“Sie wollen uns aus der Wohnung haben”. Wie große Immobilienfirmen Mieter:innen vertreiben wollen
Daniela* (Name von der Redaktion geändert) wohnt seit Jahren mit ihrer kleinen Familie in der Jörgerstraße in Wien-Hernals. Sie möchte dort eigentlich nicht weg, doch mittlerweile steht fest: Sie wird ausziehen. Grund dafür ist der neue Eigentümer ihrer Wohnung. Bis vor rund einem Jahr gehörte das Zinshaus, in dem sie lebt, einer im selben Haus lebenden Frau. Das Verhältnis zur Vermieterin war gut, fast freundschaftlich. Das hat sich aber geändert, nachdem eine Immobilienfirma das Zinshaus gekauft hat.
Neue Eigentümer bringen Probleme für Mieter:innen
Seit dem Eigentümerwechsel kommen die Bewohner:innen des Hauses nicht zur Ruhe: Zuerst sei der Keller eingestürzt, dann gab es einen Wasserschaden im Haus. Die Eigentümer ignorierten ihn lange. Mittlerweile ist alles wieder trocken, doch die Wände an den Gängen seien noch immer nicht verputzt, erzählt Daniela.
Vor mehr als vier Wochen, Ende Mai, wurde das Haus ohne Ankündigung eingerüstet. Der Dachboden soll ausgebaut werden und im neuen Dachgeschoss Eigentumswohnungen entstehen. “Seitdem haben wir aber noch keine Bauarbeiter:innen gesehen. Trotzdem stehen überall Baustoffe herum, alles ist dreckig”, sagt Daniela. “Ich habe die Hausverwaltung kontaktiert, weil ich wissen wollte, wie das alles jetzt eigentlich weitergehen soll. Die sagten zu mir, dass mich das nichts angehe. Sie seien schließlich nur den Eigentümern verpflichtet, nicht den Mieter:innen.”
“Betongold” als Gewinnmaschine
Daniela ist sich sicher: “Die neuen Eigentümer wollen uns Mieter:innen aus den Wohnungen haben. Irgendwann wird es allen zu viel und sie ziehen aus. Dann können sie die Wohnungen sanieren und als teure Eigentumswohnungen verkaufen.” Auf ihre Vorgehensweise bei Sanierungen und den Umgang mit Mieter:innen angesprochen, wollte das Unternehmen gegenüber MOMENT nichts sagen.
Geschichten wie jene von Daniela hört man immer wieder. Sie folgen einem bestimmten Muster. Doch warum sind Immobilien für Investor:innen überhaupt interessant? Seit der Finanzkrise 2008 wurde es für Großanleger:innen immer attraktiver, ihr Geld in Immobilien zu investieren. Die niedrigen Zinsen machten es für Großanleger:innen möglich, günstig Immobilien zu erwerben und teuer zu verkaufen. Immobilien – so der Tenor – seien eine sichere Geldanlage mit guter Rendite.
Wohnung: kaufen, sanieren, teurer verkaufen
Um den größtmöglichen Gewinn zu erzielen, müssen die Wohnkosten für die Bewohner:innen aber gesteigert werden. Dazu wenden Immobilienfirmen meist ähnliche Strategien an: Einerseits kaufen sie große, schon etwas ältere Zinshäuser und reißen sie ab. An der Stelle des abgerissenen Zinshauses wird ein neues Wohnhaus errichtet, dessen Mieten nicht mehr dem Richtwertgesetz unterliegen. Das heißt, dass sie teurer vermietet werden, weil die Mieten bei Neubauten nicht reguliert sind.
Andererseits kaufen die Immobilienfirmen ganze Zinshäuser auf, sanieren und parifizieren sie. “Parifizieren” heißt, dass sie die einzelnen Wohnungen an Privatpersonen verkaufen. Auch dadurch lassen sich hohe Gewinne erzielen.
Doch die Immobilienfirmen haben ein Problem: Wohnungen, in denen Menschen leben, lassen sich schlechter abreißen oder verkaufen als leere Wohnungen. Gerade Mieter:innen mit älteren Verträgen sind den Eigentümer:innen ein Dorn im Auge, da diese verhältnismäßig wenig Miete zahlen. Das Mietrecht in Österreich sichert Mieter:innen aber (außer in Ausnahmefällen) zu, in ihren Wohnungen bleiben zu dürfen – auch, wenn die Eigentümer:innen wechseln.
Fragwürdige Methoden: Wie Meiter:innen vertrieben werden
Um Mieter:innen trotzdem aus den Wohnungen zu bekommen, wenden Vermieter:innen verschiedene Methoden an. “Viele versuchen zuerst, die Mieter:innen mit einer Summe Geld aus der Wohnung zu ‘kaufen’.
