Wie über die Randale in Stuttgart geredet wird, ohne etwas lösen zu wollen
Rund um die Randale in Stuttgart ist ein Diskurs in Gang gesetzt worden, der sich von Tag zu Tag schneller dreht. Vieles darin dient vor allem der Zerstörung.
Rund um die Randale in Stuttgart ist ein Diskurs in Gang gesetzt worden, der sich von Tag zu Tag schneller dreht. Ulf Poschardt, Chefredakteur der deutschen Tageszeitung Welt, spricht von angeblichen „rechtsfreien Räumen“. Viele Zeitungen sind sich nicht zu blöd von „Krieg“ oder gleich einem „Zivilisationsbruchs“ zu sprechen. Und der Publizist Henryk Broder schreibt gar von einer „kleinen Kristallnacht“.
Die Verwendung dieser Begriffe ist nicht nur eine Verharmlosung von Krieg, Faschismus, Nationalsozialismus und der industrialisierten Vernichtung von Menschen, des Holocausts und der Shoah. All diese Bezeichnungen und Begriffe bilden auch die Realität nicht ab. Sie dienen nicht dazu, die Ereignisse in Stuttgart im Sinne eines Erkenntnisgewinnes oder nach Maßgabe etablierter Diskussionsregeln zu erörtern. Vielmehr dienen sie dem Zweck der Diskurs-Zerstörung.
Emotionspegel auf Anschlag
Das Kernelement dieser Strategie ist es, den Pegel der Emotionen sprachlich sofort zu überdrehen. Dazu wird einfach die ganze Zeit mit unhinterfragten Superlativen gearbeitet. Ein Superlativ lässt keine Relation mehr zu. Er steht alleine und absolut.
Stuttgart zum Beispiel wird mittlerweile als einzigartiges, nie dagewesenes Ereignis diskutiert. Das lässt keinen Vergleich (etwa mit Ausschreitungen bei Fußballspielen) und damit keine Einordnung zu. Die realistische Einschätzung, dass es sich um ein bemerkenswertes, aber keinesfalls einzigartiges Ereignis handelt, wird in dieser Logik zur Verharmlosung gedeutet. (Von was eigentlich? Diese Frage verlangt nach einem eigenen Text, ich will sie aber trotzdem auch hier gestellt haben.)
Der ultimative Superlativ
Gleichzeitig werden bestehende (linke) Diskurse nachgeahmt. „Verharmlosung“ ist ein Begriff, den wir eigentlich im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus kennen. Wenn der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) davon spricht, dass aus „Worten Taten werden“, dann ruft das Gedanken an Diskurse rund um rechtsextreme Terroranschläge und an lang geplante und politische Hintergründe hervor.
Diese Strategie der Anspielung, des Evozierens und des Nachahmens bedient den ultimativen Superlativ – den Holocaust und die Shoah. Randale, wie in Stuttgart, werden dann, wenn schon nicht auf eine Stufe, zumindest in eine Wesensverwandtschaft mit dem Holocaust und der Shoah gestellt. Hier erübrigt sich eigentlich jede Erläuterung, warum das fürchterlich ist.
Neben der politischen Dreistigkeit verhindert es auch jede echte und ehrliche Diskussion über die Vorfälle in Stuttgart.
Diskussion nicht möglich
Anstatt, dass darüber geredet wird, warum offenbar eine große Anzahl junger Menschen (junger Männer!) so ein Aggressionspotential hat und wie schnell dieses auslösbar ist, verliert man sich in Diskussion, die sich zunehmend von der Realität entfernen.
Es geht nämlich überhaupt nicht mehr um eine tatsächliche Lösung eines Problems, sondern um die Umleitung und Einordnung in einen größeren Diskurs – einen rassistisches Grunddiskurs, der ein unversöhnliches „Wir gegen die“-Narrativ bedient. Komplexe soziale Realitäten passen in diese schlichte Einordnung nicht hinein und dementsprechend werden plakative Überschriften produziert, statt sich der Sache anzunehmen, wie es Regierungs-PolitikerInnen eigentlich in ihrer Arbeitsbeschreibung haben.
Darum geht es aber nicht, das ist nicht das Anliegen. Es geht darum rassistische Diskurse zu eskalieren und sich nicht länger mit mühsamer Lösungssuche aufzuhalten, sondern tatsächlich ernsthaft Taten setzen zu können. Es werden autoritäre Fakten geschaffen werden: Aufrüstung der Polizei, Legitimation für hartes Durchgreifen auf allen Ebenen (exklusiv gegen MigrantInnen und Linke), gesetzliche Schützenhilfe, sowie das Brandmarken aller Widersprechenden als VerräterInnen.