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Kapitalismus

Wie uns der Kapitalismus zum Konsum zwingt?

Wie uns der Kapitalismus zum Konsum zwingt?
Zwingt uns der Kapitalismus zum Konsum?
Teilhabe am Konsum ist gesellschaftliche Teilhabe. Um unser Selbstwertgefühl zu steigern, ist es wichtig, genauso viel kaufen zu können wie andere. Autorin Nunu Kaller erklärt, wie uns der Kapitalismus zum Konsum zwingt.

 
Wie uns der Kapitalismus zum Konsum zwingt?

Wir haben schon gelernt: Es geht beim Kaufen oft um Sex. Es geht darum, dass wir einen besseren Stand am Fortpflanzungsmarkt haben, wenn wir zeigen, dass wir viel haben. Verhaltensbiologisch ist es also klar: Viel Kaufen heißt viel Sex. Aber: Das ist nicht alles. Konsum hat auch historische und anthropologische Hintergründe. Weil es halt zufälligerweise auch so etwas namens Kapitalismus gibt. Und Konsum ist im Kapitalismus die einzige Art, wie man zu etwas kommt, egal was. Man kann es also auch komplett umgekehrt sehen: Die Menschen konsumieren nicht nur, damit sie leiwande Gefühle haben, sondern wenn sie sich auch nur ansatzweise gut fühlen wollen, MÜSSEN sie konsumieren. Ansonsten bleibt ihnen in einer durchkommodifizierten Welt einfach nichts. Für den Kapitalismus ist das praktisch, weil für den muss man den Konsum permanent steigern, sonst geht er krachen.

Teilhabe am Konsum ist gesellschaftliche Teilhabe

Teilhabe am Konsum ist also auch gesellschaftliche Teilhabe. Und um unser Selbstwertgefühl zu steigern (oder zumindest zu erhalten), ist es wichtig, genauso viel kaufen zu können wie andere. Der Autor Carl Tillessen behauptet sogar: „Nicht nur die Zufriedenheit jedes Einzelnen hängt davon ab, dass auch er sich ein Smartphone und Markensneaker kaufen kann. Der soziale Frieden in der westlichen Welt beruht darauf, dass sich alle ein Smartphone und Markensneaker leisten können. Denn solange jeder ein Smartphone und Markensneaker hat, merken die Leute gar nicht, dass die Schere zwischen Arm und Reich kontinuierlich immer weiter auseinandergeht.“

Er hat da definitiv einen Punkt. Aber nur mit Selbstwert kann man das nicht erklären. Konsum ist Zwang: Wir müssen konsumieren, wenn wir essen, uns kleiden oder mobil sein wollen. Außer wir einsiedeln irgendwo in einem Vierkanter, wo wir autark leben können – und zwar auch ohne Internet. Will das wer?

Trendspirale Konsum

Ich konsumiere, also bin ich Teil der Gesellschaft. Und ich muss konsumieren, um Teil dieser kapitalistischen Gesellschaft zu bleiben. Und ich muss immer schneller konsumieren, um „dranzubleiben“.

Wir leben in einer sich immer schneller drehenden Trendspirale: Was heute hip ist, sehen wir morgen überall und wollen Neues. Das hat übrigens auch mit unserer Biochemie zu tun: Je schneller sich ein Trend verbreitet und je öfter wir die entsprechenden Produkte sehen, desto schneller sind wir auch gelangweilt von dem Anblick, es kickt nicht mehr, wir haben keinen Dopaminausstoß mehr, der „Will ich unbedingt haben“-Impuls setzt nicht mehr ein. Unser Hirn ist dann quasi gelangweilt und sucht nach neuen Reizen. Zack, neuer Trend, neuer Kaufimpuls. Auch so funktioniert Kapitalismus. Immer, wenn es um das Thema Kapitalismus geht, muss ich an das Ende der DDR denken.

Als es nach der Wende darum ging, ob Deutschland wiedervereint werden sollte – die ehemals sozialistische DDR mit der kapitalistischen BRD (sorry, „soziale Marktwirtschaft“ nannte Bundeskanzler Kohl es) –, gab es doch einige sehr laute Stimmen dagegen, und zwar aus der DDR selbst. „Der Kapitalismus“ wurde gleichzeitig als der große Feind und der große Verführer und das große Heilsversprechen dargestellt. Bilder von Schlangen vor westdeutschen Kaufhäusern, in denen DDR-Bürger:innen ihr Begrüßungsgeld ausgaben, gingen um die Welt. Menschen, die sich über ihren neuen Markenfernseher freuten, die Reportern erklärten, wie schön bunt alles drüben im Westen sei, und sich darüber freuten, dass man nun auch Coca-Cola, Pepsi und Nike kaufen konnte.

Der Kapitalismus siegte – und Freude am Konsum, die uns biologisch innewohnt, wurde so zur Verpflichtung. Und irgendwie auch zur einzigen Verpflichtung: Als die Twin Towers in New York einstürzten, erklärte Präsident Bush den US-Bürgern, sie sollten bitte einkaufen gehen, die Wirtschaft müsse weiterlaufen. Nachvollziehbar, denn ohne Kaufkraft schaut es schlecht aus mit nationalen Wirtschaftssystemen, aber so aus Konsument:innensicht: Schon praktisch, wenn man sinnlose Einkäufe, nur weil einem gerade der Sinn nach Shopping steht, mit seiner Bürger:innenverantwortung argumentieren kann.

Der Kapitalismus nutzt aus, dass Konsum Spaß macht

Da wird die Sache dann halt doch etwas spitz: Der Kapitalismus nutzt aus, dass Konsum Spaß macht, so sehr, dass Konsum zum Selbstzweck wird. Spannender Ansatz: Es gibt einfach nichts anderes als den Konsum, um sich gut zu fühlen – in einer Welt, in der man nur ist, was man besitzt, und die auch nur funktioniert, wenn man immer mehr und mehr konsumiert. Aber Moment mal, gibt es nicht gerade in den letzten Jahren Unmengen an Büchern und Zeitschriften, die ein „Zurück zur Natur“ propagieren, gibt es nicht einen irren Trend zu Meditation, Verzicht, „sich spüren“? Da wären wir wieder beim autarken Vierkanter angelangt: Man kann es als Flucht aus dem Ganzen sehen – oder als unglaublich privilegiert. Zu erklären, man brauche nur Zen und Mediation und keinen Konsum – das muss man sich erstmal leisten können. Zu einer Änderung des Systems trägt es nicht bei.

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