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Gesundheit
Klimakrise

Wie krank macht uns Mikroplastik? Ein Forscher antwortet

Mikroplastik: Ein großer Teil stammt vom Abrieb von Autoreifen
Wie gefährlich ist Mikroplastik und was haben Autoreifen damit zu tun?
Mit jedem Schluck aus einer Plastikflasche, jeder zerkratzten Teflonpfanne und jedem plastikhaltigen Tampon nimmt unser Körper Mikroplastik auf. Dass uns das nicht gut tut, klingt vielleicht naheliegend. Doch tatsächlich wurden die gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastik im Körper bisher sehr wenig untersucht. Was mit dem Plastik in unserem Körper und als Folge davon mit unserem Körper passiert, weiß noch niemand so richtig. Der Pathologe und Krebsforscher Lukas Kenner weiß ein bisschen mehr: Vor einem Jahr startete sein Forschungsteam an der MedUni Wien das Projekt microOne über die gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastik.

MOMENT.at: Was hat Mikroplastik mit einer Kreditkarte zu tun?

Lukas Kenner: Die Kreditkarte ist eine Metapher für die 5 Gramm Plastik, die wir ungefähr jede Woche zu uns nehmen. Es soll vor Augen führen, wie groß die Belastung in der Umwelt schon ist.

Man unterscheidet primäres und sekundäres Mikroplastik. Primäres Mikroplastik wird bewusst in Produkte zu deren Verbesserung oder Verschönerung hinzugefügt wird – zum Beispiel in Zahnpasta oder Kosmetika. Sekundäres Mikroplastik zerfällt hingegen ungewollt. Man hat lange gedacht, dass Plastik stabil ist, aber in der Natur zerfällt es in immer kleinere Bestandteile.

Wenn ein Plastikteilchen kleiner als 5 Millimeter ist, bis 1 Mikrometer, nennt man das Mikroplastik. Alles, was noch kleiner ist, wäre Nanoplastik.
 

MOMENT.at: Wie kommt dieses Plastik in die Umwelt?

Kenner: Der Klassiker des sekundären Mikroplastiks ist der Autoreifen. Der ist so gemacht, dass er gut auf der Straße haftet, aber reibt dadurch die ganze Zeit Plastik ab. Jedes Auto gibt auf 50.000 Kilometern etwa 6 Kilogramm Mikroplastik ab. Laut einer Studie der Uni Zürich sind 97 Prozent des Mikroplastiks der Umwelt in der Schweiz Abrieb von Autoreifen. Es werden fast 2000 Mal mehr Mikroplastikpartikel durch die Reifen freigesetzt, als Partikel aus dem Auspuff kommen.

„Das, was wir als Hausstaub bezeichnen, ist zum Gutteil Plastik“

MOMENT.at: Aber Autoreifen sind nicht alles?

Kenner: Natürlich zerfällt jedes Plastiksackerl, jede Zahnbürste, jedes Verpackungsmaterial. Besonders, wenn man Plastik erhitzt. Bei Babyfläschchen werden bei jedem Aufwärmen Milliarden Partikel abgegeben. Das ist schon schockierend. Das, was wir als Hausstaub bezeichnen, ist zum Gutteil Plastik, von Textilien aus Polyester, Teppichen oder vor allem von der Wandfarbe. Die sind meistens Kunststofffarben, die ebenfalls abgerieben werden und zerfallen.

MOMENT.at: Und das fliegt dann als Feinstaub durch die Luft?

Kenner: Die Teilchen werden so klein, dass sie Aerosol-Charakter bekommen. Sie werden dann über die Winde und die Atmosphäre in alle Regionen der Welt verfrachtet. Vom Mount-Everest bis ins Eis der Antarktis. Plastik ist in der Luft, im Boden, im Wasser. Wenn wir eine Schaufel Sand, zum Beispiel vom Strand in Kroatien, nehmen und durch ein 1 Millimeter Sieb lassen, wären Sie schockiert, wie viel Plastik da schon drin ist.

MOMENT.at: Wie kommt das Plastik in unseren Körper?

Kenner: Ungefähr 10 Prozent des aufgenommenen Mikroplastiks atmen wir ein. Einen Teil nehmen wir über die Haut auf, bei Verletzungen und Wunden. Aber der größte Teil kommt über die Nahrung: Vom Meer etwa ins Salz in den Salzstreuer. Oder in Meerestiere und besonders Muscheln, die in ihrem Darm schon das mit Plastik kontaminierte Meerwasser filtern. Auch Tiere speichern Mikro- und Nanoplastik in ihrem Körper, Rinder, Schweine und jedes Fleisch, das wir essen. Die Konzentration von Umweltgiften erhöht sich zum Ende der Nahrungskette.

MOMENT.at: Die Antwort erscheint mir jetzt schon offensichtlich, aber sollten wir auch Wasser aus Plastikflaschen vermeiden?

Kenner: Klar, aus zwei Gründen: Erstens, um sich nicht selbst zu kontaminieren. Und zweitens, weil die Flasche für immer in der Umwelt bleibt. Plastik ist nicht biologisch abbaubar, ich sehe keinen Weg, wie diese Menge an Kunststoff abgebaut werden soll. Die Produktion von Plastik steigt exponentiell an und somit auch der Zerfall von diesen Teilchen. Und die kann man nicht einfach so wieder einfangen.

