Willkommen im permanenten Wahlkampf
Trump und Kurz spielen nach ähnlichen Regeln. Die wichtigste: Was zählt, ist "Ich".
Warum agieren die Mächtigen so? Seit Wochen und Monaten bekommen wir die Verhaltensregeln in dieser Krisensituation eingehämmert: Hände waschen, Abstand halten, Mund-Nasen-Schutz tragen, Menschenansammlungen meiden, Nähe nur zu Personen im selben Haushalt. Für viele bedeutete das eine gewaltige und schwierige Umstellung des Alltags. Großeltern durfte man zum Eigenschutz nicht besuchen. Gaststätten und Kulturbetriebe blieben geschlossen. Auf der Straße ausweichen und nur noch ein kurzes Winken aus der Ferne, wenn man zufällig Bekannte gesehen hatte. Eine Dystopie, in der just menschlicher Kontakt nicht möglich ist, wo wir Menschen doch so dringend Kontakt zu anderen Menschen brauchen. Aber vor allem zum Fremdschutz waren und sind viele Menschen bereit, sich minutiös an diese Regeln zu halten.
Message control oder patschert?
Und dann macht der Bundeskanzler das Gegenteil von Allem, was wir alle mittlerweile verinnerlicht haben. Was zum Teufel treibt ihn da an? Man könnte von schlichter Patschertheit ausgehen. Die Situation wurde falsch eingeschätzt und dann war man zu perplex, um das Geschehen abzubrechen. Das scheint kaum plausibel angesichts des Profi-Message-Control-Teams rund um den Bundeskanzler. Vielmehr ist es eine Strategie, die ganz unabhängig der aktuellen Situation stimmt: Sebastian Kurz befindet sich im permanenten Wahlkampf. Egal, welche Situation vor ihm liegt, sie wird nicht im Sinne politischer Lösungskompetenz betrachtet, sondern nach PR-Gesichtspunkten. Genau die gleiche Strategie erklärt auch das Phänomen Trump. Aus diesem Grund werden auch unsere Erwartungen die ganze Zeit gebrochen. Wir erwarten einen Präsidenten oder Kanzler, der so agiert, wie all jene vor ihm auch agiert haben. Politische Probleme brauchen politische Lösungen. Dem Einen ist mehr jenes und der Anderen mehr dieses wichtig. Aber Trump und Kurz ist alles und nichts wichtig, je nachdem, was sich am besten inszenieren lässt. Sie sind dabei keineswegs unpolitisch, agieren sie doch beide als Proponenten konservativer Parteien nach dem Playbook der extremen Rechten. Aber sie sind ideologisch und thematisch sehr flexibel. Auch eine Pandemie ist Wahlkampf. Selbst, wenn es gute und richtige Entscheidungen gibt, so kann man sich nie darauf verlassen, dass diese Bestand haben. Wenn die Stimmung sich dreht, dann dreht sich die Selbstinszenierung mit ihr. Dann werden Koalitionspartner und Vertraute geopfert und schlecht gemacht. Weil es am Ende nur darum geht, selbst gut auszusteigen, koste es, was es wolle.
Was zählt, bin ich
Diese Kaltschnäuzigkeit und Kompromisslosigkeit gepaart mit einem absoluten Desinteresse, den etablierten politischen Regeln zu folgen, zeichnet diesen permanenten Wahlkampf aus. Kurz und Trump sind als inszenierte Personen höchst unterschiedlich: bescheiden, nett, 1er Schüler und auf der anderen Seite Rabauke, pseudo-proletarischer Habitus, selbstbesoffen. Die angewandte politische Strategie gleicht sich aufs Haar: Es gibt keinen Diskurs mehr, keine Erklärung für das eigene Handeln, keine Selbstreflexion und keine Suche nach Ausgleich oder Verständigung. Alles was zählt ist ich, ich ich. Und das bedeutet, die nächste Wahl zu gewinnen.
Dementsprechend wird jede Situation genutzt, auch eine Pandemie. Das verschafft auch visuell Vorteile. Alle anderen Parteien können keine Kundgebungen abhalten, dem Kanzler jubeln die Menschen zu. Damit macht man Wahlkampf alleine und hat nicht einmal mehr Konkurrenz. Ganz so, wie man es sich offenbar erträumt.