Wie bastelt man eine Verschwörungstheorie?
Verschwörungstheorien gehören bei rechten PolitikerInnen zum guten Ton. Wer etwas auf sich hält, lässt sich etwas absurdes einfallen, im besten Fall erledigen die sozialen Medien den Rest. Die neueste Theorie in Österreich: Die roten Netzwerke sind Schuld.
Die Königsdisziplin ist die Verschwörungstheorie. Sie muss gar nicht subtil sein. Im Gegenteil, sie darf völlig offensichtlich aus den bizarrsten Annahmen zusammen gestrickt sein. Nicht weniger ist mehr, mehr ist mehr. Einfach immer noch eins draufsetzen und noch eins und noch eins. Wenn jemand zweifelt, dass das irgendeine Verpflanzung in der Realität hat, dann diese Person beschuldigen, die Gefahr nicht ernst zu nehmen und noch eins drauf setzen.
Wenn die geneigte Medienöffentlichlichkeit ernsthaft beginnt, darüber zu diskutieren – und sei es nur, zu versuchen, diese Verschwörungstheorie mit Fakten zu widerlegen – dann hat der rechte Politstar gewonnen. Denn dann erscheint die Verschwörungstheorie zumindest plausibel und wer weiß, es könnte ja sein. Dieses Vorgehen wird vor allem dann praktiziert, wenn man von etwas ablenken will. Es funktioniert wie die Hände des Zauberers. Während der Trick woanders passiert, schauen wir alle gebannt auf die fuchtelnden Hände – Abrakadabra, zack, schon ist es passiert.
Pizzagate
Ein Prototyp der modernen Verschwörungstheorie, die sich über die sozialen Medien Schneelball-artig verbreitet, ist die Pizzagate-Verschwörungstheorie. Rechtsextreme hatten auf verschiedenen sozialen Netzwerken behauptet, es gäbe da eine Pizzeria in Washington D.C., die wäre der Dreh- und Angelpunkt eines KinderhändlerInnen- und SexualstraftäterInnen-Rings. Die Kinder würden in den Kellern dieser Pizzeria gefangen gehalten und an die Polit-Elite der USA weiterverkauft werden. Im Zentrum sollen das demokratische Establishment und vor allem Hillary Clinton gestanden sein.
Praktischerweise kam diese vermeintliche Affäre just zum Präsidentschaftswahlkampf 2016 ans Tageslicht und bestimmte für eine gute Zeit das Geschehen. Ein Anhänger der Theorie marschierte damals sogar mit einem Gewehr in die Pizzeria und gab Schüsse auf die Umgebung ab (nur um festzustellen, dass nichts zu finden war). Trotz zahlreicher faktischer Widerlegungen, u.a. vom FBI, hält sich diese Vorstellung bis heute. Einmal in die Köpfe gepflanzt, bleibt sie dort.
Rote Netzwerke
Jetzt hat auch Österreich seine Verschwörungstheorie. Geheime rote Justiznetzwerke würden der Justiz schaden und, so die implizite Annahme, es besonders auf arme ÖVPler abgesehen haben, die mit langen Verfahren und Vorverurteilungen zu kämpfen hatten. Die Vorwürfe gegen sie würden alle nicht stimmen – alles eine rote Verschwörung.
Als Beweis gilt ein Ein-Satz-Vermerk aus dem Jahr 1997. 1997 war „Time to say goodbye“ der Hit des Jahres, Prinzessin Diana ist bei einem Unfall ums Leben gekommen und die 5. Staffel Akte X ist im TV angelaufen. Ich war 12 Jahre alt, Sebastian Kurz 11. Diese mächtigen roten Netzwerke bestimmen seitdem also das Geschehen in diesem Land.
Für die Auflösung einer Verschwörungstheorie ist es immer wichtig, dass der rechte Politstar als Retter aus dem Ganzen heraus kommt. Trump wurde demnach nur deswegen so hart angegriffen, weil er diese Verschwörung aufdecken wollte. „Grab her by the pussy“, Bizarro-Auftritte des US-Präsidenten? Alles Lüge und inszeniert von den Pizzeria-VerschwörerInnen! Höchste Einflussnahme des Kanzlers auf die Justiz und die Justiz medial zum Abschuss freigeben? Alles Lüge und inszeniert von roten VerschwörerInnen!
Eine einmal angenommene und geschluckte Verschwörungstheorie immunisiert für lange Zeit. Jeder Fauxpas, jeder Fehler, jeder schlechte Auftritt wird zur Rache am mutigen Erlöser, der den Mut hatte, sich gegen die Verschwörung zu stellen. Und wenn Zweifel aufkommen? Wieder eins draufsetzen oder von vorne beginnen!