Wie wird die KPÖ in Graz nach dem Wahlsieg Politik machen?
„Ich werde meine schützende und meine helfende Hand von Graz zurückziehen“, sagte ein sichtlich geschockter Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) am Wahlabend. Er hat damit ungewollt auf den Punkt gebracht, was die Grazer:innen an ihm schon lang stört. „Er hat jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren“, sagt etwa die Selbständige Andrea K. „Was den Menschen in dieser Stadt unter den Nägeln brennt, davon hatte Nagl keine Ahnung.“
Leistbares Wohnen, realitätsnahe Lösungen für den Verkehr in der Stadt und vor allem für die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in der Stadt, für die abgewählte ÖVP-FPÖ-Koalition waren diese urbanen Probleme kein Thema. Vor allem der investorengetriebene Bauboom hat viele bürgerliche Wähler ins Lager der progressiven Parteien gerieben. Gut zehntausend ehemalige VP-Wähler wechselten deshalb zur KPÖ und zu den Grünen. Gutbürgerliche Wähler:innen wandten sich mit Entsetzen gegen eine Wohnbaupolitik, die in jeder Baulücke ein Mehrparteienhaus zuließ, ohne Stadtentwicklungsplan und ohne architektonische Ambition. „Graz wird verbaut und verschandelt“, sagt etwa die Ärztin Manuela F. „Deshalb hat Nagl meine Stimme nicht mehr bekommen.“
Progressive Mehrheit aber Zwang zum Proporz
Im Gemeinderat haben KPÖ, Grüne und SPÖ seit dem 26. September 28 von 48 Sitzen, im Staatsenat vier von sieben Sitzen. Eine deutliche Mehrheit also, die eine von Grünen und SPÖ unterstützte Bürgermeisterin Elke Kahr sehr wahrscheinlich macht.
Dass dem Gestaltungswillen von Rot-Grün-Rot in Graz dennoch Grenzen gesetzt sind, hat mit dem Statut der Stadt Graz zu tun. In der siebenköpfigen Stadtregierung gilt der Proporz. Alle Parteien bekommen ab einer gewissen Größe Posten in der Stadt-Regierung. Nach dem vorläufigen Endergebnis ohne die Stimmen der Briefwähler:innen hat die KPÖ 3, die Grünen einen, die ÖVP zwei und die FPÖ einen Sitz. Ein Stadtsenatssitz könnte nach Auszählung der Briefwahlstimmen von der KPÖ zur SPÖ wandern.
Die Stadtverfassung zwingt die Fraktionen zur Zusammenarbeit. Es war daher nur allzu verständlich, dass Elke Kahr von der KPÖ noch am Wahltag die schwer gedemütigte ÖVP zu Gesprächen einlud. Auch wenn sie mit Grünen und SPÖ ein Regierungsabkommen schließt, muss sich Kahr um eine konstruktive Gesprächsbasis mit der ÖVP bemühen. FPÖ-Chef Mario Eustacchio hat sich mit seinem „Graz hat sich zum Gespött gemacht“ wohl selbst aus dem Spiel genommen. Man darf gespannt sein, welches Ressort die FPÖ zugeteilt bekommt.
Öffi-Ausbau und Wohn-Offensive als Programm
Inhaltlich wird die Erarbeitung eines rot-grün-roten Regierungsprogramms nicht allzu schwierig sein: Alle drei Parteien haben sich gegen Nagls Lieblingsprojekt U-Bahn ausgesprochen. Stattdessen wird man einen Ausbau der Öffis mit Bim und S-Bahn als feinmaschige Alternative zum Prestige-Projekt U-Bahn in Angriff nehmen.
Schnell einig wird man sich auch beim Thema Wohnen werden: Mehr Geld für öffentlichen Wohnbau, eine Erhebung des Leerstands und eine von der Bürgermeisterin getragene Forderung nach einer Besteuerung von Wohnungseigentümer:innen, die mehr als drei Wohnungen leer stehen lassen. Letzteres kann die Stadt aber ebenso wenig selbst beschließen wie eine Abschaffung der steuerlichen Begünstigungen von Anlegerwohnungen.
Graz gegen Amazon?
Auch wenn der Klimaschutz nicht gerade zur Kernkompetenz der KPÖ gehört, Elke Kahr wird wissen, dass sie den Grünen hierfür Raum und Geld einräumen muss. Eine Bewährungsprobe für das progressive Bündnis in Graz könnte der Kampf mit Amazon werden. Der Online-Händler plant im Süden der Stadt ein rund sechs Hektar großes Verteilungszentrum. Mehr als 2500 Fahrten von und zum Zentrum am Liebenauer Gürtel würde das für die Anrainer bedeuten. Das Land Steiermark hat vor dem Sommer entschieden, dass für den Bau keine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig sei. Dagegen hat die Stadt Graz berufen.
Der Kampf gegen Amazon hat Symbolcharakter. Seit Jahren verliert die Grazer Innenstadt traditionsreiche Geschäfte, weil sich diese die Mieten nicht mehr leisten können. Auf der anderen Seite florieren Einkaufszentren am Stadtrand, die nach Geschäftsschluss zu versiegelten, urbanen Einöden werden. Gelingt es Kahr und Co, dem Gottseibeiuns der Online-Riesen die Stirn zu bieten? Ein Sieg über Amazon würde tatsächlich auch international für Aufsehen sorgen.