Diese Summen sind aber meist viel zu niedrig. Mieter:innen gehen trotzdem oft auf die Angebote ein, weil sie ihre Rechte nicht kennen”, sagt Elke Hanel-Torsch, Geschäftsführerin der Mietervereinigung Wien. “Wenn diese sogenannte ‘Ausmietung’ nicht funktioniert, kommt es vor, dass der Strom ganz zufällig nicht mehr geht oder die Heizung nicht mehr funktioniert. Das Wohnhaus wird nicht mehr gereinigt, etc.” Man versucht also, die Mieter:innen zum Ausziehen zu drängen.
Ein anderes Beispiel: Der Lift in einem Gebäude fällt aus und der Eigentümer weigert sich, ihn zeitnah zu reparieren. Die Pensionistin im 4. Stock, die nicht mehr gut zu Fuß ist, kommt dadurch nicht mehr ohne Hilfe aus ihrer Wohnung. Was ihr übrig bleibt: ausziehen oder gegen den Eigentümer vorgehen. Denn dieser ist verpflichtet, notwendige Erhaltungsarbeiten am Wohngebäude durchzuführen. Kommt er dem nicht nach, kann beim zuständigen Bezirksgericht oder bei der wohnrechtlichen Schlichtungsstelle ein Antrag eingereicht werden.
“Außerdem haben Mieter:innen in vielen solcher Fälle ein Recht auf Mietzinsminderung. Diese kann zum Beispiel bei einer erheblichen Beeinträchtigung durch Lärm oder bei wenig Lichteinfall durch Baugerüste und Planen eingefordert werden”, so Hanel-Torsch. “Zudem empfehlen wir Mieter:innen, ein Bautagebuch zu führen, wenn es im Haus zu Bauarbeiten kommt. Mit den Aufzeichnungen lässt sich später besser nachvollziehen, ob die Eigentümer:innen ihre Verpflichtungen vernachlässigt haben.”
Befristete Verträge als Problem
Mieter:innen mit befristeten Verträgen haben es wesentlich schwerer, sich zu bei zuständigen Stellen über den Eigentümer zu beschweren. Für sie ist nämlich klar: Wenn sie sich einmal bei den zuständigen Stellen beschweren, wird ihr Mietvertrag von den Eigentümer:innen wohl nicht mehr verlängert werden. Und das ist ein Problem: Denn so werden Mieter:innen, die ihre Rechte einfordern, bestraft.
Die Mietervereinigung fordert daher, dass befristete Mietverträge nur noch in Ausnahmefällen erlaubt sein sollten (etwa wenn in unmittelbarer Zukunft die eigenen Kinder in die Wohnung einziehen möchten). “Unbefristete Verträge sollten die Regel sein”, so Hanel-Torsch.
Veränderungen am Wohnungsmarkt
Danielas Fall ist sinnbildlich für die jüngsten Veränderungen am Wiener Wohnungsmarkt. Eine im letzten Jahr erschienene Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften macht die Dynamiken noch einmal deutlich: Zwischen 2007 und 2019 nahm die Anzahl an klassischen Zinshäusern in Wien um 11,9 % ab – jedes achte verschwand also. An ihre Stelle rückten hauptsächlich sanierte und in Eigentum überführte Wohnungen, aber auch die Zahl der Abrisse und Neubauten nahm deutlich zu. Der “Hotspot” dieser Dynamik liegt in den Wohngebieten in Gürtelnähe – genau dort, wo Daniela (noch) wohnt.
Diese “Transformation der Gründerzeitstadt”, wie die Studienautor:innen es nennen, treibt die Immobilienpreise in die Höhe. Das bereitet auch der Österreichischen Nationalbank (ÖNB) Sorge. Diese verweist in ihrem jüngsten Bericht zum Wohnungsmarkt nämlich wieder einmal darauf, dass Immobilien in Österreich extrem überbewertet seien. Rund 40 % betrage die Überbewertung in Wien, 35 % im österreichischen Durchschnitt. Expert:innen erwarten deshalb in naher Zukunft ein Auslaufen des Preis-Booms am Wohnungsmarkt. Unklar ist, wie sich die angekündigten Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank auf die Immobilienpreise auswirken.
An Danielas Situation ändert das alles erstmal nichts. Die Familie wird bald aus ihrer Wohnung ausziehen, die Immobilienfirma das Haus sanieren. Sie und ihr Mann sind schon auf der Suche nach einem neuen Zuhause – und einem neuen Vermieter.