 
Mikroplastik: Ein riesiger Teil kommt als Abrieb von Autoreifen

Ein riesiger Teil vom Mikroplastik in unserer Umwelt kommt als Abrieb von Autoreifen

Mikroplastik als Gefahr im Körper

MOMENT.at: Was passiert mit dem Plastik in unserem Körper?

Kenner: Bis zum Sommer 2022 haben wir eigentlich angenommen, dass Plastik nicht einfach so in den Körper kann. Es gibt überall sogenannte Schranken, die verhindern, dass Pathogene oder Keime in den Körper kommen. Aber wir sehen in unseren Experimenten, dass diese kleinen Partikel diese physiologischen Barrieren überwinden. Mikro- und Nanoplastik verteilt sich innerhalb von ein paar Stunden in den unterschiedlichen Organen, ins Gehirn, in die Leber, in die Lunge und auch im Blut. Das haben wir nicht erwartet.

MOMENT.at: Wie gefährlich ist das?

Kenner: Darüber ist noch praktisch nichts bekannt. Normalerweise wird jede Substanz, die in der Medizin angewendet wird, jahrelang geprüft. Bei den meisten Plastiksorten ist das einfach nicht gemacht worden. Wir untersuchen besonders Dickdarmtumore und sehen schon, dass Mikroplastik die Darmflora verändert und vor allem Entzündungen massiv verstärkt werden. Und dass chronische Entzündungen Tumorwachstum und -ausbreitung fördern können, ist bereits bekannt. Aber jetzt, wo wir wissen, dass sich das Plastik im ganzen Körper verteilt, müssen wir auch im ganzen Körper nach Veränderungen suchen.

MOMENT.at: Also könnte Mikroplastik einen Einfluss auf jede Krankheit haben?

Kenner: Plastik kommt von fossilen Lebewesen, die vor Millionen von Jahren gelebt haben. Diese Moleküle sind unseren Nukleinsäuren, Fetten und Eiweißen nicht unähnlich. Je kleiner sie sind, desto leichter können sie sich in unsere Zellen integrieren. Sie binden sich an Eiweißmoleküle, können in Zellmembranen eingebaut werden, sich an Viren oder Bakterien hängen und auch die Wirkungsweise von Medikamenten verändern. Wir sehen uns momentan einzelne Plastik-Arten an, aber wir werden überflutet. In den Geweben finden wir unterschiedliche Zusammensetzungen von Kunststoffen. Was dieser Cocktail genau macht, ist eine große Frage. Wir sprechen von Krebs, Stoffwechselerkrankungen, Entzündungen, Alzheimer. Wir haben auch ein Projekt zu Endometriose zur Förderung eingereicht – die Belastung von Mikroplastik durch Damenhygieneprodukte ist irrsinnig hoch.

MOMENT.at: Das heißt, Sie stehen vor einer riesigen Aufgabe.

Kenner: Die Welt steht vor einer riesigen Aufgabe. Jede Zahnbürste, die ich in meinem Leben benutzt habe, existiert wahrscheinlich noch irgendwo in der Umwelt. Wir produzieren unendlich viel Müll, der ja irgendwo hin muss. Wir haben das große Problem, dass wir nicht wissen, wie wir weiter existieren sollen, wenn wir feststellen, dass diese Dinge schädlich sind. Und selbst wenn wir jetzt aufhören, diese Produkte zu produzieren, bleiben sie noch immer in der Umwelt.

MOMENT.at: Was können wir dagegen tun?

Kenner: Bei Tierversuchen heißt es: reduce, replace, refine [Englisch für: verringern, ersetzen, verbessern]. Das funktioniert hier ähnlich. Also die eigene Plastikbelastung verringern – keine Getränke in Plastikflaschen kaufen, kein Plastikverpackungsmaterial, weniger und vor allem langsamer Auto fahren. Die Geschwindigkeit und das Gewicht bestimmen natürlich auch, wie viel Plastik abgerieben wird – oder man verzichtet überhaupt auf das Auto. Und in vielen Produkten kann man Plastik durch biologisch abbaubaren Kunststoff ersetzen.

MOMENT.at: Auf viele Dinge habe ich selbst aber nicht viel Einfluss – welche Luft ich atme zum Beispiel. Was passiert in der Politik?

Kenner: Wir haben mit dem BMK gemeinsam am Plastik-Aktionsplan gearbeitet. Da geht es um Richtlinien, aber auch darum, wie wir Grundlagenforschung finanzieren können. Ich sehe hier eine Bringschuld der Politik, schließlich wurde lange genug zugeschaut. Wenn man sich um die Gesundheit der Menschen bemüht, muss man daran arbeiten, die Belastung aus der Umwelt zu bekommen, und das geht nur mit möglichst geringem Gewicht und niedriger Geschwindigkeit der Autos – am besten Geschwindigkeit Null. Ich glaube, es ist allerhöchste Zeit, dass die Leute aufwachen und sich des Problems bewusst werden.

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