh niemand arbeiten. Wir freuen uns, wenn wir dann frei haben“, sagt Anton. Der „Verein gegen Tierfabriken“ fordert eine 30-Grad-Grenze für Fiaker-Pferde. Die sieht Anton aber skeptisch. „Hitzefrei bei 30 Grad? Dann brauch‘ ich gar nicht mit dem Arbeiten anfangen“, sagt er. „Die Touristen kommen eben im Sommer. Also normalerweise.“

Bedenklich findet er aber den Mangel an Schattenplätzen in der Stadt. Viele Pferde stehen in der Sonne, und das stundenlang. Dabei ist ausgerechnet der Schattenplatz am Seiteneingang des Stephansdoms für Fiaker gesperrt. Der Ein- und Ausgang der Kirche muss freigehalten werden. „Das ist doch blödsinnig“, sagt Anton. „Die Pferde stehen in der Sonne, der Schattenplatz ist gesperrt. Dabei ist jetzt eh keine Messe.“ Manche Fiaker stellen ihre Pferde trotzdem dort ab.

Gibt es einen Betriebsrat? „Das geht Sie nichts an!“

Teilzeit, geringfügig, arbeitslos

„Wie viele Fiaker-FahrerInnen beschäftigt Ihr Unternehmen, wie hoch ist das Bruttomonatsgehalt, existiert ein Betriebsrat?“ – diese und weitere Fragen stelle ich den Wiener Fiaker-Betrieben. Aber nicht alle Unternehmen geben ihre Mailadressen im Internet an; manche der angegebenen Adressen existieren nicht mehr. Vom Großteil der kontaktierten Unternehmen kommt keine Antwort.

Andere zeigen ihr Desinteresse an der Berichterstattung unverhohlen. „Das geht Sie nichts an!“, schreibt einer. Aber: Mit freundlichen Grüßen!

Ein paar Unternehmen zeigen sich dann doch kooperativ und geben Einblick in die durch die Corona-Pandemie erschöpfte Struktur der Wiener Fiakerei.

„Hälfte der Unternehmen gibt es nächstes Jahr nicht mehr“

„Fiaker Paul“ etwa hat sonst 40 MitarbeiterInnen. Während der Corona-Krise sind es nicht mal 12 – und selbst die sind nur Teilzeit oder geringfügig angestellt. Laut eigenen Angaben zahlt das Unternehmen seinen MitarbeiterInnen bis zu 1.600 Euro brutto im Monat.

Manfred Rieger von „Fiaker Rieger“ antwortet per Mail: „Wir sind heuer noch nicht gefahren und haben keine Mitarbeiter. Bezüglich Betriebsrat: Nein. Viele Unternehmen haben keine fünf Mitarbeiter im Schnitt. Und mehr als die Hälfte der Unternehmen wird es nächstes Jahr nicht mehr geben.“

Auch Martina Michelfeit von der „Freudenauer Chamottefabrik“ kämpft ums Überleben: Derzeit beschäftigt sie vier Angestellte, zwei davon geringfügig. Das Grundgehalt bei einer Vollzeitbeschäftigung beträgt 1.200 Euro brutto, dazu gibt’s Trinkgeld. „Natürlich gibt es immer wieder saisonbedingte Unterbrechungen“, sagt sie. „Die werden dann mit Arbeitslosengeld überbrückt.“

„Wir haben eine Zukunft“, sagt Fiaker-Unternehmerin Michelfeit trotz allem. „Ganz im Gegenteil zu unserem Ruf ist uns Profit nicht so wichtig. Wenn ich Geld machen will, tu ich mir keinen 365-Tage-Job mit 12-Stunden-Tagen und kaum einer Rendite an.“ 

Mir ist egal, womit ich fahre. Ich mache meine Arbeit.

Eine Branche mit Zukunft?

Geringfügige oder saisonale Anstellungen, ein niedriges Grundgehalt, kein Kollektivvertrag, kein Betriebsrat, ausbleibende Gäste. Dazu öffentliche Kritik an den Arbeitsumständen der Tiere und Petitionen für die Abschaffung von Fiaker-Fahrten in der Innenstadt. Aber Kutschen ganz ohne Pferde? Auf die Frage, was er von Elektro-Kutschen hält, sagt Fiaker-Fahrer Anton: „Mir ist egal, womit ich fahre. Ich mache meine Arbeit.“

 

Was sagst du: Hat die Fiaker-Branche eine Zukunft? Und wenn ja, wie könnte die aussehen? Schreib uns deine Meinung als Kommentar!

 

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